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Sport im Alter
Japanische Ü80-Fußballer starten Liga in Tokio

In keinem Land der Welt bleiben die Menschen so lange gesund wie in Japan. Entsprechend boomt in dieser alternden Gesellschaft der Seniorensport. Seit diesem Jahr gibt es nicht nur eine Liga der Über-75-Jährigen, sondern auch einen Ü-80-Wettbewerb.

Von Felix Lill |
Ein Fußball liegt im Tornetz (Symbolbild)
In Japan betätigen sich auch ältere Fußball-Amateure noch im Ligabetrieb. Dort gibt es nun sogar eine Ü80-Alterklasse. (IMAGO / Lobeca / IMAGO)
Takushi Dokiya hält sich die Wade und zieht ein angespanntes Gesicht. Der Außenstürmer hat eben Fußball gespielt, seine Mannschaft hat 3:0 gewonnen. Aber jetzt merkt er, dass es für heute auch genug ist: "Wenn ich den Platz betrete, tut mir nichts mehr weh. Das ist wie ein Wunder. Denn sobald ich wieder runterkomme und mich hinsetze, geht es manchmal sofort wieder los. Das ist doch Wahnsinn, oder?"
Wahnsinn ist aber nicht, dass Takushi Dokiya seinen Körper spürt, nachdem er Fußball spielt. Sondern eher, dass er überhaupt noch spielt. Der ehemalige Arzt ist 80 Jahre alt. Mehrmals im Monat trifft er sich im Komazawa koen, einem Sportpark im Westen Tokios, mit Gleichaltrigen zum Fußballspielen.

Körperliche Gesundheit: Aktivität wichtiger als Ruhe

Trainiert wird dagegen individuell, erklärt Takushi Dokiya im Gespräch mit dem Deutschlandfunk: "In einem Park in der Nähe spiele ich jede Woche alleine Fußball, mit der Wand zum Beispiel. Das mache ich zwei- bis dreimal die Woche. Und wenn ich das nicht mache, fühlt sich mein Körper morgens wie eingerostet an."
So ist Takushi Dokiya sicher: Für die körperliche Gesundheit sei nicht Ruhe die Antwort, sondern Aktivität. "Viele von uns haben irgendwelche Wehwehchen. Aber das hält uns doch nicht vom Sport ab. Die Ärzte, die ihren Patienten mit Sportverletzungen dazu raten, sie sollen den Sport lassen, sind ja meistens selbst Personen, die keinen Sport treiben. Ich denke: Etwas Schmerzen gehören zum körperlichen Befinden dazu. Man sollte es nur nicht übertreiben."

85-Jähriger spielt so viel er kann

Diesen Herren, die an einem Montagnachmittag ihre Schienbeinschützer und Fußballschuhe angezogen haben und über einen Kunstrasenplatz rennen, muss man es glauben. Sie spielen im weltweit wohl ersten Ligabetrieb der Altersklasse Über-75. Seit diesem Jahr gibt es zusätzlich sogar eine Ü-80 Spielklasse. Nicht nur Takushi Dokiya nimmt in beiden Wettbewerben teil. Auch der schon 85 Jahre alte Susumu Handa spielt so viel er kann:
"Die Altersunterschiede bemerkt man hier bei den Jüngeren aber schon. Bei der Schnelligkeit und der Kraft zum Beispiel. Und das obwohl ich auch jede Woche Sport mache. Dehnübungen, Fußball und Tennis."

Handa: "Habe eigentlich keine körperlichen Probleme"

Als 1945 der Zweite Weltkrieg endete, war Susumu Handa, dessen Haare heute weiß sind, ein Grundschüler. Mit dem Fußball fing er erst als 50-jähriger an, denn in seiner Jugend habe es in seinem Heimatdorf nichtmal einen Fußball gegeben. So gehöre er in seiner Mannschaft, die das eben abgepfiffene Spiel verloren hat, nicht zu den Leistungsträgern:
"Ich sehe mich eigentlich auf einer Verteidigerposition, aber da lassen sie mich nicht spielen. Wenn ich da einen Fehler mache, kann ja sofort ein Tor fallen. Deswegen spiele ich weiter vorne. Ein Vorteil ist aber, dass ich eigentlich keine körperlichen Probleme habe. Und das ist ja das Wichtigste. Als ich jünger war, hätte ich nie gedacht, dass ich so lange noch Sport machen könnte."

