"Das kann ich nicht glauben."
"Sehen Sie selbst!"
"Und Joséphine holte unter ihrem Kissen ein Blatt Papier mit dem Briefkopf der Republik hervor. Es war eine gerichtliche Zahlungsaufforderung an den Ersten Konsul über den Betrag von vierzigtausend Francs, zahlbar für Handschuhe, geliefert an seine Ehefrau Madame Bonaparte."
"Zum Teufel!" sagte Bourienne. Bourienne war der Büroschreiber Bonapartes. "Damit ist nicht zu spaßen! Haben Sie Ihrem gesamten Hofstaat erlaubt, sich bei Madame Giraud auszustatten?"
"Nein, mein lieber Bourienne. Diese Handschuhe für vierzigtausend Francs waren nur für mich."
Dass Madame Bonaparte dann die damals – man schreibt das Jahr 1801 – unvorstellbare Summe von zwölfhunderttausend – also 1,2 Millionen Francs! – den verschiedensten Putzmachern von Paris für Kleider, Hüte, Handschuhe, Strümpfe, Pumps, Schleifen, Handtaschen und viele andere Accessoirs schuldete, ist nur eine der pikanten Informationen, die dieser bislang unbekannte Roman von Alexandre Dumas dem Älteren bereithält.
Dumas, der Altmeister des historischen Abenteuerromans, hatte auch hier penibel recherchiert und sich eng an die historischen Zeugnisse gehalten.
Doch dieser Roman mit dem Titel "Der Graf von Sainte-Hermine", soeben im Münchner Verlag Blanvalet erschienen, ist nicht nur eine Entdeckung, sondern sogar eine kleine Sensation.
Selbst Kenner und Literaturwissenschaftler hatten von diesem Werk nicht gehört. In keiner Bibliografie seiner Werke taucht er auf.
Es handelt sich um das letzte, allerdings unvollendet gebliebene Werk eines der erfolgreichsten Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. "Der Graf von Sainte-Hermine" erschien vom 1. Januar bis zum 30. Oktober 1869 im "Grand Moniteur universel" in 118 Kapiteln von relativ unregelmäßiger Reihenfolge.
Als Dumas am 5. Dezember 1870 68-jährig starb, befand Frankreich sich im Krieg mit Deutschland. Sein Verleger Michel Lévy hatte zwar bisher alle Bestseller seines Autors bis zur Neige ausgeschlachtet. Aber an Neuerscheinungen war er jetzt nur noch wenig interessiert oder hatte einfach andere Probleme oder ihn schlicht vergessen.
Auch wenn der Roman unvollendet blieb: Dumas hatte die veröffentlichten Teile für die Buchveröffentlichung noch selbst vorbereitet. Dieses Manuskript hat der französische Dumas-Forscher Claude Schopp 1990 in der Pariser Nationalbibliothek entdeckt. Allerdings fehlte auch hier der Schluss.
Jahre später: Bei seinen ausgedehnten Recherchen stieß Schopp in Prag auf weiteres Material. Zwar auch noch nicht direkt auf das Ende des 1000-Seiten-Romans, aber auf einen Brief von Dumas an Paul Dalloz, dem Herausgeber des "Grand Moniteur universel". Darin legt er ihm dar, wie er die Geschichte enden lassen wollte. Und nach diesen Ideen hat Schopp sich erlaubt, den Roman mit drei von ihm verfassten Schlusskapiteln abzuschließen.
Gehen wir zurück in die 20er-/30er-Jahre des 19. Jahrhunderts:
Seine Karriere als Schriftsteller hatte Dumas auf der Bühne begonnen. Ja, er feierte sogar sensationelle Erfolge, etwa 1829 mit dem Historiendrama "Heinrich III. und sein Hof". Oder im Jahr 1831. Da machte sein Stück "Antony", in dem es um einen Ehebruch ging, Tumult und Rumor und wurde mit 131 Aufführungen zum Renner des Jahres. Aber dann kam der Absturz, Dumas produzierte auf der Bühne nur noch Pleiten.
Die Rettung kam mit einer Revolution auf dem Zeitungsmarkt: Die Erfindung der Schnellpressen.
Sie ermöglichten die schnelle und preisgünstige Herstellung großer Auflagen. Tageszeitungen schossen wie Pilze aus dem Boden. Sie erfüllten das Informations- und Unterhaltungsbedürfnis eines breiten Publikums, das durch neue, liberale Pressegesetze wie auch durch die Hebung des allgemeinen Bildungsniveaus zu interessierten Käufern geworden war.
Natürlich gab es schon vorher Serienabdrucke in Zeitschriften. Aber erst die Tageszeitungen ermöglichten den klassischen Fortsetzungsroman, der eigens für die Zeitung und von Tag zu Tag fortgeschrieben war.
