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Sendereihe "Am russischen Faden?"
Litauen will raus aus der Abhängigkeit

Bislang bezieht Litauen – wie auch Lettland und Estland – sein gesamtes Gas aus Russland. Jetzt wird der Wunsch nach völliger Unabhängigkeit vom russischen Erdgas immer stärker. Auch im Warenhandel und bei den Transportrouten spielen neue Kriterien eine wichtige Rolle.

Von Randi Häussler |
    Porträt von Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite
    Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite will mehr Unabhängigkeit, nicht nur im Energiesektor. (dpa / Valda Kalnina)
    In diesem Moment steckt jahrelange Planung – und ganz viel Hoffnung. Hoffnung auf ein Ende des russischen Gazprom-Monopols im Baltikum.
    Das Schiff, das die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite auf den Namen "Unabhängigkeit" tauft, ist ein hochtechnologischer schwimmender Terminal. Er führt verflüssigtes Erdgas. Litauen hat ihn in Korea fertigen lassen, ab Herbst soll er im Hafen der litauischen Stadt Klaipeda Gasimporte aus aller Welt entgegennehmen. Sein Name, "Unabhängigkeit", hat daher einen hohen Symbolwert, meint Grybauskaite.
    "Wir haben nun Möglichkeit über niedrigere Gaspreise zu verhandeln, auch mit denjenigen, die uns Gas über Pipelines liefern."
    Bislang bezieht Litauen – wie auch Lettland und Estland – sein gesamtes Gas aus Russland. Die "Unabhängigkeit", so hofft Grybauskaite, soll nicht nur den Energiesektor ihres eigenen Landes entspannen.
    "Wir werden ein hochmodernes Schiff haben, dass nicht nur Litauen dienen wird, sondern dem ganzen Baltikum. Wir werden dadurch ein ernst zu nehmender Energiestaat werden, der auf modernste Technologien zurückgreifen kann."
    Doch Wirtschaftsexperten bezweifeln, dass ein einziger Tanker völlige Unabhängigkeit von Russland gewährleisten kann. Würde Russland den Gashahn in absehbarer Zeit zudrehen, wäre das ein herber Schlag für sein Land, glaubt Zilvinas Silenas, Leiter des litauischen Instituts für freie Marktwirtschaft.
    "Ein Teil des Stroms wird ausgerechnet aus Gas erzeugt. Man könnte stattdessen vorrätiges Heizöl verwenden, aber nicht lange. Natürlich wären auch die Einwohner, die Gasherde haben, betroffen. Die könnten relativ problemlos zu Strom übergehen, selbst wenn natürlich die Kosten dafür höher sein würden. Aber das wäre nicht ganz so tragisch. Den stärksten Schlag bekämen die größten Gaskonsumenten ab – die Betriebe, die Gas als Rohstoff nutzen."
    Doch nicht nur russisches Erdgas ist ein wunder Punkt der baltischen Wirtschaft. Russland ist Litauens wichtigster Handelspartner im Im- und Export. Auch für Lettland und Estland ist der große Nachbar im Osten ein bedeutender Abnehmer und Lieferant von Waren. Die Warenpalette ist breit – Industriegüter und Maschinen, Fischkonserven und Molkerei-Produkte sind nur ein einige der Exportwaren. Vor allem beim Export von Lebensmitteln habe es allerdings schon häufiger Probleme gegeben, sagt Zilvinas Silenas.
    Handelssanktionen würden Transportwesen besonders treffen
    "Russland hat den Import von einigen dieser Produkte unter dem Vorwand eingeschränkt, dass sie nicht der Qualitätsnorm entsprachen und gesundheitsgefährdend seien."
    Fast noch wichtiger als der Handel mit Waren ist allerdings deren Transport. Die baltischen Häfen und Eisenbahnlinien sind wichtige Transitstrecken - Güter aus dem Westen werden auf dieser Route nach Osten transportiert und umgekehrt. In Litauen wird der von Verlust gebeutelte Personenverkehr der Bahn durch den Gütertransport mitfinanziert. In Lettland macht das Geschäft in den Häfen und auf den Schienen ganze zwölf Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. 8.000 Beschäftigte der Eisenbahn könnten ihre Arbeit verlieren, fürchtet man in Lettland, sollten die Häfen in Folge von Handelssanktionen gegen Russland weniger Waren umschlagen.
    Bereits jetzt, im Vorfeld möglicher Sanktionen sei eine gewisse Zurückhaltung bei Handelspartnern spürbar, erklärt Andris Ozols. Er ist Direktor einer lettischen Behörde, die Investoren ermuntern und Handelsbeziehungen stärken will.
    "Insgesamt ist die Einstellung abwartend, nicht nur unter den Letten, sondern auch unter französischen und deutschen Unternehmern, die unsere Häfen und unsere Logistik als Sprungbrett für ihre Frachten nach Russland benutzen."
    Noch stehen die baltischen Konjunkturen stabil da. Estland, Lettland und Litauen haben sich in den vergangenen Jahren zu wirtschaftlichen Musterknaben entwickelt, ihre Wachstumsraten liegen bei gesunden zwei bis vier Prozent und damit weit über dem EU-Durchschnitt. Auch die Wirtschaftskrise haben die Länder vorbildlich durchschifft. Lettland und Estland erfüllen außerdem bereits die Maastricht-Kriterien, Litauen wird den Weg zum Euro dieses Jahr ebenfalls ebnen.
    Lettlands Regierungschefin Laimdota Staujuma gibt sich auch angesichts wirtschaftlicher Herausforderungen, die auf das Baltikum zukommen könnten, gelassen.
    "Wir haben schon 2008 gesehen, dass unsere Unternehmer sehr schnell andere Absatzmärkte gefunden haben, und damit meine ich die Lebensmittelindustrie, wo das Exportvolumen nach Russland 20 Prozent ausmacht. Es ist möglich, dass sich unsere Industrie umorientieren muss."
    Die Stimmung in der Wirtschaft des Baltikums ist offenbar nach wie vor zuversichtlich. Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991, so die vorherrschende Meinung in den drei Staaten an der Ostsee, habe man einige Krisen meistern müssen – und sei infolgedessen sehr flexibel geworden.