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Sendezeiten für die Kirchen
Unverzichtbar oder überholt?

Nur etwas mehr als die Hälfte der Deutschen gehört noch einer Kirche an. Trotzdem steht der katholischen und evangelischen Kirche per Gesetz Sendezeit im Rundfunk zu. Kritiker fordern, dass auch andere Gruppen ihre eigenen Radioformate bekommen.

Von Annika Schneider |
Eine Fernsehkamera filmt die Münchner Regionalbischoefin Susanne Breit-Keßler bei ihrer Predigt in einer Kirche.
Das ZDF überträgt jede Woche einen Gottesdienst, abwechselnd katholisch und evangelisch (www.imago-images.de)
Es gibt nicht viele Lehrer, die regelmäßig Hunderttausende Zuhörer haben. Magnus Anschütz ist einer von ihnen: "Ich bin 33 Jahre alt. Die meiste Zeit in der Woche unterrichte ich evangelische Religion und Französisch an einem Gymnasium in Opladen in Leverkusen. Und ich schreibe seit mittlerweile vier Jahren für Kirche bei EinsLive."
EinsLive ist die Jugendwelle des WDR. Zwischen Charthits, Blödeleien und Interviews tauchen jeden Tag kurze religiöse Impulse auf.
Spirituelle Impulse im Radio
In den Beiträgen von Magnus Anschütz geht es um Homosexuelle in der Kirche, aber auch um Neujahrsvorsätze und den Wert von Freundschaft.
"Wie viel Religion steckt da drin? So viel und so wenig, wie jeder und jede möchte. Solange ich da nicht mit Jesus und Gott und Mose und immer so die ganzen Reli-Joker ausspiele, gibt es auch immer wieder Leute, die mir eine E-Mail schreiben und sagen, ich hab erst gecheckt, dass das Kirche in EinsLive ist, als der Jingle kam: Das war ein Beitrag der evangelischen Kirche."
Auch jüdische Gemeinde bekommt Sendezeit
Die Rundfunkgesetze und -staatsverträge garantieren den Katholiken und Protestanten feste Sendeplätze. Dabei zahlen die Rundfunkhäuser für die Produktion und Ausstrahlung. Auch der jüdischen Gemeinde steht Sendezeit zu, zum Beispiel in der Deutschlandfunksendung Schalom.
Wie viele religiöse Sendungen es gibt, darin unterscheiden sich die Sender. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete Ingrid Matthäus-Maier wollte es genau wissen. Als Vertreterin der Säkularen im WDR-Rundfunkrat fragte sie beim Intendanten nach.
Ein Drittel der Deutschen nicht kirchlich gebunden
"Ich habe mich zu dieser Anfrage entschieden, weil mir auffiel, morgens, wenn ich dann mit dem Auto fahre, dass praktisch auf allen Radiowellen des WDR Verkündigungstermine sind. Ich finde in einer Zeit, in der etwa 95 Prozent der Bevölkerung in einer Kirche waren, mögen diese große Zahl von Verkündigungssendungen angemessen gewesen sein, heute aber nicht mehr. 37 Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind nicht in einer Kirche. Da wäre es durchaus angemessen, wenn man das etwas reduziert und anders verteilt."
Ingrid Matthäus-Maier beim 5. Kölner Forum für Journalismuskritik.
Ingrid Matthäus-Maier, Mitglied des WDR-Rundfunkrates. (David Ertl)
Über 1.700 Verkündigungssendungen liefen 2017 allein im WDR – das ergab die Anfrage von Ingrid Matthäus-Maier. Sie fordert, die Verkündigung im Programm zu reduzieren. Dabei geht es auch um Geld: Tim Karis, Geschäftsführer des Zentrums für religionswissenschaftliche Studien der Uni Bochum, schätzt, dass die Öffentlich-Rechtlichen jedes Jahr einen zweistelligen Millionenbetrag ausgeben – nur für die Gottesdienstübertragungen:
"Heutzutage wo es Privatsender gibt, wo die Kirchen jede Möglichkeit hätten, selber Privatsender auf die Beine zu stellen, sehe ich jedenfalls keinen rechtlichen Grund mehr oder keine Notwendigkeit, warum es solche Art von Rechten geben sollte."
