"Ich merk das schon, dass die Hektik zugenommen hat." 1960 – also vor 56 Jahren – hat der 73-jährige Wolfgang Waize seinen Führerschein gemacht. Zu DDR-Zeiten, noch vor dem Mauerbau. Als der Verkehr im Gegensatz zu heute noch fast gemütlich war. Die Beweglichkeit, Stichwort Schulterblick, sie mache ihm schon zu schaffen, sagt der frühere Bergmann Waize. Stämmiger Typ. Weißes Haar, randlose Brille. "Man muss doppelt und dreifach aufpassen, dass einem selbst nichts passiert."
Senioren bewegen sich unsicher im Straßenverkehr. Sie zuckeln zögernd und verängstigt durch die Straßen. Halten das Lenkrad krampfhaft in den Händen, verwechseln mitunter das Brems- mit dem Gaspedal. Je älter die Menschen sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie in Unfälle verwickelt werden, belegen diverse Studien. Ein Unfall: Für Wolfgang Waize ein Albtraum, weshalb er sich jetzt zu einem freiwilligen Fahrtauglichkeitstest angemeldet hat.
"Welchen Führerschein besitzen Sie? Erzählen sie mal etwas über ihren fahrerischen Werdegang."
"Ich hatte 1960 die ein 1 und die 5 gemacht. Und den habe ich immer gehabt, und bin ihn auch nie losgeworden. Also man hat ihn mir auch nie weggenommen."
Nach einem kurzen Erstgespräch setzt sich Fahrlehrer Günther Helbig aus Zörbig zusammen mit seinem Schützling, einem rüstigen Rentner ins Auto. Er ist der einzige in Sachsen-Anhalt, der spezielle Fahrfitness-Checks für Ältere anbietet. Die Idee: Man fährt zusammen durch die Stadt, parkt einmal ein. Danach unterhält man sich über das, was gut und nicht so gut geklappt hat. "Im Endeffekt hat das nichts damit zu tun, dass ich irgendwelche Gutachten erstelle. Es wird nichts weiter gemeldet. Allerdings muss ich da so fair sein, wenn ich fahrerische Defizite feststelle, dass ich die auch mitteile." Und, da müsse er - sagt Fahrlehrer Helbig - manchmal auch Klartext reden. "Beim letzten Test in Halle, habe ich dann auch die Ehefrau mit an den Tisch geholt. Und habe gesagt, dass es besser ist, dass sich ihr Ehemann jetzt darauf vorbereiten sollte, zu Fuß zu gehen. Weil, was ich da erlebt habe, war schon grenzwertig."
Oligatorische Tests wären altersdiskriminierend
Der Senioren-Fahrtauglichkeitstest hat was von einer gemütlichen Stadtrundfahrt. Dennoch merkt man dem Schützling schon die Spannung an. Wolfgang Waize fährt übervorsichtig durch 30er-Zonen immer wieder seine Fahrweise. Wenn er zum Beispiel wegen Radfahrern abrupt bremsen muss, zu nah an die Kreuzung ran fährt oder spontan – ohne groß zu schauen – die Spur wechselt.
"Ich bleib hier auf der Spur, weil ich weiß, dass ich da hinten sowieso rüber muss."
"Machen Sie so, wie sie denken. Innerhalb der Ortschaften gilt freie Fahrstreifenwahl."
Pflicht-Tauglichkeitstest für Senioren: Fahrlehrer Günther Helbig – einst Kriminalist bei der Volkspolizei - hält davon überhaupt nichts. Damit steht er nicht allein. Auch das Bundesverkehrsministerium lehnt Fahrchecks für ältere Autofahrer kategorisch ab. Die Gleichung: Alt gleich Fahruntauglich sei einfach nicht richtig, zudem sei es altersdiskriminierend, betont der 56-jährige Fahrlehrer Helbig. "Und wenn Sie jetzt plötzlich sagen: Schwarz-weiß, du darfst nicht mehr. Wissen Sie, wie viel Lebensqualität da abgegeben wird mit dem Führerschein. Und das gerade bei ihm. Wir sind hier in einem Wohngebiet, wo man sogar den Katzen beigebracht hat, nach rechts und links zu schauen, bevor sie über die Straßen gehen."
Gefragt ist eher der kumpelhafte Fahr-Therapeut
Testfahrten mit geschulten Personal, ja das sei eine Möglichkeit, sagt Fahrlehrer Helbig noch. Kein kauzig belehrender Oberlehrer, sondern eher der kumpelhafte Fahr-Therapeut. Sein Vorschlag: Obligatorische Verkehrsschulungen ab einem bestimmten Alter, ähnlich wie es die Führerscheinbesitzer in der DDR einmal jährlich machen mussten. "Ich sage Ihnen, das wird kommen. Das wird kommen."
Während der Fahrt plaudert Fahrlehrer Helbig mit seinem Schützling über dies und das, schwärmt von alten Zeiten. Notizen macht er sich keine. "Ich habe früher mal was aufgeschrieben. Indem Moment, indem man was aufschreibt – auch wenn es etwas Positives ist – denkt derjenige am Lenkrad, es ist was Böses. Also ich hatte Leute, die dann immer nervöser geworden sind. Das bringt überhaupt nichts."
Nach einer Dreiviertelstunde ist das begleitete Fahren vorbei. Anschließend setzt man sich zusammen, bespricht gemeinsam die Fahrt. "Die Motorik ist bei ihnen da, sie kommen super mit dem Fahrzeug aus. Also, da braucht man nicht zu diskutieren, sie sind fit wie ein Turnschuh." Fahrlehrer Günther Helbig hat genau hingeschaut. Trotz allen Lobes ist ihm aufgefallen, dass sein Schützling nicht immer die Außenspiegel nutzt. Und er gibt zu Bedenken, dass Wolfgang Waize nicht zu sehr in der Mitte der Straße fahren solle, weil er so schnell in den Gegenverkehr geraten könne. "Von der Sicht her, einfach mal versuchen, nach vorne rechts zu orientieren. Das ist mir auch so in vielen Kleinigkeiten aufgefallen. Einfach mal dran denken, wenn sie später fahren."
Testfahrten können die Fahrpraxis von Senioren erheblich verbessern, so lautet auch das Ergebnis einer Studie der TU Dortmund aus dem Jahr 2012. Bereits 15 Fahrstunden reichten aus, heißt es da, das ältere Fahrer wieder so gut wie 40- bis 50-Jährige fahren. Ein klarer Hinweis darauf, dass man auch noch im Alter lernen kann. Und: Das obligatorische Fahrstunden helfen, damit ältere Fahrer, das Brems- nicht mit dem Gaspedal verwechseln, dass man auch im Alter elegant durch den Verkehr gleiten kann.