"Jetzt stehen wir also vor dem einen Tanzsaal, der nennt sich Henriette, und das ist ein Saal, der eher nach europäischem Standard ausgerichtet ist und später zeige ich ihnen noch den anderen, wo wir Sandboden haben, wo man sich dann eher in Kontakt mit der Erde findet. Beide, was uns wichtig war, mit Kontakt zur Natur, das werden Sie dann gleich selbst sehen."
Helmut Vogt führt über das Gelände der Ecole des Sables in Toubab Dialaw, rund 50 Kilometer von der senegalesischen Hauptstadt Dakar entfernt. Vor rund 20 Jahren hat der gebürtige Frankfurter mit den weißen Locken und der runden blauen Brille zusammen mit seiner senegalesischen Frau Germaine Acogny angefangen, die Schule hier aufzubauen – mittlerweile ist sie die bekannteste Ausbildungsstätte für afrikanischen zeitgenössischen Tanz auf dem Kontinent.
Vogt, ein gelernter Bankkaufmann, hatte nach vielen anderen Stationen eine Tanzschule in Frankfurt gegründet, als er zufällig bei der Buchmesse auf Buch "Afrikanischer Tanz" von Germaine Acogny stieß, eine Tänzerin und Choreografin, die unter anderem mit Maurice Béjart arbeitete:
"Und in dem Streben, neue, andere Sachen zu machen, habe ich Kontakt mit ihr aufgenommen, und dann war sie ein paar Monate später in Aix-en-Provence mit Béjart für einen Workshop, und dann habe ich mich ins Auto gesetzt und bin da hingefahren - und seit der Zeit sind wir zusammen."
Vergeblich versuchten die beiden zunächst, in Frankreich ein Projekt zu starten, denn Germaine Acogny hatte zuvor als Leiterin der staatlichen Tanzschule in Dakar erlebt, wie unberechenbar Regierungsunterstützung im Senegal sein kann. Doch dann bauten sie ihre Workshops im Senegal aus und fanden schließlich in Toubab Dialaw das richtige Fleckchen Erde für ihre Schule. Das Gelände mit seinen kleinen Wohnbungalows und den großen Tanzsälen liegt oberhalb einer Lagune, das offene Meer ist in Fußweite, der kleine Ort ebenfalls.
Kern der Arbeit sind zehnwöchige Kurse für afrikanische Tänzer, die so eine Ausbildung über drei Jahre erhalten. Manche von ihnen sind Teil von Jant-Bi geworden, den beiden international renommierten Kompagnien der Schule. Andere sind an großen Produktionen im Ausland beteiligt oder erteilen Tanzunterricht in ihrer Heimat. Auch Kurse für Amateure und Halbprofis bietet die Schule an – zurzeit einen mit Tänzern aller fünf Kontinente zum Thema: Schwarze Tänze - Erinnerung und Entwicklung.
Rund 40 Tänzerinnen und Tänzer aller Hautfarben bewegen sich im zur Lagune offenen Tanzsaal zum Rhythmus eines Trommelensembles. Ein Mann beobachtet ihre Bewegungen kritisch, korrigiert die eine oder den anderen und macht immer wieder neue Bewegungen vor, die sie schnell aufgreifen. Der Lehrer ist Germaines Sohn Patrick Acogny, mittlerweile auch Generaldirektor der Tanzschule.
"Dialog mit dem Kosmos"
Zwischen den beiden Tanzsälen führt der Weg über das von Felsen übersäte Gelände zum Privathaus der Gründer, einem sehr geschmackvoll eingerichteten Bau voller moderner Kunst. Dort empfängt mich Germaine Acogny, eine große Frau mit kahlrasiertem Kopf und runder Brille, der man ihre 73 Jahre genau so wenig ansieht wie ihrem Mann Helmut Vogt. Tanz sei Eleganz und Tiefe sagt sie, und nennt Ausdauer, Zartgefühl und Stolz als drei Tugenden, die sie ihren Schülerinnen und Schülern vermitteln will – neben dem Verwurzeltsein in der eigenen Kultur und der Offenheit für andere.
"Die traditionellen Tänze sind ein permanenter Dialog mit dem Kosmos und stehen in Verbindung zur Natur. Wer am Meer wohnt, tanzt anders, als die, die im Wald, in den Hügeln oder den Bergen wohnen."
In ihrer Technik verbindet Acogny Elemente aus dem Benin, ihrem Geburtsland, mit solchen aus Senegal – aber auch viele Einflüsse europäischer Tanzarten, die sie erlernt hat. Zentral ist bei ihr die Wirbelsäule, sie nennt sie "Schlange des Lebens". Auch wenn sie versteht, wenn manche ihrer afrikanischen Schüler den Kontinent verlassen wollen, hofft sie doch eins:
"Ich wünsche, dass sie in ihr Land zurückgehen, andere ausbilden und Tanzkompagnien formen und genug Überzeugungskraft haben, die Regierungen dazu zu bringen, uns die nötigen Mittel für die Arbeit in unseren Ländern zu geben. Denn ich finde, der Tanz wird wirklich am meisten vernachlässigt – und ich kämpfe schon seit Jahren darum."
Die Finanzierung steht nur noch bis zum Jahresende
Ein Kampf, den sie jetzt auch für ihre eigene Schule führen muss. Denn zum ersten Mal wissen Germaine Acogny und Helmut Vogt nicht, wie sie ins nächste Jahr kommen sollen. Nach neun Jahren ist die Förderung einer niederländischen Stiftung, die die Hälfte der laufenden Kosten trug, Ende Juni ausgelaufen.
Ein erster Bittbrief an Freunde und Unterstützer auf der ganzen Welt war zu freundlich formuliert, ein zweiter hat immerhin genug Geld gebracht, um bis zum Jahresende durchzuhalten. Bis dahin muss eine andere Lösung gefunden werden – auch bei der senegalesischen Regierung versuchen Germaine Acogny und Helmut Vogt inzwischen Mittel einzuwerben. Und hoffen, dass sie dennoch ihre Unabhängigkeit bewahren können.