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Senioren und das Coronavirus
Erinnerungen an den Krieg

Besonders ältere Menschen gehören zur Risikogruppe bei der Coronavirus-Ausbreitung. Viele Seniorinnen und Senioren müssen deshalb lernen, mit der Isolation zurechtzukommen, ihre Enkel beispielsweise nicht mehr zu sehen. Bei manchen kommen auch Erinnerungen an Kriegszeiten hoch.

Von Johannes Kulms |
Ein Rentner ist mit einem Rollator in Potsdam unterwegs.
Abstand halten beim Einkaufen und immer Hände waschen: Senioren sollen besonders auf die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus achten. (dpa/ Ralf Hirschberger)
88 Jahre ist Frau Walek alt. Wie viele Menschen in Deutschland lernt auch die Kieler Seniorin gerade jeden Tag dazu. Zum Beispiel was ein Router ist.
"Gestern war eine Zeit lang mein Telefon plötzlich kaputt und da war ich in Panik (lacht). Und dann hat mein Sohn mir gesagt ‚Du musst den Router ziehen! Und nach fünf Minuten wieder reinstecken!‘"
Als Rentnerin gehört sie zur Risikogruppe bei der Corona-Ausbreitung. Die Isolation sei wohl das Schlimmste für die älteren Menschen meint sie. Umso wichtiger, dass das Telefon noch funktioniert, denn Mail und Handy nutzt Frau Walek nicht. Doch die ganze Zeit kann und will sie auch nicht zu Hause bleiben. Zumindest bisher tritt sie jeden Tag vor die Tür, macht alleine einen kleinen Spaziergang hinunter zur Ostsee.
Immer Abstand halten
"Und man sitzt dann eben am Wasser auf einer Bank und der nächste sitzt auf der nächsten Bank. Und man guckt sich an und man begrüßt sich und man lächelt. Und man hält eben einen Meter Abstand von seinen Nachbarn, gut einen Meter, das kann man."
Frau Walek kennt viele Menschen in ihrem Kieler Stadtteil Holtenau. Viele Ältere seien jetzt aufgeregt, malten sich aus, was in Deutschland alles passieren könne, so ihr Eindruck.
"Und dann ziehe ich mich so ein bisschen zurück und denke, ach, vielleicht kommt es nicht ganz so schlimm."
Besonders schade findet sie es, dass sie derzeit ihre Enkelkinder nicht sehen kann. Eigentlich war geplant, dass sie zu Ostern Verwandtschaft aus den USA trifft. Aber das wird jetzt nichts. Aus der Nachbarschaft gebe es gerade viel Hilfsbereitschaft und Aufmerksamkeit. Und auch mit ihren Kindern telefoniert sie regelmäßig. Früher habe ihr Sohn ihre Einkäufe gerne immer so kommentiert, erzählt sie:
"Ach, du hast wohl für den nächsten Krieg eingekauft! Also, ich habe wohl immer schon so ein bisschen auf Vorrat gekauft. So Lebensmittel. Nicht eine Flasche Saft, sondern gleich drei oder vier oder so. Immer so ein bisschen in Voraussicht, es könnte mal sein, dass plötzlich und so weiter… das steckt ganz tief drin!"
Erinnerungen an den Krieg
13 Jahre war sie alt, als der Zweite Weltkrieg zu Ende war. Als Vertriebene kam sie damals nach Schleswig-Holstein und lernte ähnliche Vorurteile kennen, die sich heute gegen Flüchtlinge aus anderen Staaten richten. Durch die Ausbreitung des Coronavirus kommen bei ihr gerade viele Erinnerungen an den Krieg hoch. Mehr als nur die Bilder von leeren Regalen.
"Plötzlich ist das dann wieder da - diese ganz elementare Angst des Menschen. Und dann denkt man, na ja, das Ende der Menschheit. Irgendwann kommt das ja und dann bricht alles zusammen, die Geschäfte, die Wirtschaft bricht zusammen, die Börse, die ganzen Banken und alles bricht zusammen. Und ja, die zivilisierte Welt ist dann hilflos, ausgeliefert."
Wir müssen jetzt zusammenhalten, meint Frau Walek.
Coronavirus
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Auch Käthe Senten hat den Krieg als Kind miterlebt. Doch ihr fällt es schwer, einen direkten Bogen von den Erinnerungen an damals in die Corona-Gegenwart zu ziehen. "Nein, ich glaube, das kann man nicht miteinander vergleichen."
Knappe 1.000 Menschen leben in ihrem Ortsteil auf dem platten Land in der Nähe von Husum. Auch Käthe Senten muss lernen, mit der neuen Isolation zurecht zu kommen. "Ich bin ja im Haus, aber ich kann ja zum Glück noch nach draußen. Ich habe noch ein Auto, ich fahre Auto und ich kann noch in die Geschäfte gehen. Aber ich bin sehr vorsichtig. Und ja, ist so."
Ältere Menschen wollen sich nicht verstecken
Vorbei sind nun leider auch die Kartenspiele im alten Bauernhaus, zu denen sich die Dorfbevölkerung vor dem Ausbruch des Coronavirus gerne traf. Andererseits sei die Hilfsbereitschaft auch früher schon groß gewesen. Und der Einschnitt falle hier womöglich nicht so stark aus wie in den Städten. Denn bei ihr in Stapel gehe es nun mal generell ruhiger zu, meint die 83-Jährige. Die älteren Menschen wollten sich bisher auf jeden Fall nicht verstecken.
"Also, wer noch laufen kann und so, der läuft auch! Also, das ist hier eigentlich immer das gleiche. Und da kann ich keinen Unterschied merken."
Die neuen Spielregeln für den Alltag hat sie längst verinnerlicht. Abstand halten beim Einkaufen. Und immer Hände waschen. Auch in ihrem Auto hat sie eine Flasche mit Desinfektionsmittel. Jeden Tag schaltet sie Radio und Fernsehen ein.
"Also, ich finde die Berichterstattung sehr gut. Also, wir werden ja alle damit konfrontiert. Wir müssen doch eigentlich auch alles wissen darüber. Damit man auch weiß, woran man ist. Und das ist ja schlimm genug. Aber man muss es ja wissen. Sonst hat es ja keinen Sinn! Und wir haben ja die Chance, dass wir es alles hören können!"
Sie denke gar nicht so oft nach über die neue Lage. Aber ja, sie verspüre durchaus ein Gefühl von Angst sagt Käthe Senten. Auch um ihre Tochter, die als Altenpflegerin arbeitet.
"Ich finde das für die jungen Menschen eigentlich viel schlimmer. Wenn wir Alten noch irgendwas kriegen, das ist dann halt so. Wir haben unser Leben gehabt, finde ich dann. Aber die jungen Leute, die sollen sich ja vorsehen!"