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Separatisten-Kundgebungen
Hitziger Nationalfeiertag in Katalonien

Der 11. September ist Nationalfeiertag in Katalonien. Der Tag gedenkt der Niederlage Barcelonas im spanischen Erbfolgekrieg vor 301 Jahren. Lange Zeit wurde die Diada, wie die Feier auf katalanisch genannt wird, kaum beachtet. Doch seit einigen Jahren demonstrieren an diesem Tag Hunderttausende für eine Abspaltung von Spanien - so auch heute.

Von Hans-Günter Kellner | 11.09.2015
    Katalanen tanzen Sardana in Barcelona mit der Fahne der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung
    Katalanen tanzen Sardana in Barcelona mit der Fahne der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung (picture alliance / dpa / Robert B. Fishman)
    "Freie Fahrt für die katalanische Republik" steht auf den T-Shirts, die die katalanische Nationalversammlung zur diesjährigen Massenkundgebung zum Nationalfeiertag verkauft. Die Teilnehmer sollen sich einheitlich kleiden, so der Aufruf der Bürgerinitiative. Der Verkauf läuft gut, vor dem Sitz der Organisation unweit der Sagrada-Familia-Kathedrale in Barcelona bilden sich lange Schlangen. Sandra, eine schlanke junge Katalanin, erklärt den historischen Hintergrund: "Wir gedenken unserer Niederlage von 1714 im spanischen Erbfolgekrieg. Es gab zwei Kandidaten auf den spanischen Thron, Philipp V., für den die Spanier kämpften, und Karl der Habsburger. Wir waren für die Habsburger, aber Philipp V. gewann. Das bedeutete das Ende unserer Unabhängigkeit, unsere Sprache wurde verboten."
    Doch es geht um viel mehr als um ein historisches Ereignis – um dessen Interpretation Nationalisten und Nicht-Nationalisten heftig streiten, meist ohne dabei auf Geschichtswissenschaftler zu hören. Die gesellschaftliche Stimmung ist in Katalonien seit Jahren enorm aufgeladen. Die Demonstration soll auch in diesem Jahr ein Schrei nach Unabhängigkeit werden, erklärt Sandras Partner Iván: "Alles ist so teuer und sie geben uns dafür nichts. Wir wollen solidarisch sein. Aber der Staat verteilt die Steuermittel einfach ungerecht. Natürlich wirkt sich das bei uns auch auf die Sozialpolitik aus. In den Krankenhäusern wird es immer schlimmer. Wir bezahlen immer nur und helfen den anderen. Und nichts oder nur sehr wenig kommt zurück."
    Die katalanische Identität verteidigen
    In den Büros und Versammlungsräumen der Organisation kleben unterdessen die Mitglieder Plakate und organisieren die Demonstration zum Festtag. Eine große Karte von Barcelona hängt an der Wand, daran kleben gelbe Zettel, jeder steht für einen Block der Teilnehmer. So weiß jeder Demonstrant schon vorher, wo er sich einreihen soll, erklärt die 29-jährige Francesca Ferreres, die sich um die ausländischen Komitees der Unabhängigkeitsbewegung kümmert. Für sie geht es vor allem darum, ihre katalanische Identität zu verteidigen. Ausländische Besucher erstaunt es immer wieder, zu hören, Kataloniens Identität werde angegriffen, schließlich sind die Kultur und Sprache der Region im öffentlichen Leben allenthalben präsent, drängen stellenweise sogar das Spanische zurück. Für Francesca ist es eine Frage des Gefühls: "Viele respektieren uns schon, aber eben nicht vollkommen. Die Regierung lässt von den Gerichten immer wieder Gesetze unseres Parlaments für ungültig erklären. Der Gebrauch unserer Sprache war während der Franco-Diktatur teilweise verboten. Nein, wir fühlen uns in unserer eigenständigen Identität nicht respektiert."
    Die Demonstration ist der Auftakt zu den Regionalwahlen in Katalonien am 27. September. Die Parteien und Bürger, die für die Unabhängigkeit stehen, haben sich zu einer gemeinsamen Wahlliste zusammengeschlossen – trotz großer ideologischer Unterschiede. So werfen die linken Separatisten den regierenden konservativen Nationalisten ihre Sozialpolitik mit harten Sozialkürzungen und eine Parteispendenaffäre vor. Auf die Frage, wie ein solches Bündnis nach den Wahlen eine Regierung bilden soll, hat auch Gabriel Rufian Romero, Vorstandsmitglied der Katalanischen Nationalversammlung, keine Antwort: "Wir wollen gewinnen. Eine Mehrheit im Parlament erreichen. Dann wollen wir an allen Türen anklopfen, die es gibt. Die Europäische Union kann es sich nicht leisten, auf Katalonien als Nettozahler zu verzichten, uns hinauszuwerfen. Wir rufen die EU auf, pragmatisch zu sein und die beste Lösung für alle zu erreichen: Ein unabhängiges Katalonien, das zum Wohlstand der Europäischen Union beiträgt."
    Massive Kundgebung für die Unabhängigkeit
    Der Appell an die Europäische Union hat einen Grund: Einer Road-Map zufolge planen die Separatisten in 18 Monaten eine einseitige Unabhängigkeitserklärung und hoffen, von Europa als Staat anerkannt zu werden. Die spanische demokratische Verfassung, der 1978 auch eine übergroße Mehrheit der Katalanen zugestimmt hatte, lässt eine solche Abspaltung hingegen nicht zu. Und über eine Reform hin zu einem echten Föderalstaat, wie sie Spaniens Sozialisten vorschlagen, wollen die Separatisten nicht diskutieren.
    "Sie machen es wirklich gut. Ich wünschte, wir hätten auch so viel Geld um erklären zu können, wie gut es uns allen gehen würde, blieben wir zusammen", sagt Isabel Porcel, als sie sich das Päckchen mit dem T-Shirt, Buttons und Balkonfahnen der Separatisten ansieht. Sie gehört der Vereinigung „Katalanische Zivilgesellschaft" an, die sich gegen die Unabhängigkeit richtet. Die Organisation hat es nicht leicht, sich Gehör zu verschaffen, schließlich richtet sie sich gegen eine Bewegung, die niedrigere Steuern, mehr Arbeitsplätze, höhere Sozialausgaben und sogar weniger Korruption verspricht. Doch auch die 27-jährige Juristin will nicht alles so belassen, wie es ist: "Einverstanden, wir brauchen Reformen. Wir haben hier Probleme, die gelöst werden müssen. Aber wir müssen uns gegenseitig respektieren, miteinander sprechen. Mit Spanien zu brechen, führt auch unter uns Katalanen zur Konfrontation. Niemand ist unabhängig, wir leben in einer globalen Welt. Wir wollen keine neuen Grenzen."
    Trotzdem ist die Feier zum katalanischen Nationalfeiertag wieder eine massive Kundgebung für die Unabhängigkeit. Doch das Bild der Einigkeit täuscht: Nach jüngsten Umfragen könnte es bei den Regionalwahlen in zwei Wochen für die Separatisten zwar zu einer knappen Mehrheit der Sitze im Parlament, aber nicht zu einer Mehrheit der abgegebenen Stimmen reichen.