Demografischer Wandel in Japan treibt Seniorensport-Nachfrage

Diese Senioren verkörpern in Japan einen Trend, der das ostasiatische Land zu einem weltweiten Pionier macht: Die alternde Gesellschaft mit einem immer längeren Leben in Gesundheit. Jede dritte Person in Japan ist heute mindestens 65 Jahre alt und gilt damit laut den Vereinten Nationen als Senior oder Seniorin. Über die kommenden Jahrzehnte wird dieser Anteil weiter zunehmen. Japans Bevölkerungsdichte von Menschen mit einem dreistelligen Alter ist schon heute die höchste der Welt.
Und so nimmt die Nachfrage nach Sportangeboten für Seniorinnen und Senioren zu. Es ist quasi ein Boomsektor. So sieht es jedenfalls Tetsushi Aoyama vom „Seniorenfußballverband“ in Tokio, der am Rand steht und dem nächsten Spiel zusieht:
"Unseren Verband gibt es gut seit zehn Jahren. Wir sind Teil des Ligabetriebs des Japanischen Fußballverbands. Altersmäßig sind wir in Fünfjahresgruppen eingeteilt: Ü65, Ü70, Ü75 und seit diesem Jahr auch Ü80. Die Ü80er-Liga hatten wir schon länger geplant. Und jetzt haben wir endlich genug Leute."

Verletzungsgefahr: Grätschen und leichtes Rempeln verboten

Aoyama, der selbst erst 68 Jahre alt ist, aber auch noch Fußball spielt, holt einen Zettel aus seiner Tasche. Er zeigt eine Tabelle mit den Mannschaften der letzten Jahre: Als der Ligabetrieb im Jahr 2012 begann, gab es im Raum Tokio bloß vier Ü70-Mannschaften. Heute sind es 18. In der Ü80-Altersklasse nehmen bisher drei Mannschaften teil. Und pro Team sind es 15 bis 30 Spieler – schließlich falle immer mal jemand aus:
"Einige Spieler scheiden aus, weil sie dann doch alterskrank werden. Das gibt es leider manchmal. Und wer sich verletzt, ist auch schnell mal für zwei oder drei Monate nicht einsatzfähig. Um zumindest die Sportverletzungen zu reduzieren, haben wir kurz nach Beginn der Liga die Regel eingeführt, dass Grätschen, auch schon leichtes Rempeln, verboten sind."

Kein Standfußball in der Ü80-Klasse

Standfußball ist das, was sich hier jeweils über zweimal 20 Minuten zeigt, nämlich nicht. Gerade der Außenspieler Takushi Dokiya rennt auch jüngeren Gegenspielern davon. Gedribbelt wird kaum, dafür sieht man viele überlegte Doppelpässe. Dabei gehe es vor allem um Spaß, sagen sich die Supersenioren hier.
Ohne Ehrgeiz geht es aber auch nicht. Der 83-jährige Mutsuhiko Nomura ist etwas zerknirscht, nachdem seine Mannschaft verloren hat. Nach dem Spiel, auf dem Weg zum gemeinsamen Mittagessen, resümiert er:
"Heute haben wir verloren. In meiner Mannschaften sind zwei körperlich eher schwache Spieler. Das Alter kann da eine Rolle spielen, aber auch nicht nur. Wir sind leider nicht die stärkste Truppe."
Nomura spielt Fußball, seit er zwölf Jahre alt wurde, also länger als viele Menschen alt werden. In den 1960er Jahren gehörte er sogar zu den besten Fußballern seines Landes, wurde in die Olympiaauswahl berufen.

Deutscher Trainer Dettmar Cramer als Mentor

So genoss Nomura auch die damals für japanische Verhältnisse höchst fortschrittliche und systematische Ausbildung des deutschen Trainers Dettmar Cramer. Später wurde er Offizieller im nationalen Fußballverband. Dass Mutsuhiko Nomura einen ernsthafteren Zugang zu Fußball hat, merkt man auch daran, wie er über das Spiel redet:
"Wir spielen im 4-3-3, da bin ich im Mittelfeld im Zentrum, komme aber eher von hinten, weil ich die Übersicht habe. Trotz meines Alters bewege ich mich auch noch gut. Das hilft im Mittelfeld natürlich. Aber auch wenn wir verlieren, bringt alles trotzdem sehr großen Spaß! Fußball ist mein Leben gewesen. Durch Fußball hab ich alles Mögliche für das Leben gelernt."

WM der Ü80-Klasse? Japan bisher ohne Konkurrenz

Viele der alten Kicker sagen an diesem Montagnachmittag etwas ähnliches. Und trotz ihres fortgeschrittenen Alters schauen sie gemeinsam nicht nur nach hinten, sondern auch nach vorne.
Das nächste Projekt ist, bald eine WM der Supersenioren zu veranstalten. In der Altersklasse Ü65 seien diese Überlegungen schon fortgeschritten, heißt es, denn da gebe es auch in anderen Ländern schon genügend ältere Menschen, die noch fit sind.
In der Klasse Ü80 werden allerdings noch einige Jahre vergehen müssen, bis sich Japan mit der Welt messen kann. Bisher spielt man hier außer Konkurrenz.