Vor allem in Frankreich blühte das Genre auf. Wie auch in England und Deutschland galt der populäre Roman nicht als Literatur, war jedoch äußerst einträglich.
Vorreiter war Eugène Sue, der mit seinen 1842 und 1843 erschienenen "Geheimnissen von Paris" gleich weltbekannt wurde. Für seinen nächsten Fortsetzungsroman "Der ewige Jude" erhielt Sue einen Vorschuss von 100.000 Francs – eine Summe, für die ein Handwerker seinerzeit mindestens 70 Jahre lang hätte arbeiten müssen.
Sues "Geheimnis"–Schmöker entwickelte sich zur Kultserie und hat Tag für Tag nach Auslieferung des "Journal des Débats" das gesamte öffentliche Leben der französischen Hauptstadt für eine Stunde völlig zum Erliegen gebracht: Vom Parlamentarier bis zum letzten Müllmann – alle vertieften sich in die Geschichte.
Trotz dieser exorbitanten Honorare verdienten aber vor allem auch die Verleger. Die Zahl der Abonnenten stieg dank der Fortsetzungsromane um sagenhafte 700 Prozent.
Dumas beteiligte sich an der neuen Entwicklung umgehend und gleich mehrfach. Hatte er nicht kostspielige Geliebte und teure Wohnungen zu finanzieren?
Ab März 1844 erschienen von ihm gleich drei Romane in drei verschiedenen Pariser Zeitungen: "Die drei Musketiere" in 82 Folgen, "Der Graf von Monte Christo" in 150 Folgen und der "Valois"-Zyklus, der bis 1847 fortgesetzt wurde. 1845 verlängerte er den Musketier-Stoff mit "Zwanzig Jahre danach" und 1847 nochmals mit dem "Vicomte de Bragelonne", in dem er seine Musketier-Helden sterben lässt. Aber auch den "Graf von Monte Christo" schrieb er bis 1859 weiter. Um die Figur des Wunderheilers und Scharlatans Cagliostro strickte er von 1846 bis 1855 gleich vier Fortsetzungsromane. Die Zeitungen rissen ihm die Manuskripte aus der Hand.
Das Halsband der Königin", "Königin Margot" "Gabriel Lambert", "Der Ratschluss des Magiers" – am Ende waren es mindestens 250 Romane in über 400 Bänden! Hinzu kommen weitere 25 Bände allein mit seinen Theaterstücken! Dumas' Bücher liegen heute in rund 100 Sprachen vor.
Millionen flossen, aber Dumas gab sie mit leichter Hand wieder aus. Er baute sich ein Schloss, gründete selber eine Zeitung, kaufte zwei Segelschiffe und unterstützte den italienischen Freiheitshelden Garibaldi mit Waffen und Uniformen. Eigentlich aber war er bankrott, musste sogar seinen Privatzoo und seine Pferde verkaufen. Dennoch ging es immer weiter.
Alexandre Dumas schrieb mit kaum zu überbietender Leichtigkeit. Trotzdem: Ein solches Arbeitspensum konnte er nur mithilfe zahlreicher Zu- und Mitarbeiter bewältigen. Meist lieferte er selbst nur das Exposé und entwickelte die Erzählstränge und Charaktere. In seinen Memoiren gestand Dumas ein, eine Reihe der unter seinem Namen erschienenen Schriften, besonders die Erzählungen, gar nicht selbst oder nur teilweise allein verfasst zu haben.
Zeitweise, so hat der emsige Joseph M. Quérard recherchiert, arbeiteten in Dumas' Romanfabrik mindestens 74 Lohnschreiber und Rechercheure. Die plünderten schamlos die kleineren und größeren Veröffentlichungen von Zeitgenossen aus, darunter Werke von Chateaubriand, Gosselin, Thierry, vor allem aber von den Tagesgrößen.
Unter Dumas' Mitarbeitern finden sich bekannte Namen wie der Dichter Gérard de Nerval und der Historiker und Schriftsteller Auguste Maquet, der bis zu seinem frühen Tod 1851 für ihn tätig war. Maquet soll sogar 18 von Dumas' berühmtesten Romanen allein geschrieben haben: Darunter Die drei Musketiere
Der Stoff geht übrigens auf die Memoiren des Musketiers d'Artagnan zurück, die ein Courtilz de Sandras erfunden hatte.
Mauquet habe auch die größten Teile des Grafen von Monte Christo geschrieben, heißt es. Und, so wird vermutet, ebenfalls die berühmten Tagebücher der Pariser Henkersfamilie Sanson.
