Ahmed Sow weiß noch, wann er Interesse an Deutschland bekam. Er war noch ziemlich jung, als er im Fernsehen eine Sendung sah, in der das Wort "Nazi" fiel. Ahmed wollte wissen, was das ist - ein Nazi. Der Senegalese begann, sich mit Deutschland zu beschäftigen. Im Internet begann er deutsche Nachrichten zu lesen, deutsches Fernsehen zu schauen. Heute, mit 22, studiert er im zweiten Jahr Deutsch an der Universität von Dakar. Er hat einen Traum:
"Nach Deutschland fliegen, um dort mein Studium fortzusetzen. Ich hoffe, ein Stipendium zu bekommen. Viele Wissenschaftler kommen aus Deutschland!"
Kaum Chancen auf ein Stipendium
Ahmed ist einer von rund 700 Deutsch-Studenten an der Uni Dakar. Das Interesse an Deutsch sei in den vergangenen Jahren immer stärker gewachsen, berichtet Tobias Kuhn, Vertreter des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes in Dakar. Auch deshalb, vermutet Kuhn, weil viele Studenten hoffen, über den Weg der Sprache auch einmal nach Deutschland zu kommen. Einem Land in Europa, in dem es wirtschaftlich gut läuft. Doch diese Hoffnung trügt, so Tobias Kuhn:
"Es ist sehr schwer, ins Ausland zu kommen. Die Leute, die das Zeug dazu hätten, die sich auch schnell integrieren könnten, weil sie sich schon vorgebildet haben, weil sie schon hier unter Beweis gestellt haben, dass sie Dinge erfolgreich zu Ende bringen können - für die ist das ohne finanzielle Mittel und Kontakte in Deutschland eigentlich unmöglich."
Deutschland verlangt von ausländischen Studenten den Nachweis, dass sie in der Lage sind, sich während ihres Auslandsjahrs finanziell über Wasser zu halten. Deshalb müssen sie mehr als 8000 Euro auf ein Sperrkonto überweisen. Für senegalesische Studenten ist das in der Regel unmöglich. Und auf Hilfe dürfen nur die wenigsten hoffen, denn Stipendien sind rar gesät.
Tobias Kuhn berichtet davon, dass er im Schnitt drei Promotionsstipendien pro Jahr vergeben hat. Wer keine Verwandten hat, die schon in Europa sind, für den ist der Kontinent heute so gut wie unerreichbar. In kaum einem Land in Westafrika haben die Menschen so schlechte Karten, ein Schengen-Visum zu bekommen, wie im Senegal. Und auch die Perspektiven in der Heimat sind nicht rosig. Tobias Kuhn führt durch das Uni-Gebäude.
"Das heißt hier Nouveau Batîment, Amphi1. Hier finden die Vorlesungen statt, hier oben sind auch die Seminarräume."
Ein schmuckloser Betonklotz, der dringend mal wieder eine Renovierung gebrauchen könnte – und einen Erweiterungsbau. Tobias Kuhn öffnet die Tür zu einem Seminarraum, vielleicht 30 Quadratmeter groß. Darin: Eine Tafel, zehn Holzbänke – und Tische.
"In so einem Raum sind dann schon mal 200 Studenten ungefähr.
Autor: "Zwischenfrage 200?"
"Ja, ohne Scheiß: 200!"
Autor: "Zwischenfrage 200?"
"Ja, ohne Scheiß: 200!"
Studierende protestieren
Es kann sehr eng hier sein, sagt Kuhn. Und sehr laut. Keine Uni der Region hat so viele Studenten wie die in Dakar. Und es werden immer mehr – auch dank des Bevölkerungswachstums. Nicht weniger als 80.000 Menschen studieren an der Universität – in der Hoffnung, mit einem Abschluss eines Tages eine Anstellung zu finden. Doch die Chancen dafür stehen schlecht. Immer wieder kommt es zu Studentenprotesten.
"Aufgrund der schlechten Zukunftschancen, der schlechten Studienbedingungen. Die Universität ist definitiv der konfliktreichste Ort im Senegal und auch der Ort mit der meisten politischen Sprengkraft."
Polizisten und junge Menschen liefern sich dann hier Straßenschlachten, teils angeheizt von lokalen Politikern. Die Einheimischen haben der Straße vor der Uni einen martialischen Namen gegeben: "Couloir de la Mort", übersetzt: "Flur des Todes". Weil bei den Protesten immer wieder Menschen ums Leben kommen. Die Wut der jungen Menschen speist sich aus dem Mangel an Perspektiven, glaubt Tobias Kuhn. Die legale Möglichkeit, nach Europa zu kommen, könne ein Ventil sein:
"Weil es psychologisch einen großen Effekt hat. Es gibt dieses Gefühl der Zwei-Klassen-Welt: Die mit den guten Pässen, die Europäer, die hier auch visafrei einreisen können, hier Urlaub machen – und wir können uns noch nicht mal einen Eindruck verschaffen von Europa"
Ähnlich sieht es Mamadou Ndiaye Fall, bei der senegalesischen Polizei zuständig für den Kampf gegen illegale Migration. Viel Geld aus Europa wandert im Senegal in die Grenzsicherung. Doch für Kommissar Mamadou Fall ist klar:
"Ich denke, es gibt ein natürliches Recht auf Bewegungsfreiheit. Dieses Recht wird den Menschen teils verweigert. Man muss Menschen die Möglichkeit geben, auf legalem Wege zu reisen, mit den entsprechenden Dokumenten. Denn wahr ist auch: Wenn die Länder der Europäischen Union in diesem Maße ihre Türen verschließen, ist das auch eine Ermutigung, sich als irregulärer Migrant auf die Reise zu machen."
Viele im Senegal kritisieren, dass Europa derzeit vor allem darüber spricht, wie die Türen noch besser verschlossen werden können. Nicht darüber, wie sie einen Spalt weiter aufgemacht werden können.