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Sensationsfund im Buchrücken

In einer Bibliothek in Mainz wurde in einem Buchrücken ein Stück altes Pergament aus dem Mittelalter gefunden. Darauf zu lesen sind Teile eines mittelalterlichen Epos über die Heilige Elisabeth von Thüringen. Forscher schätzen den Fund als außerordentlich bedeutsam ein.

Von Ludger Fittkau |
    Der Marburger Philologe Daniel Könitz liest eine Stelle aus dem bisher unbekannten, gereimten Text über die heilige Elisabeth von Thüringen. 63 Textzeilen aus dem Epos, das etwa 2000 bis 3000 Verse umfassen dürfte und wohl zu Beginn des 14. Jahrhunderts entstanden ist, sind jetzt in der Mainzer Martinus-Bibliothek entdeckt worden.

    Handschriftlich aufgezeichnet ist der Text auf zwei gerade einmal postkartengroßen Pergamentstücken. Daniel Könitz:

    "Eine Elisabeth-Geschichte, die hier aufgeschrieben wurde, die zu keiner der bekannten Elisabeth-Geschichten auch vom Umfang her passt. Wir haben eine, die hat 10.000 Verse. Das ist bei diesem Format in dieser Größe überhaupt nicht möglich, soviel aufzuschreiben, weil sie dieses Buch kaum auseinanderbiegen könnten. Das ist nahezu ausgeschlossen."

    Das Pergament mit der mittelalterlichen Elisabeth-Dichtung wurde zweihundert Jahre nach der Entstehung zur Verstärkung eines Buchrückens einer in Paris gedruckten und im Raum Mainz gebundenen Vergil-Ausgabe verwendet.

    "Bereits zweihundert Jahre danach war das Interesse an der heiligen Elisabeth wohl kurzzeitig eingeschlafen. Sodass eben der Buchbinder damals dieses Blatt oder vielleicht einen ganzen Stapel von Elisabeth-Blättern verarbeitet hat in neue Bücher des 16. oder vielleicht auch des 17. Jahrhunderts dann später."

    Beschrieben wird in dem jetzt gefundenen Text eine Szene aus dem Leben Elisabeths: Drei Jahre vor ihrem frühen Tod 1231 kommt sie vom Hof des thüringischen Landgrafen in Erfurt nach Marburg, um dort ein Spital für Bedürftige zu gründen. Philologe Daniel Könitz:

    "Zum Inhalt kann man sagen, dass eigentlich als Episode erzählt wird, wie die heilige Elisabeth nach ihrer Ankunft in Marburg beim lieben Gott quasi um Stärke im Gebet anruft. Dass er ihr Kraft geben möge, um eben ihr künftiges, karitatives Leben angehen zu können, diese Kraft zu bekommen, sich von all dem, was sie als Landgräfin von Thüringen besessen hat, dass sie dem entsagt, auch ihre Kinder in andere Obhut übergibt, ihre Gefolgschaft weggibt."

    Vier gereimte Elisabeth-Dichtungen in deutscher Sprache waren bisher bekannt, der jetzt in Mainz entdeckte Text gehört zu den frühesten Erzählungen über die im Mittelalter sehr populäre Elisabeth, die bereits 1235 heiliggesprochen wurde, vier Jahre nach ihrem Tod mit 21 Jahren. Elisabeth sei eine von lediglich vier Heiligen aus dem Erzbistum Mainz gewesen, die im Mittelalter heiliggesprochen wurden, betont Helmut Hinkel, der Direktor der Mainzer Martinus-Bibliothek:

    "Auch Elisabeth ist nur auf Druck des Deutschen Ordens und vom Kaiser Friedrich II. heiliggesprochen worden. Der Erzbischof Siegfried von Eppstein hat sich heftigst gewehrt, nicht weil es eine Frau ist, sondern er wollte überhaupt keinen neuen Heiligen, sondern er wollte nur biblische und frühchristliche Heilige. Im ganzen Mittelalter ist der Mainzer Heiligenkalender nur um vier Heilige angereichert worden, zwei Männer und zwei Frauen, sonst nichts."

    Die älteste bisher bekannte "Biografie" Elisabeths von Thüringen entstand um 1300. Doch das jetzt in Mainz entdeckte Gedicht könnte noch älter sein. Möglicherweise über das Internet will die Mainzer Martinus-Bibliothek nun nach weiteren Vergil-Ausgaben suchen, die 1517 in Paris gedruckt wurden und im Raum Mainz einen festen Einband bekommen haben, in den das Pergament mit dem Elisabeth-Text verarbeitet wurde. Bibliotheks-Chef Helmut Hinkel:

    "Es gibt Datenbanken, es gibt auch Fachleute, die Buchbinder machen, wir haben zum Beispiel bei unserem Nibelungenlied den Nibelungen-Buchbinder in Mainz feststellen können"

    Für den Marburger Daniel Könitz vom Institut für Deutsche Philologie des Mittelalters ist jetzt schon eines klar: Beim Mainzer Fragment der bisher unbekannten Elisabeth-Dichtung handelt es sich um einen literaturgeschichtlich außerordentlich bedeutsamen Fund:

    "Da kann man von einem ganz großen Wert für die Literurgeschichte ausgehen, auch vor dem Hintergrund, dass wir eben bisher nur das eine Blatt haben des bisher unbekannten Werks der Elisabeth-Dichtung. Da ordnet es sich literaturgeschichtlich sehr gut ein und hat wirklich einen sehr hohen Stellenwert für unsere altgermanistische Aufbereitung der Literatur des Mittelalters."