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"Semiramide“ beim Rossini Festival
Genialer Gipfelpunkt der Oper

Liebe, Verbrechen, Tod: Von nichts Geringerem handelt Gioachino Rossinis "Semiramide". In Pesaro, der Geburtsstadt des Komponisten, wurde die Oper nun von großartigen Sängern und Sängerinnen aufgeführt. Trotz der biederen Ausstattung hielt der Spannungsbogen.

Von Elisabeth Richter |
Szene aus der Rossini-Oper "Semiramide" mit zwei halbnackten Männern im Vordergrund, die auf kleinen Teppichen auf dem Boden hocken.
Szene aus der Rossini-Oper "Semiramide": Das Gefolge um den wissenden Priester Oroe erinnert an Neandertaler (Studio Amati Bacciardi)
Semiramide, die assyrische Königin, hat Schuld auf sich geladen. Sie will, dass ihr Sohn Ninia sie tötet. Denn: Sie mischte einst das Gift, mit dem ihr Verehrer Assur ihren Gatten, Ninias Vater, tötete. In den Wirren verschwand ihr kleiner Sohn. Sie glaubte ihn tot. Doch er wurde gerettet und wuchs als Arsace auf. Als dieser kehrt er nach Babylon zurück, wo ihm ein Priester seine wahre Identität enthüllt. Arsace-Ninia steht vor dem unlösbaren Konflikt zwischen der Liebe zu seiner Mutter und dem Verbrechen, das sie ihm antat. Die Auseinandersetzung zwischen Semiramide und Arsace, das Hin und Her der Gefühle hat Rossini in einer unglaublich bewegenden Szene in Musik gesetzt. Ein Moment der Versöhnung, doch am Ende kommt Semiramide um und Arsace wird der neue König.
Zukunftsweisend und virtuos
"Semiramide" versammelt musikalisch-stilistisch einen Querschnitt des Besten aus Rossinis über dreißig Bühnenwerken seit 1810: virtuose Koloraturen, großartige Ensembles, dramatische Situationen, wundervolle Instrumentierungen. Aber Rossini weist in seiner mit genialer Hand geschriebenen "Semiramide" auch in die Zukunft. Viele Stellen zeigen, dass sich jüngere Komponisten wie Bellini oder Verdi vom ihm inspirieren ließen.
Beim "Rossini Opera Festival" in der Geburtsstadt des Komponisten punktet diese Semiramide-Produktion vor allem mit ihren musikalischen Qualitäten. Besonders die dramatischen Seiten der Titelpartie füllte die energische Sopranistin Salome Jicia mit fantastisch sichererer Virtuosität aus. Varduhi Abrahamyan stand ihr mit ihrem dunkel, facettenreichen Mezzosopran in der Hosenrolle des Arsace in nichts nach. Der Bösewicht Assur war mit dem diabolisch-sonoren und finsteren Bass von Nahuel di Pierro hervorragend besetzt. Er spielte auch sehr authentisch etwa die eindrückliche Wahnsinnsszene dieses Aufrührers – die manch jüngeren Komponisten später als Modell diente.
Detailgenau und akkurater Klang
Dirigent Michele Mariotti sorgte am Pult des Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI für einen sehr durchsichtigen, detailgenauen, manchmal etwas akkuraten und zu wenig inspirierten Klang. An wenigen Stellen geriet ihm das Forte zu intensiv und deckte Gesangslinien zu.
Die Regie des britischen Altmeisters Graham Vick mit seinem Bühnen- und Kostümbilder Stuart Nunn blieb dagegen recht konventionell, was das Publikum in Pesaro mit deutlichen Buhs quittierte. Die in grünblau verwässerten Farben gehaltene Bühne zeigte auf einer mobilen Wand die überdimensionale faltige Augenpartie des getöteten Königs als ständig mahnenden Geist im Hintergrund.
Biedere Ausstattung
Die Rückseite präsentierte infantile Kinderzeichnungen der Mordgeschichte. Zeitweilig spazierte Arsace-Ninia als kindlicher Thronfolger durch die Szene. Wenig passend dazu das halbnackte Gefolge um den wissenden Priester Oroe, das mit seinen langen Bärten an Neandertaler erinnerte. Dennoch: Sieht man von der biederen Ausstattung ab, kristallisierte Graham Vick in seinem Konzept die Konflikte der Figuren schlüssig und vor allem nicht gegen die Musik heraus. Rossinis "Semiramide" zählt mit über vier Stunden Musik zu seinen längsten Opern, und sowohl inszenatorisch und mehr noch musikalisch hielt der Spannungsbogen über den langen Abend.