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Senegal am Scheideweg

Bislang galt der Senegal als eines der Vorzeigeländer in Sachen Demokratie in Afrika. Doch nach zwölf Jahren Abdoulaye Wade ziehen viele Senegalesen eine negative Bilanz. Und im Land brodelt es: Täglich kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Oppositionellen und der Polizei.

Von Alexander Göbel |
    Malick schnappt nach Luft. Gerade hat die Polizei wieder Tränengasgranaten gezündet: auf dem Platz der Unabhängigkeit im Zentrum von Dakar.

    "Das ist die Polizei von Abdoulaye Wade, das ist nicht die Polizei des Volkes. Und das werden wir nicht akzeptieren. Yen a marre - es reicht, und wenn wir dafür sterben müssen! "

    Es riecht nach Revolution im Senegal, die Menschen gehen auf die Barrikaden. Denn Staatschef Abdoulaye Wade, 85 Jahre alt, klammert sich an die Macht. Will eine dritte Amtszeit. Noch einmal sieben Jahre. Die Verfassung lässt das nicht zu, doch der Verfassungsrat erlaubt es ihm – anders als dem Sänger Youssou N’Dour. Der hatte angeblich nicht genügend gültige Unterschriften gesammelt, um Kandidat zu sein. Um die Verfassung auszuhebeln, hat Wade offenbar kräftig nachgeholfen. Die fünf Richter des Gremiums hat er persönlich eingesetzt und reich belohnt. Kein Wunder, dass die Senegalesen rot sehen, sagt Abdourahmane Thiam, Politikwissenschaftler an der Universität von Dakar:

    "Für Präsident Wade scheint die Macht eine Obsession zu sein. Er wirkt wie ein Planet, um den die Sterne kreisen. Das erklärt, warum die Opposition so dermaßen wütend ist und sich dagegen wehrt, dass er und seine Machtclique um jeden Preis ihre Privilegien verteidigen wollen."

    Bei seiner ersten Wahl im Jahr 2000 war Wade noch der Hoffnungsträger. Stand für den wirtschaftlichen Wandel. Zwölf Jahre später ist er für die meisten nur noch der "Gorgui" – auf Wolof "der starrsinnige Alte". Seine Bilanz: verheerend. Mehr Korruption, mehr Arbeitslose, katastrophale Verhältnisse in Schulen, Universitäten und Krankenhäusern, ständige Stromausfälle, noch immer lebt mehr als die Hälfte der 13 Millionen Senegalesen unterhalb der Armutsgrenze. Aber es gibt noch einen Grund, warum die Menschen den Präsidenten mittlerweile ablehnen: Wie in einer Erbmonarchie will Wade seinen Sohn Karim zum Nachfolger küren. Schon jetzt leitet Karim Wade gleich vier wichtige Ministerien.

    13 Kandidaten treten gegen Wade senior an. Sie hoffen, dass die fünf Millionen Wahlberechtigten ihn abwählen – oder ihn zumindest in eine Stichwahl zwingen. Wades Rückhalt in der Bevölkerung dürfte – wenn alles mit rechten Dingen zugeht - bei kaum mehr als 30 Prozent liegen. Im Lager des Präsidenten glaubt man dagegen an einen deutlichen Sieg Wades - im ersten Wahlgang. Einen zweiten werde es nicht geben, betont Wades Wahlkampfsprecher Amadou Sall. Wahlbetrug, versichert er, sei angesichts Tausender Wahlbeobachter aus dem In- und Ausland unmöglich:

    "Bei dieser Wahl ist Betrug ausgeschlossen. Es gibt internationale und nationale Wahlbeobachter, die Presse ist da – was wollen Sie noch? Ich sag’ Ihnen was: Wenn das Volk als Souverän für Präsident Wade stimmt, dann kann und wird es keine Diktatur der Minderheit geben. Wenn diese Minderheit gegen das Ergebnis protestiert, dann wird der Staat sein Gewaltmonopol ausschöpfen. Der Staat wird dann legitime Gewalt anwenden, um die Dinge zu regeln. Denn so läuft das in einer Demokratie."

    Tijs Berman, Chef der 90-köpfigen EU-Wahlbeobachtermission, gefallen solche Drohungen gar nicht. Seine Kritik am Wahlprozess ist für einen Diplomaten überraschend deutlich:

    "Es fehlt an Transparenz. Viele Bürger haben noch immer nicht ihre Wählerkarten erhalten und wissen nicht, wo sie wählen sollen. Außerdem bedauern wir das Demonstrationsverbot. Die Menschen haben das Recht dazu, gerade im Wahlkampf. Der Innenminister hatte Versammlungsfreiheit zugesagt und sich nicht daran gehalten. Das führt zu unnötigen Spannungen."

    Spannungen, die noch sehr gefährlich werden könnten. Bisher galt der Senegal auch wegen seiner friedlichen Machtwechsel als Modell der Demokratie in Westafrika. Doch damit, fürchten viele, könnte es nun vorbei sein. Die Internationale Gemeinschaft ist besorgt. Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle, am Rande der Syrien-Konferenz in Tunis:

    "Wir erwarten von der Regierung im Senegal, dass sie freie und faire Wahlen auch praktisch ermöglicht und auch Protest akzeptiert und nicht gewaltsam unterdrückt. Und wir erwarten auch, dass die Wahlbeobachter der Europäischen Union ungehindert arbeiten können."

    Die Opposition wird die Wahl nicht boykottieren. Doch soviel steht fest: Sie wird einen Wahlsieg des Präsidenten nicht akzeptieren. Sollte es zu einer Stichwahl kommen, wollen sich Wades Gegner auf einen Kandidaten einigen.

    "Alles außer Wade" – das ist die Parole der jungen Senegalesen am Ende des Wahlkampfes. "Y en a marre", was auf wolof soviel heißt wie: Wir haben die Nase voll. Das Credo der gleichnamigen Gruppe von jungen Rappern, die längst zu Senegals Occupy-Bewegung geworden ist.

    "Wir haben die Nase voll! Dieses Land gehört nicht Abdoulaye Wade, sondern dem Volk. Es gehört uns, der Jugend, denn wir sind die Zukunft. Wir müssen sehen, wer das Land führen kann. Auf jeden Fall nicht Abdoulaye Wade und seine Familie, wir haben genug von ihm!"