Proteste in Serbien
Widerstand gegen das „System Vučić“ wächst

In Serbien geht eine Protestwelle durch das Land – gegen Korruption und Behördenwillkür. Wie kam es zu den Protesten und wie geht es nun weiter?

    Demonstranten mit Flaggen in den Straßen Belgrads
    "Korruption tötet", lautet der Schlachtruf der Demonstranten - für die Großdemonstration Mitte März waren Teilnehmer aus dem ganzen Land in die serbische Hauptstadt gereist (picture alliance / Spasa Dakic)
    Seit Herbst 2024 befindet sich Serbien fest im Griff von Protesten gegen die Regierung. Die jüngste Demonstration Mitte März in Belgrad gilt als eine der größten im Land seit Jahrzehnten.
    Als Auslöser für die anhaltenden Proteste gilt ein Unglück in der nordserbischen Stadt Novi Sad, wo im November 2024 15 Menschen unter einem einstürzenden Bahnhofsvordach starben. Kritiker sehen die Ursache für das Unglück in Korruption in Kreisen der Regierung. Die Proteste stellen eine große Herausforderung für Präsident Aleksandar Vučić dar, der seit zwölf Jahren entweder als Ministerpräsident oder Präsident regiert.

    Inhalt

    Wie kam es zu den Protesten in Serbien?

    Am 1. November 2024 stürzte in der nordserbischen Stadt Novi Sad das Vordach des Bahnhofs ein. Bei dem Unglück kamen 15 Menschen ums Leben. Studierende organisieren seit dem Vorfall Proteste und fordern von der Regierung, Verantwortung zu übernehmen und den Fall aufzuklären. Die Demonstrierenden sehen die tief verwurzelte Korruption im Land als Ursache für den Einsturz. Denn das Bahnhofsgebäude war erst kurz zuvor saniert und im Juli 2024 wieder in Betrieb genommen worden.
    Zu Beginn der Proteste gingen vor allem Studierende auf die Straße. Nachdem die Behörden anfangs hart durchgriffen und auch prominente Demonstranten verhafteten, wuchs die Protestwelle.
    An der bislang größten Demonstration gegen Korruption Mitte März in Belgrad sollen zwischen 275.000 und 325.000 Menschen teilgenommen haben. Offizielle Zahlen liegen nicht vor. Das Innenministerium gab die Teilnehmerzahl mit etwa 100.000 an. Dabei kam es zu Zusammenstößen zwischen einzelnen Gruppen – auch Anhänger der Regierung hatten mobil gemacht.

    Wie reagiert die Regierung?

    Bislang hat die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit dem Dacheinsturz 13 Personen angeklagt. Der ehemalige Bauminister Goran Vesić wurde jedoch aus der Untersuchungshaft entlassen, was Zweifel an der Unabhängigkeit der Ermittlungen aufkommen ließ.
    Die Regierung hat zudem eine Anti-Korruptionskampagne angekündigt. Ministerpräsident Miloš Vučević sowie zwei Minister sind im Zuge der Proteste zurückgetreten. Vučević sagte, der unmittelbare Grund für seinen Rücktritt sei ein Angriff auf eine Studentin in Novi Sad. Mit seinem Rücktritt wolle er die Lage beruhigen und die Gesellschaft nicht weiter spalten.
    Die Regierung weist Vorwürfe der Bestechung und Inkompetenz zurück und hat erklärt, westliche Geheimdienste unterstützten Versuche zur Destabilisierung Serbiens – ein Vorwurf, den auch Kremlchef Wladimir Putin geäußert hatte.
    Präsident Vučić ruft abwechselnd zum Dialog auf oder macht ausländische Einmischung für die Proteste verantwortlich. Mitte März sagte er, dass er sich von den Demonstrationen nicht unter Druck setzen lasse. Er werde es nicht zulassen, "dass die Straße die Regeln diktiert".

    Weswegen steht die Regierung von Präsident Vučić in der Kritik?

    Aleksandar Vučić ist in wechselnden Funktionen seit zwölf Jahren an der Macht in Serbien. Seit 2017 ist er Präsident des Landes. Immer wieder wird gegen seinen autokratischen Regierungsstil demonstriert. Der Vorwurf: Vučić habe Serbien in einen Parteistaat verwandelt und kontrolliere die wichtigsten Medien des Landes.
    Oppositionsparteien und Menschenrechtler werfen Vučić und seiner SNS-Partei Bestechung von Wählern, Unterdrückung der Medienfreiheit, Gewalt gegen Oppositionelle, Korruption und Verbindungen zum organisierten Verbrechen vor. Vučić und seine Verbündeten streiten diese Vorwürfe ab.
    Serbien hat historische Beziehungen zu Russland und dem Westen. Das Land ist Kandidat für einen Beitritt zur Europäischen Union. Die Aussicht auf einen Beitritt des Landes gilt derzeit aber als gering, da Belgrad zunächst grundlegende Reformen verabschieden müsste.
    Die Regierungspartei hat jedoch auch Unterstützer. Offiziell hat die SNS etwa 700.000 Mitglieder. „Das sind Menschen, die mit Arbeitsstellen erpresst werden“, sagt Janko Baljak, der sich auch an den Demonstrationen gegen die Regierung beteiligt hatte. Sollte Vučić die Macht verlieren, müssten sie um ihren Job bangen. Andere hätten Straftaten begangen und fürchteten nach einem Regierungswechsel rechtliche Konsequenzen.

    tan, lkn, csh