Da kaufte Dumas der Ältere etwa einem armen Schriftsteller namens Auger ein Manuskript ab, das der mit Kameliendame betitelt hatte. Doch damals war jener Frauentyp – die Heldin hörte ursprünglich auf den Namen Fernande – noch nicht hoch notiert, trug weder Kamelien noch Tantiemen ein. Das Manuskript blieb liegen und ging auf den Sohn über. Alexandre Dumas junior brachte 1852 den Text zum berühmten Knalleffekt, indem er den jungen Armand Duval sagen lässt: "Sie alle sind Zeugen, dass ich dieses Weib bezahlte und ihr nichts mehr schuldig bin."
Selbst die Polizei von Paris hat Dumas' Romanfabrik zugearbeitet. Anfang des Jahres 1999, mithin anderthalb Jahrhunderte später, berichtete Claude Charlot, der Leiter des Archivs der Pariser Polizei, in einer hausinternen Zeitung über die Entdeckung von Aufzeichnungen eines seiner Vorgänger. Danach hat der 1760 geborene Archivar Jacques Peuchet verschiedene Novellen verfasst. Unter ihnen befindet sich eine, in der die authentische Geschichte eines Mannes erzählt wird, der sieben Jahre unschuldig im Gefängnis verbringen muss, nach der Entlassung Reichtum erwirbt und sich rächt.
Das war die Quelle, aus der Alexandre Dumas – oder richtiger wohl Auguste Maquet – für seinen erfolgreichsten Roman Der Graf von Monte Christo geschöpft hat.
Dumas' letzter Streich war 1869/70 die Geschichte des Grafen Saint-Hermine. Da war sein Schreibbüro längst aufgelöst, und er allein auf sein Wissen und Können gestellt.
Und anhand der Veröffentlichungsgeschichte, wie Claude Schopp sie im "Moniteur universel" recherchiert hat, lässt sich noch einmal die Entstehung von Zeitungsromanen veranschaulichen.
Das Feuilleton fand traditionell am Fuß der ersten und zweiten Seite statt – in Deutschland sagte man später "unter dem Strich". Die erste Lieferung aus 22 Kapiteln erschien täglich, nur montags unterbrochen von der aktuellen Theaterkritik. Dann gab es wiederholt größere Unterbrechungen. Woraus sich nur schließen lässt, dass Dumas den ersten Teil bereits vor Veröffentlichung fertiggestellt hatte, die weiteren Lieferungen aber ad hoc verfasst hat, und es ihm wohl oft nicht gerade leicht fiel, ausreichend Stoff für die täglichen Fortsetzungen zu verarbeiten.
Eine solche Arbeitsweise erzeugt natürlich kleinere inhaltliche Unstimmigkeiten. Da verwandelt sich eine Brigg etwa in einen Kutter oder aus 300 Kombattanten werden plötzlich vierhundert. Napoleon selbst erinnert sich viele Kapitel zu spät, dass er einmal in Madame Permon verliebt war. Die Schlacht und Eroberung von Gaeta durch die Franzosen findet nach der Schlacht von Jena und Auerstädt statt, und nicht, wie historisch richtig, ein halbes Jahr zuvor. Das sind anschauliche Beispiele für die Arbeitsweise eines Verfassers von Fortsetzungsromanen. Gewöhnlich wurden solche Fehler und Ungereimtheiten in den Buchausgaben bereinigt.
Hector de Sainte-Hermine ist der letzte Nachfahre eines Adelsgeschlechts, das während der Französischen Revolution nahezu völlig ausgelöscht wurde. Hector ist an einen Eid gebunden, Rache zu nehmen und den Royalisten treu zu dienen. Doch Hector ist hin- und hergerissen, da er Napoleon seinen Respekt nicht versagen kann. Diese Unentschlossenheit führt den Helden in die Kerker der französischen Republik, auf die Schlachtfelder Europas und zu den Korsaren des indischen Ozeans – immer flankiert von einer großen, überdauernden Liebe.
Die Handlung des Romans ist in dem Zeitraum von Februar 1801 bis April 1809 angesiedelt. Der Handlungsbogen aber ist viel weiter gespannt. Dumas führt in zahlreichen Rückblenden zurück in die Zeit der Französischen Republik 1789 bis 1794. Der Revolutionsregierung schloss sich die Zeit des Direktoriums an, das von Ende 1795 bis 1799 bestand und von Napoleon Bonaparte am 18. Brumaire 1799 gestürzt wurde. Napoleon als Erster Konsul war praktisch Alleinherrscher. Der Zweite und Dritte Konsul – sie hatten lediglich beratende Funktion.
Dumas' Beschreibungen von Bällen und Empfängen, Gefechten, Hinrichtungen, Bespitzelungsaktionen halten sich durchaus zuverlässig an die von ihm verwendeten Memoiren, Briefwechsel und amtlichen Dokumente. Historisch verbürgte Personen treten in Szenen und Unterredungen auf, die von der Geschichtsforschung heute als getreu wiedergegeben angesehen werden.
