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Semesterstart in der Türkei
Istanbul bei Austauschstudenten immer unbeliebter

Die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland bleiben weiter angespannt. Zahlreiche deutsche und europäische Akademiker haben das Land in den letzten Monaten verlassen – und auch die Austauschstudenten meiden das einst so beliebte Istanbul längst. Um die 60 Prozent weniger Bewerber soll es geben.

Von Luise Sammann | 25.09.2017
    Wegweiser zur Universität und zum Universitätsklinikum in Istanbul, aufgenommen am 31.12.2006.
    Wegweiser zur Universität und zum Univeristätsklinikum in Istanbul: Mit gezielter Werbung versuchen türkische Hochschulen dem Katastrophenimage der Türkei entgegenzuwirken. (dpa/Lars Halbauer)
    Dutzende Cafés säumen die schmalen Kopfsteinpflasterstraßen im Künstlerviertel Yeldegermeni. Altersdurchschnitt der Gäste: Mitte zwanzig. Weit ab von Istanbuls Touristengegenden, im asiatischen Teil der Stadt, entstand hier während der Gezi-Proteste 2013 das erste besetzte Haus der Türkei, im Komsu-Café – zu Deutsch: Nachbarschaftscafé – wird nicht bezahlt, sondern getauscht, und an den Straßenecken blühen von Guerillagärtnern gepflanzte Herbstblumen in Joghurteimern…
    Kein Wunder, dass Yeldegermeni gerade unter Istanbuls Studierenden längst kein Geheimtipp mehr ist.
    "Auch ausländische Studierende haben unser Viertel geliebt, weil die Mieten günstig, die Anbindung gut und das Unterhaltungsangebot riesig ist",
    …so Kellner Ahmet , der sein kleines Gehalt lange aufbesserte, indem er eins seiner zwei Zimmer an Erasmusstudierende vermietete.
    Überall in den Cafés hier sah man früher Ausländer sitzen. In der Kantine dort an der Ecke fand man zur Mittagszeit manchmal nicht einen einzigen Türken.
    Das ist heute anders. Wer in diesen Tagen zum Semesterbeginn durch Yeldegermeni läuft, sucht vergeblich nach den einst so zahlreichen Deutschen, Franzosen oder Spaniern, mit denen Ahmet und viele andere früher ihre Wohnungen in Yeldegermeni teilten.
    Studentin: Ausländer sind wie "Aliens"
    Auch auf dem Campus der Marmara-Uni – einer der größten und ältesten von Istanbuls insgesamt mehr als 50 Universitäten – macht sich das Ausbleiben der Ausländer längst bemerkbar. "Wir sind hier die absoluten Aliens", lacht Carolina aus Polen, die sich gegen den Rat ihrer besorgten Eltern für ein Auslandssemester in der verrufenen Türkei entschieden hat.
    "Ich kenne nur eine einzige andere Polin, die zur Zeit an der Marmara studiert. Meine Freunde zuhause waren schockiert, als ich aufbrach. Einige sagten gleich: Türkei? Oh Gott, da kommen wir dich nicht besuchen… Aber ehrlich, es ist absolut ok hier."
    Das versucht man auch im etwas verwaist wirkenden Auslandsbüro der Marmara-Universität mit allen Mitteln zu betonen. Leiterin Gökcen Öcal Özkaya verweist auf die türkische Gastfreundschaft, die günstigen Preise, das gute Essen… Dinge, die Istanbul bis vor Kurzem zu einem der Lieblingsziele europäischer Studierender machten.
    "Wir werben jetzt noch intensiver für unseren Standort: Wir gehen verstärkt zu internationalen Bildungsmessen um das Programm "Study in Turkey" bekannt zu machen, wir laden Repräsentanten aus der ganzen Welt ein und wir bieten den Austauschstudierenden kostenlose Türkischkurse und Einführungsprogramme…"
    60 Prozent weniger Bewerberzahlen
    Doch so sehr Özkaya und ihre Kollegen sich auch anstrengen: Gegen das Katastrophenimage, das der Türkei inzwischen anhaftet, haben sie kaum eine Chance. Um 60 Prozent seien die Bewerberzahlen eingebrochen, so Yunus Emre Yastioglu, verantwortlich für Erasmus an der Marmara-Universität:
    "Unsere Initiativen können das schlechte Image des Landes nicht wettmachen. Genauso, wie das den Tourismus beeinflusst, so beeinflusst es auch den akademischen Austausch. Früher hatten wir pro Semester etwa 500 Erasmusstudierende an der Marmara-Universität. Jetzt sind es gerade mal 95. Und davon haben fast alle türkische Wurzeln."
    Wie normal der Alltag in Istanbul eigentlich weitergeht, können sich in Europa die wenigsten vorstellen, weiß auch Austauschstudentin Carolina aus Polen. Sie ist froh, dass sie ihr lange geplantes Austauschsemester am Bosporus auch nach dem Putschversuch vom vergangenen Jahr nicht abgesagt hat und ihren Freunden und Verwandten in Polen nun aus erster Hand berichten kann, wie es vor Ort aussieht. Manchmal, so die Politikstudentin lachend, sei ihr Alltag in Istanbul fast schon enttäuschend normal.
    "Mein Leben hier ist fast genauso wie mein Studentenleben in Polen. Ich wache auf, frühstücke mit meiner Mitbewohnerin, gehe in die Uni oder treffe Freunde… Normale Dinge eben. Natürlich ist meine Kultur ganz anders als die türkische. Aber ich fühle mich absolut sicher – und ganz bestimmt rennen hier keine Terroristen durch die Straßen oder so…"