Bischofskonferenz: "Wir wollen nicht missionieren"
Denn das Geld stammt aus den Rundfunkbeiträgen, obwohl die Kirchen längst auch eigene Kanäle und die sozialen Medien nutzen können. Sind die Verkündigungssendungen also noch angemessen? Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz:
"Absolut, denn wir machen ja die Sendungen nicht nur für unsere, in Anführungszeichen, Gläubigen, sondern versuchen ja, mit einem Impuls, auch andere Menschen in unserem Land anzusprechen. Wir wollen nicht missionieren. Aber wir wollen Nachdenklichkeit erzeugen. Und ich glaube gerade, dass durch unsere Sendeformate, die wir haben, Ruhe und, ich sage fromm, auch ein Stück Einkehr geschehen können."
Finanziert aus Rundfunkbeiträgen
Auch Markus Bräuer, Medienbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, spricht sich für die Verkündigungsformate aus. Das Prinzip des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sei es, dass alle alles finanzieren, auch wenn nicht alle alles interessiert.
"Ich finanziere auch mit meinen Beitrag die Volksmusiksendungen und die Sportübertragungen, obwohl ich weder Volksmusik mag, noch ein großer Fußballfan bin."
Große Resonanz vor allem nach Katastrophen
Außerdem sei noch immer mehr als die Hälfte der Deutschen evangelisch oder katholisch. Mit den Verkündigungssendungen übernähmen die Kirchen auch Verantwortung, sagt Matthias Kopp – gerade nach Katastrophen oder Anschlägen
"Der Amoklauf in München ist mir da noch in Erinnerung oder damals in Erfurt, wo zum Beispiel das "Wort zum Sonntag" aktuell umgestellt wurde, was damals ein ganz wichtiger Impuls mit unglaublich hohen Einschaltquoten war. Dass man mal kurz in der Bundesrepublik die Luft anhielt."
Kritiker wollen Sendezeit auch für säkulare Verbände...
Danach sei viel dankbare Zuschauerpost gekommen, berichtet Kopp. Eine Abschaffung der Verkündigungssendungen fordert auch Kritikerin Ingrid Matthäus-Maier nicht – aber sie will, dass auch säkulare, nicht kirchlich gebundene Weltanschauungsgemeinschaften per Gesetz Sendezeit bekommen:
"Das gab es übrigens bis in 80er-Jahre hinein schon mal beim WDR. Kein Mensch konnte mir sagen, warum das abgeschafft wurde. Aber in einer pluralistischen Gesellschaft gehört es durchaus dazu, dass die unterschiedlichen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zum Zuge kommen."
...und für Muslime
Im Bayerischen Rundfunk gibt es auch heute noch Sendezeiten für säkulare Verbände. Wissenschaftler Tim Karis findet, dass der Staat keine Religionsgemeinschaft bevorzugen solle. Sein Vorschlag: Auch Muslime könnten eigene Verkündigungssendungen gestalten.
"Das würde natürlich unheimlich beitragen zur Entspannung oder jedenfalls zur Normalisierung der Debatte zur Versachlichung auch, dass man mit dem Islam auf ganz natürliche Weise konfrontiert ist und eben nicht nur in den Nachrichtensendungen meistens mit sehr negativen Meldungen vom Islam konfrontiert ist."
Bislang muslimische Themen, aber keine Verkündigung
Der evangelische Medienbeauftragte Markus Bräuer sieht diese Idee kritisch: Die Muslime in Deutschland hätten weder Mitgliedschaftswesen noch Körperschaftsstatus – insofern stelle sich die Frage, wer überhaupt dazu gehöre.
"Wir wissen, dass auch die türkische Religionsbehörde bei DITIB mitreden kann und mir vorzustellen, dass das türkische Religionsamt Sendezeiten in Deutschland nutzen kann, das fällt mir ein bisschen schwer."
Im WDR gab es bereits muslimische Verkündigungsformate, die aber wieder eingestellt wurden. Stattdessen gibt es Sendungen, wie das "Forum am Freitag" im ZDF, die sich explizit muslimischen Themen widmen. Anders als bei den Verkündigungssendungen entscheiden hier allerdings die Redaktionen der Sender über den Inhalt.