Ja, es stimmt: Vieles in diesem Roman ist durch Dokumente belegt, sogar die eingangs zitierten Schulden von Napoleons Gattin Joséphine. Ihre Verschwendungssucht hat damals in der Öffentlichkeit größtes Aufsehen erregt und Empörung ausgelöst. In seinen Anmerkungen hat Claude Schopp all diese Quellen, die Dumas benutzte, ausfindig gemacht.
Und das ist typisch für Dumas: Private Motive verknüpft er überaus geschickt mit hochpolitischen Entscheidungen. Liebe, Eifersucht, Intrigen, Machtgier, schwer durchschaubare Beziehungen und immer wieder überraschende Wendungen ziehen den Leser unwiderstehlich durch diesen wunderbaren Historienschmöker.
"Der Graf von Sainte-Hermine" schließt überdies eine Lücke im bisher bekannten Werk von Dumas. Dumas hatte die Geschichte Frankreichs in Romanen erzählen wollen – mehr als "romanhafter Historiker" denn als "historischer Romanschriftsteller". Aber ausgerechnet die Epoche des Aufstiegs und Fall von Napoleon Bonapartes – jene Zeit also, die er selbst erlebt hatte – kam in dem ausgedehnten Romanwerk des Franzosen zu kurz. Dumas fühlte sich vom Gewicht Napoleons erdrückt. Denn war nicht sein Vater, der General Alexandre Dumas, einst von Napoleon aus dem aktiven Dienst entfernt worden?
Dumas teilte die Geschichte Frankreichs in vier Epochen ein. Er unterschied sie anhand der Verteilung des Landbesitzes: Die Zeit der Lehensherrschaft, die Zeit des Feudalismus, die Zeit der Aristokratie und die Zeit des Privatbesitzes. Der Roman "Königin Margot" etwa behandelt den Verfall der Lehensherrschaft, die Abenteuer der drei Musketiere spielen in der Zeit des Untergangs des Feudalwesens. "Der Graf von Monte Christo" führt uns schon in die Neuzeit.
Nach dem ersten großen Erfolg seiner historischen Romane schrieb Dumas seinem Freund Bérenger:
"Mein ganzes künftiges Leben bilden im Voraus gefüllte Abteilungen, künftige Arbeiten, die bereits angelegt sind. Wenn Gott mir noch fünf Lebensjahre vergönnte, werde ich die Geschichte Frankreichs vom heiligen Ludwig bis zum heutigen Tag erschöpfend behandelt haben..."
Es blieben ihm aber – Gott sei dank! – noch 25 Jahre für unzählige wunderbare Geschichten.
Seine Methode erklärte Dumas damals so:
"Diejenigen, die jedes unserer Bücher für sich allein lesen, wundern sich vielleicht, dass wir manchmal auf Einzelheiten eingehen, die für das betreffende Buch etwas weit hergeholt erscheinen. Der Grund ist, dass wir das Buch nicht allein für sich geschrieben haben, sondern ... dass wir einen unermesslich großen Rahmen ausfüllen oder auszufüllen versuchen. Für uns beschränkt sich die Gegenwart unserer Figuren nicht auf ihr Auftreten in einem einzigen Buch: Der Mann, den Sie in diesem Buch als Adjudanten sehen, wird ihnen im nächsten als König wiederbegegnen und im dritten als Verfolgter, dessen Leben ein Erschießungskommando ein Ende setzt."
Und im Geist dieser Methode, im Berücksichtigen kleinster, ja manchmal nebensächlicher Details, sind Dumas' historische Romane vielleicht wahrhaftiger als die seriöse Geschichtsschreibung. Denn was ihm vorschwebte, schreibt Schott, waren nicht in die Geschichte eingebettete Romane mit pittoresken Kulissen, sondern Romane, in denen die Geschichte selbst eine tragende Rolle spielte und deren Helden die sozialen Klassen verkörperten.
Die Parallelen zu dem großen und hundertgesichtigen Zyklus "Die menschliche Komödie" von Honoré de Balzac sind unübersehbar. Das etwa zur gleichen Zeit begonnene Romanwerk des Alexandre Dumas aber könnte "Das Drama Frankreichs" heißen. Er war sich dieses Anspruchs stets bewusst.
Auf Deutsch ist Dumas' Roman jetzt unter dem Titel "Der Graf von Sainte-Hermine" im Münchner Verlag Blanvalet erschienen. Der Tausend-Seiten-Schmöker kostet 24,95 Euro und ist sein Geld durchaus wert. Denn wer D'Artagnan & Co. sowieso schon liebt, wird Vergnügen auch an diesem großartigen Buch finden.
Alexandre Dumas: "Der Graf von Sainte-Hermine" Blanvalet Verlag, 1040 Seiten, 24,95 Euro
"Sehen Sie selbst!"
