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Sensibilisieren für die Geschichte der Schoah

Muslime machen sich oft nicht klar, wie heikel Themen wie Israel, Judentum und Antisemitismus in Deutschland sind. Um mehr über die jüngere deutsche Geschichte zu erfahren, haben nun Imame des größten Moschee-Verbandes in Hamburg Neuengamme besichtigt.

Von Rainer Scholz |
    "Wir sind ja nicht wenig, wir sind 16 Imame insgesamt von verschiedenen Gemeinden und verschiedenen Nationalitäten. Also: Es besteht ein ganz großer Informationsbedarf, wir wollen gern den Imamen außerhalb der Moschee auch zeigen, was diese Stadt und dieses Land zu bieten hat."

    Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme in Hamburg hatte in der vergangenen Woche einen außergewöhnlichen Besuch. Eine Gruppe muslimischer Geistlicher aus Hamburger Moscheen besuchten zum großen Teil erstmals das ehemalige Konzentrationslager:

    "Ich wollte Sie nur einmal ganz herzlich begrüßen in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Ich freue mich, dass sie so zahlreich erschienen sind und ich wünsche ihnen einen anregenden Aufenthalt. Mein Name ist Dr. Oliver von Wrochem. Ich leite hier das Studienzentrum der Gedenkstätte. Vielleicht übersetzen sie."

    Organisiert hat den Ausflug die Schura, der Dachverband der meisten Moscheen in Hamburg. Sie nehme damit einen wichtigen Bildungsauftrag wahr, so deren Vorsitzender Mustafa Yoldas. Ihr komme es nicht nur darauf an, den Imamen zu zeigen, was die Shaoh war – ein Wissen, ohne das Deutschlands besondere Haltung gegenüber Israel nicht verstanden werden könne. Es sei der Schura auch wichtig, deutlich zu machen,

    "wie Ideologien, ob sie nun politisch gefärbt sind oder religiös gefärbt sind, wo sie enden können. Dass man schon von vornherein gegen jegliche extremistische Bestrebungen Einhalt gebieten muss. Es ist letztendlich auch Staatsbürgerkunde, wenn sie so wollen, den Imamen die Möglichkeit zu geben, sich mit der Historie in und um Hamburg auseinander zu setzen und dann auch zu zeigen, dass in dieser Gedenkstätte auch Spuren muslimischer Existenz waren."

    Nach 1945 wurde das Gelände des früheren KZs am Rande von Hamburg zunächst als Internierungslager und später viele Jahre als Jugendstrafanstalt genutzt. Das führte dazu, dass die meisten der alten Gebäude und Baracken - sie waren überwiegend aus Holz – nicht mehr stehen. Interessierte besichtigen deshalb neben einer großen leeren Freifläche, auf denen die Umrisse der früheren Bauten markiert sind, vor allem eine große Ausstellung.

    Saadetin Sögüt, Imam der islamischen Moschee in Steilshoop, notiert fleißig was er hört mit einem kleinen Bleistift in einen Mini-Block. Er ist schon das Zweite Mal hier, gesteht aber, dass er das hier Gesehene seinen Gemeindemitgliedern nur sehr vorsichtig beibringen kann:

    "Allgemein können wir nicht reden. Weil manche Leute sind Gegner. Es gibt zwischen uns auch rassistische Leute. Macht unserer Arbeit Schwierigkeiten."

    Angesichts des bei dem Besuch vor allem durch die Berichte der Öffentlichkeitsreferentin und die viele Zeichnungen von Häftlingen vermittelten Grauens bleiben auch nach einem zweistündigen Geschichtsrundgang noch viele Fragen offen. Yaro:

    "Es gab auch Religionsangehörigkeitsverfolgung. Gab es auch hier Muslime. Das ist die erste Frage. Die zweite Frage: Wie viel ungefähr sind ermordet worden und wie viel haben überlebt. Die dritte Frage: Die SS-Leute, kann man auch das besichtigen, kann man das angucken, wie die damals gelebt haben."

    Im Konzentrationslager Neuengamme und den 86 Außenlagern waren über 100.000 Menschen inhaftiert. Sie kamen aus ganz Europa. Mehr als 42.000 Häftlinge mussten sich in diesem Arbeitslager bei der Ziegelproduktion zu Tode schuften oder wurden umgebracht. Um diese Dimensionen überhaupt nachvollziehen zu können, sei ein solcher Besuch nicht nur für Muslime sehr wichtig, betont Ahmed Yazici vom Bündnis islamischer Gemeinden. Yazici:

    "Das Vorwissen ist natürlich nur sehr oberflächlich. Ich bin ja selbst hier zur Schule gegangen und muss sagen, erst durch den Besuch der Gedenkstätte hier bzw. der KZs habe ich den Umfang einigermaßen begriffen, dass muss man an Ort und Stelle sehen, dann hat man auch ein anderes Verständnis."

    Nach dem Rundgang, zeigten sich die Imame mit der Führung durch die Gedenkstätte hoch zufrieden.

    Demnächst werden die muslimischen Geistlichen der Hansestadt die Hamburgische Bürgerschaft besuchen und den Bundestag in Berlin.