"Und Joséphine holte unter ihrem Kissen ein Blatt Papier mit dem Briefkopf der Republik hervor. Es war eine gerichtliche Zahlungsaufforderung an den Ersten Konsul über den Betrag von vierzigtausend Francs, zahlbar für Handschuhe, geliefert an seine Ehefrau Madame Bonaparte."
"Zum Teufel!" sagte Bourienne. Bourienne war der Büroschreiber Bonapartes. "Damit ist nicht zu spaßen! Haben Sie Ihrem gesamten Hofstaat erlaubt, sich bei Madame Giraud auszustatten?"
"Nein, mein lieber Bourienne. Diese Handschuhe für vierzigtausend Francs waren nur für mich."
Dass Madame Bonaparte dann die damals – man schreibt das Jahr 1801 – unvorstellbare Summe von zwölfhunderttausend – also 1,2 Millionen Francs! – den verschiedensten Putzmachern von Paris für Kleider, Hüte, Handschuhe, Strümpfe, Pumps, Schleifen, Handtaschen und viele andere Accessoirs schuldete, ist nur eine der pikanten Informationen, die dieser bislang unbekannte Roman von Alexandre Dumas dem Älteren bereithält.
Dumas, der Altmeister des historischen Abenteuerromans, hatte auch hier penibel recherchiert und sich eng an die historischen Zeugnisse gehalten.
Doch dieser Roman mit dem Titel "Der Graf von Sainte-Hermine", soeben im Münchner Verlag Blanvalet erschienen, ist nicht nur eine Entdeckung, sondern sogar eine kleine Sensation.
Selbst Kenner und Literaturwissenschaftler hatten von diesem Werk nicht gehört. In keiner Bibliografie seiner Werke taucht er auf.
Es handelt sich um das letzte, allerdings unvollendet gebliebene Werk eines der erfolgreichsten Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. "Der Graf von Sainte-Hermine" erschien vom 1. Januar bis zum 30. Oktober 1869 im "Grand Moniteur universel" in 118 Kapiteln von relativ unregelmäßiger Reihenfolge.
Als Dumas am 5. Dezember 1870 68-jährig starb, befand Frankreich sich im Krieg mit Deutschland. Sein Verleger Michel Lévy hatte zwar bisher alle Bestseller seines Autors bis zur Neige ausgeschlachtet. Aber an Neuerscheinungen war er jetzt nur noch wenig interessiert oder hatte einfach andere Probleme oder ihn schlicht vergessen.
Auch wenn der Roman unvollendet blieb: Dumas hatte die veröffentlichten Teile für die Buchveröffentlichung noch selbst vorbereitet. Dieses Manuskript hat der französische Dumas-Forscher Claude Schopp 1990 in der Pariser Nationalbibliothek entdeckt. Allerdings fehlte auch hier der Schluss.
Jahre später: Bei seinen ausgedehnten Recherchen stieß Schopp in Prag auf weiteres Material. Zwar auch noch nicht direkt auf das Ende des 1000-Seiten-Romans, aber auf einen Brief von Dumas an Paul Dalloz, dem Herausgeber des "Grand Moniteur universel". Darin legt er ihm dar, wie er die Geschichte enden lassen wollte. Und nach diesen Ideen hat Schopp sich erlaubt, den Roman mit drei von ihm verfassten Schlusskapiteln abzuschließen.
Gehen wir zurück in die 20er-/30er-Jahre des 19. Jahrhunderts:
Seine Karriere als Schriftsteller hatte Dumas auf der Bühne begonnen. Ja, er feierte sogar sensationelle Erfolge, etwa 1829 mit dem Historiendrama "Heinrich III. und sein Hof". Oder im Jahr 1831. Da machte sein Stück "Antony", in dem es um einen Ehebruch ging, Tumult und Rumor und wurde mit 131 Aufführungen zum Renner des Jahres. Aber dann kam der Absturz, Dumas produzierte auf der Bühne nur noch Pleiten.
Die Rettung kam mit einer Revolution auf dem Zeitungsmarkt: Die Erfindung der Schnellpressen.
Sie ermöglichten die schnelle und preisgünstige Herstellung großer Auflagen. Tageszeitungen schossen wie Pilze aus dem Boden. Sie erfüllten das Informations- und Unterhaltungsbedürfnis eines breiten Publikums, das durch neue, liberale Pressegesetze wie auch durch die Hebung des allgemeinen Bildungsniveaus zu interessierten Käufern geworden war.
Natürlich gab es schon vorher Serienabdrucke in Zeitschriften. Aber erst die Tageszeitungen ermöglichten den klassischen Fortsetzungsroman, der eigens für die Zeitung und von Tag zu Tag fortgeschrieben war.
Vor allem in Frankreich blühte das Genre auf. Wie auch in England und Deutschland galt der populäre Roman nicht als Literatur, war jedoch äußerst einträglich.
Vorreiter war Eugène Sue, der mit seinen 1842 und 1843 erschienenen "Geheimnissen von Paris" gleich weltbekannt wurde. Für seinen nächsten Fortsetzungsroman "Der ewige Jude" erhielt Sue einen Vorschuss von 100.000 Francs – eine Summe, für die ein Handwerker seinerzeit mindestens 70 Jahre lang hätte arbeiten müssen.
Sues "Geheimnis"–Schmöker entwickelte sich zur Kultserie und hat Tag für Tag nach Auslieferung des "Journal des Débats" das gesamte öffentliche Leben der französischen Hauptstadt für eine Stunde völlig zum Erliegen gebracht: Vom Parlamentarier bis zum letzten Müllmann – alle vertieften sich in die Geschichte.
Trotz dieser exorbitanten Honorare verdienten aber vor allem auch die Verleger. Die Zahl der Abonnenten stieg dank der Fortsetzungsromane um sagenhafte 700 Prozent.
Dumas beteiligte sich an der neuen Entwicklung umgehend und gleich mehrfach. Hatte er nicht kostspielige Geliebte und teure Wohnungen zu finanzieren?
Ab März 1844 erschienen von ihm gleich drei Romane in drei verschiedenen Pariser Zeitungen: "Die drei Musketiere" in 82 Folgen, "Der Graf von Monte Christo" in 150 Folgen und der "Valois"-Zyklus, der bis 1847 fortgesetzt wurde. 1845 verlängerte er den Musketier-Stoff mit "Zwanzig Jahre danach" und 1847 nochmals mit dem "Vicomte de Bragelonne", in dem er seine Musketier-Helden sterben lässt. Aber auch den "Graf von Monte Christo" schrieb er bis 1859 weiter. Um die Figur des Wunderheilers und Scharlatans Cagliostro strickte er von 1846 bis 1855 gleich vier Fortsetzungsromane. Die Zeitungen rissen ihm die Manuskripte aus der Hand.
Das Halsband der Königin", "Königin Margot" "Gabriel Lambert", "Der Ratschluss des Magiers" – am Ende waren es mindestens 250 Romane in über 400 Bänden! Hinzu kommen weitere 25 Bände allein mit seinen Theaterstücken! Dumas' Bücher liegen heute in rund 100 Sprachen vor.
Millionen flossen, aber Dumas gab sie mit leichter Hand wieder aus. Er baute sich ein Schloss, gründete selber eine Zeitung, kaufte zwei Segelschiffe und unterstützte den italienischen Freiheitshelden Garibaldi mit Waffen und Uniformen. Eigentlich aber war er bankrott, musste sogar seinen Privatzoo und seine Pferde verkaufen. Dennoch ging es immer weiter.
Alexandre Dumas schrieb mit kaum zu überbietender Leichtigkeit. Trotzdem: Ein solches Arbeitspensum konnte er nur mithilfe zahlreicher Zu- und Mitarbeiter bewältigen. Meist lieferte er selbst nur das Exposé und entwickelte die Erzählstränge und Charaktere. In seinen Memoiren gestand Dumas ein, eine Reihe der unter seinem Namen erschienenen Schriften, besonders die Erzählungen, gar nicht selbst oder nur teilweise allein verfasst zu haben.
Zeitweise, so hat der emsige Joseph M. Quérard recherchiert, arbeiteten in Dumas' Romanfabrik mindestens 74 Lohnschreiber und Rechercheure. Die plünderten schamlos die kleineren und größeren Veröffentlichungen von Zeitgenossen aus, darunter Werke von Chateaubriand, Gosselin, Thierry, vor allem aber von den Tagesgrößen.
Unter Dumas' Mitarbeitern finden sich bekannte Namen wie der Dichter Gérard de Nerval und der Historiker und Schriftsteller Auguste Maquet, der bis zu seinem frühen Tod 1851 für ihn tätig war. Maquet soll sogar 18 von Dumas' berühmtesten Romanen allein geschrieben haben: Darunter Die drei Musketiere
Der Stoff geht übrigens auf die Memoiren des Musketiers d'Artagnan zurück, die ein Courtilz de Sandras erfunden hatte.
Mauquet habe auch die größten Teile des Grafen von Monte Christo geschrieben, heißt es. Und, so wird vermutet, ebenfalls die berühmten Tagebücher der Pariser Henkersfamilie Sanson.
Da kaufte Dumas der Ältere etwa einem armen Schriftsteller namens Auger ein Manuskript ab, das der mit Kameliendame betitelt hatte. Doch damals war jener Frauentyp – die Heldin hörte ursprünglich auf den Namen Fernande – noch nicht hoch notiert, trug weder Kamelien noch Tantiemen ein. Das Manuskript blieb liegen und ging auf den Sohn über. Alexandre Dumas junior brachte 1852 den Text zum berühmten Knalleffekt, indem er den jungen Armand Duval sagen lässt: "Sie alle sind Zeugen, dass ich dieses Weib bezahlte und ihr nichts mehr schuldig bin."
Selbst die Polizei von Paris hat Dumas' Romanfabrik zugearbeitet. Anfang des Jahres 1999, mithin anderthalb Jahrhunderte später, berichtete Claude Charlot, der Leiter des Archivs der Pariser Polizei, in einer hausinternen Zeitung über die Entdeckung von Aufzeichnungen eines seiner Vorgänger. Danach hat der 1760 geborene Archivar Jacques Peuchet verschiedene Novellen verfasst. Unter ihnen befindet sich eine, in der die authentische Geschichte eines Mannes erzählt wird, der sieben Jahre unschuldig im Gefängnis verbringen muss, nach der Entlassung Reichtum erwirbt und sich rächt.
Das war die Quelle, aus der Alexandre Dumas – oder richtiger wohl Auguste Maquet – für seinen erfolgreichsten Roman Der Graf von Monte Christo geschöpft hat.
Dumas' letzter Streich war 1869/70 die Geschichte des Grafen Saint-Hermine. Da war sein Schreibbüro längst aufgelöst, und er allein auf sein Wissen und Können gestellt.
Und anhand der Veröffentlichungsgeschichte, wie Claude Schopp sie im "Moniteur universel" recherchiert hat, lässt sich noch einmal die Entstehung von Zeitungsromanen veranschaulichen.
Das Feuilleton fand traditionell am Fuß der ersten und zweiten Seite statt – in Deutschland sagte man später "unter dem Strich". Die erste Lieferung aus 22 Kapiteln erschien täglich, nur montags unterbrochen von der aktuellen Theaterkritik. Dann gab es wiederholt größere Unterbrechungen. Woraus sich nur schließen lässt, dass Dumas den ersten Teil bereits vor Veröffentlichung fertiggestellt hatte, die weiteren Lieferungen aber ad hoc verfasst hat, und es ihm wohl oft nicht gerade leicht fiel, ausreichend Stoff für die täglichen Fortsetzungen zu verarbeiten.
Eine solche Arbeitsweise erzeugt natürlich kleinere inhaltliche Unstimmigkeiten. Da verwandelt sich eine Brigg etwa in einen Kutter oder aus 300 Kombattanten werden plötzlich vierhundert. Napoleon selbst erinnert sich viele Kapitel zu spät, dass er einmal in Madame Permon verliebt war. Die Schlacht und Eroberung von Gaeta durch die Franzosen findet nach der Schlacht von Jena und Auerstädt statt, und nicht, wie historisch richtig, ein halbes Jahr zuvor. Das sind anschauliche Beispiele für die Arbeitsweise eines Verfassers von Fortsetzungsromanen. Gewöhnlich wurden solche Fehler und Ungereimtheiten in den Buchausgaben bereinigt.
Hector de Sainte-Hermine ist der letzte Nachfahre eines Adelsgeschlechts, das während der Französischen Revolution nahezu völlig ausgelöscht wurde. Hector ist an einen Eid gebunden, Rache zu nehmen und den Royalisten treu zu dienen. Doch Hector ist hin- und hergerissen, da er Napoleon seinen Respekt nicht versagen kann. Diese Unentschlossenheit führt den Helden in die Kerker der französischen Republik, auf die Schlachtfelder Europas und zu den Korsaren des indischen Ozeans – immer flankiert von einer großen, überdauernden Liebe.
Die Handlung des Romans ist in dem Zeitraum von Februar 1801 bis April 1809 angesiedelt. Der Handlungsbogen aber ist viel weiter gespannt. Dumas führt in zahlreichen Rückblenden zurück in die Zeit der Französischen Republik 1789 bis 1794. Der Revolutionsregierung schloss sich die Zeit des Direktoriums an, das von Ende 1795 bis 1799 bestand und von Napoleon Bonaparte am 18. Brumaire 1799 gestürzt wurde. Napoleon als Erster Konsul war praktisch Alleinherrscher. Der Zweite und Dritte Konsul – sie hatten lediglich beratende Funktion.
Dumas' Beschreibungen von Bällen und Empfängen, Gefechten, Hinrichtungen, Bespitzelungsaktionen halten sich durchaus zuverlässig an die von ihm verwendeten Memoiren, Briefwechsel und amtlichen Dokumente. Historisch verbürgte Personen treten in Szenen und Unterredungen auf, die von der Geschichtsforschung heute als getreu wiedergegeben angesehen werden.
Ja, es stimmt: Vieles in diesem Roman ist durch Dokumente belegt, sogar die eingangs zitierten Schulden von Napoleons Gattin Joséphine. Ihre Verschwendungssucht hat damals in der Öffentlichkeit größtes Aufsehen erregt und Empörung ausgelöst. In seinen Anmerkungen hat Claude Schopp all diese Quellen, die Dumas benutzte, ausfindig gemacht.
Und das ist typisch für Dumas: Private Motive verknüpft er überaus geschickt mit hochpolitischen Entscheidungen. Liebe, Eifersucht, Intrigen, Machtgier, schwer durchschaubare Beziehungen und immer wieder überraschende Wendungen ziehen den Leser unwiderstehlich durch diesen wunderbaren Historienschmöker.
"Der Graf von Sainte-Hermine" schließt überdies eine Lücke im bisher bekannten Werk von Dumas. Dumas hatte die Geschichte Frankreichs in Romanen erzählen wollen – mehr als "romanhafter Historiker" denn als "historischer Romanschriftsteller". Aber ausgerechnet die Epoche des Aufstiegs und Fall von Napoleon Bonapartes – jene Zeit also, die er selbst erlebt hatte – kam in dem ausgedehnten Romanwerk des Franzosen zu kurz. Dumas fühlte sich vom Gewicht Napoleons erdrückt. Denn war nicht sein Vater, der General Alexandre Dumas, einst von Napoleon aus dem aktiven Dienst entfernt worden?
Dumas teilte die Geschichte Frankreichs in vier Epochen ein. Er unterschied sie anhand der Verteilung des Landbesitzes: Die Zeit der Lehensherrschaft, die Zeit des Feudalismus, die Zeit der Aristokratie und die Zeit des Privatbesitzes. Der Roman "Königin Margot" etwa behandelt den Verfall der Lehensherrschaft, die Abenteuer der drei Musketiere spielen in der Zeit des Untergangs des Feudalwesens. "Der Graf von Monte Christo" führt uns schon in die Neuzeit.
Nach dem ersten großen Erfolg seiner historischen Romane schrieb Dumas seinem Freund Bérenger:
"Mein ganzes künftiges Leben bilden im Voraus gefüllte Abteilungen, künftige Arbeiten, die bereits angelegt sind. Wenn Gott mir noch fünf Lebensjahre vergönnte, werde ich die Geschichte Frankreichs vom heiligen Ludwig bis zum heutigen Tag erschöpfend behandelt haben..."
Es blieben ihm aber – Gott sei dank! – noch 25 Jahre für unzählige wunderbare Geschichten.
Seine Methode erklärte Dumas damals so:
"Diejenigen, die jedes unserer Bücher für sich allein lesen, wundern sich vielleicht, dass wir manchmal auf Einzelheiten eingehen, die für das betreffende Buch etwas weit hergeholt erscheinen. Der Grund ist, dass wir das Buch nicht allein für sich geschrieben haben, sondern ... dass wir einen unermesslich großen Rahmen ausfüllen oder auszufüllen versuchen. Für uns beschränkt sich die Gegenwart unserer Figuren nicht auf ihr Auftreten in einem einzigen Buch: Der Mann, den Sie in diesem Buch als Adjudanten sehen, wird ihnen im nächsten als König wiederbegegnen und im dritten als Verfolgter, dessen Leben ein Erschießungskommando ein Ende setzt."
Und im Geist dieser Methode, im Berücksichtigen kleinster, ja manchmal nebensächlicher Details, sind Dumas' historische Romane vielleicht wahrhaftiger als die seriöse Geschichtsschreibung. Denn was ihm vorschwebte, schreibt Schott, waren nicht in die Geschichte eingebettete Romane mit pittoresken Kulissen, sondern Romane, in denen die Geschichte selbst eine tragende Rolle spielte und deren Helden die sozialen Klassen verkörperten.
Die Parallelen zu dem großen und hundertgesichtigen Zyklus "Die menschliche Komödie" von Honoré de Balzac sind unübersehbar. Das etwa zur gleichen Zeit begonnene Romanwerk des Alexandre Dumas aber könnte "Das Drama Frankreichs" heißen. Er war sich dieses Anspruchs stets bewusst.
Auf Deutsch ist Dumas' Roman jetzt unter dem Titel "Der Graf von Sainte-Hermine" im Münchner Verlag Blanvalet erschienen. Der Tausend-Seiten-Schmöker kostet 24,95 Euro und ist sein Geld durchaus wert. Denn wer D'Artagnan & Co. sowieso schon liebt, wird Vergnügen auch an diesem großartigen Buch finden.
Alexandre Dumas: "Der Graf von Sainte-Hermine" Blanvalet Verlag, 1040 Seiten, 24,95 Euro