Tom Koenigs: Guten Morgen, Herr Heinemann!
Christoph Heinemann: Herr Koenigs, Serbien hatte das Gutachten in Auftrag gegeben, kann man das Ergebnis jetzt sozusagen als Belgrader Eigentor beschreiben?
Koenigs: Ja, irgendwie ist es das, denn jetzt weiß Belgrad noch deutlicher als zuvor und sozusagen ex officio, dass eine Rechtsverletzung nicht stattgefunden hat und dass sie besser daran getan hätten, sich auf den ja sehr weitgehenden und ihnen auch entgegenkommenden Vorschlag von Ahtisaari einzulassen, die eine begrenzte Autonomie der Regionen und der Gemeinden im Kosovo zulässt, andererseits aber auch eine überwachte Selbstständigkeit, die dann in eine vollständige Selbstständigkeit führt, vorgeschlagen hatte. Da hat sich Serbien nicht drauf eingelassen, sondern hat in der Generalversammlung der Vereinten Nationen beantragt, man solle die Illegalität der Autonomieerklärung feststellen, und das Gegenteil ist passiert.
Heinemann: Die Serben haben angekündigt, sie würden das Kosovo niemals anerkennen. Was nun?
Koenigs: Das haben sie nun immer schon gesagt, und Völkerrecht entwickelt sich, wie man sieht, ja schrittweise und durch Aktionen unterschiedlicher Beteiligter. Ich glaube, jetzt wird bald eine Welle von weiterer Anerkennung des unabhängigen Kosovo folgen, und im Zusammenhang mit dem hoffentlich bald kommenden Beitritt von sowohl Kosovo als auch Serbien zur Europäischen Gemeinschaft wird dann letzten Endes geregelt, wie die beiden Staaten miteinander umgehen sollen. Und das ist meines Erachtens auch auf einem guten Weg, denn viel von dem Hass, den es im Kosovo gegeben hat, hat sich doch auch abgebaut, und es gibt Möglichkeiten, miteinander vernünftig umzugehen.
Heinemann: Verbaut die Nichtanerkennung des Kosovo Belgrad nicht den Weg nach Europa?
Koenigs: Es verlangsamt ihn. Trotzdem glaube ich, da gibt es Entwicklungen. Wenn Sie sich die Rhetorik anhören, die hat sich ja doch sehr gemäßigt – nicht nur in den letzten zehn Jahren, sondern auch in den letzten zwei Jahren –, und niemand wird den Serben einen Zugang zur Europäischen Gemeinschaft verbauen wollen nur deshalb, weil man ein Land, auf das man sowieso keinen Einfluss mehr hat, nicht in die Unabhängigkeit entlässt. Das werden die Serben selbst ihren politischen Führern irgendwann sagen. Serbien und Kosovo müssen in die Europäische Gemeinschaft.
Heinemann: Wird denn dieses Gutachten die radikalen Kräfte in Serbien beflügeln?
Koenigs: Das glaube ich nicht. Die radikalen Kräfte wird es immer geben, und es gibt immer nach verlorenen Schlachten Leute, die sagen, jetzt müssen wir aber ganz besonders draufhauen. Ich glaube aber, die Zeit der militanten Auseinandersetzungen im Balkan sind vorbei. Ich hoffe das, und vieles spricht auch für die Vernunft der gerade in Belgrad Regierenden.
Heinemann: Herr Koenigs, wie können die Serben im Norden, die serbische Enklave, und die Kirchen im Süden des Kosovo dauerhaft geschützt werden?
Koenigs: Schon jetzt ist es so, dass sich die internationalen Schutzkräfte ja zurückziehen und die Kosovo-Polizei in der Lage ist, in den südlichen Enklaven die Kirchen und auch die Minderheiten zu schützen. Da hat sich vieles getan, und das sieht auch besser aus als noch vor fünf Jahren. Wenn jetzt die autonom operierenden und auch mit autonomen Gemeindeverwaltungen verwalteten Gebiete im Süden erfolgreich sind und man dort Frieden und auch eine gewisse wirtschaftliche Entwicklung sieht, dann werden die nördlichen Gemeinden auch sagen, wir wollen da nicht dahinter zurückbleiben. Man darf nicht vergessen, dass die nördlichen Gemeinden die ärmsten Teile des Landes sind, und die dauerhaft in der Schwebe zu lassen, das wird nicht klappen, und die werden auch nicht dauerhaft am Tropf von Belgrad hängen, denn Belgrad hat ja für die eigene Bevölkerung im Lande nicht genug zur Entwicklung. Von daher glaube ich, das wird zusammenwachsen, allerdings nur, wenn das Projekt der begrenzten Autonomie, der Gemeinden im Süden funktioniert. Wenn das klappt – und das ist auch der Rat, den man an die kosovo-albanische Bevölkerung und an die Regierung des Kosovo geben muss: Bringt es fertig, dass die Kommunalautonomie funktioniert, gerade in den serbischen Gebieten.
Heinemann: Herr Koenigs, bezeichnenderweise wollen Russland und Spanien das Kosovo nicht anerkennen. Rechnen Sie mit einem separatistischen Dominoeffekt nach diesem Gutachten?
Koenigs: Die Gefahr besteht natürlich, dass sich diejenigen, die auch die Autonomie erklären wollen, auf dieses Gutachten berufen. Das ist zweifellos eine Gefahr, das Gutachten wägt das Recht auf Integrität des Staatsgebietes mit dem Recht auf Selbstbestimmung der Völker, also das territoriale und das ethnische Recht, gegeneinander ab, und die Gefahr besteht. Ich glaube, der muss man entgegenarbeiten, vor allem wenn sie zu irgendwelchen gewaltsamen Äußerungen führt. Was ja für das Kosovo sprach, ist, dass die Gewalt im Lande eher abgebaut ist und dass man die Institutionen der Staatlichkeit geschaffen hat und gerade die in Europa ja weit entwickelten Mechanismen zum Schutz der Minderheiten dort ernst genommen hat. Unter der Führung der Vereinten Nationen – das war ja das zentrale Ziel der Gegenwart der Vereinten Nationen –, aber doch sehr ernsthaft. Und wenn die Regierung im Kosovo sagt, dass sie alle Regeln zum Schutze der Minderheiten in ihre Gesetze, in ihre Verfassung und auch in ihre Praxis umsetzen, dann ist das natürlich ein wichtiger Punkt.
Heinemann: Tom Koenigs, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, ehemaliger stellvertretender Sonderbeauftragter des UN-Generalsekretärs für das Kosovo. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Koenigs: Danke sehr, Wiederhören!
Christoph Heinemann: Herr Koenigs, Serbien hatte das Gutachten in Auftrag gegeben, kann man das Ergebnis jetzt sozusagen als Belgrader Eigentor beschreiben?
Koenigs: Ja, irgendwie ist es das, denn jetzt weiß Belgrad noch deutlicher als zuvor und sozusagen ex officio, dass eine Rechtsverletzung nicht stattgefunden hat und dass sie besser daran getan hätten, sich auf den ja sehr weitgehenden und ihnen auch entgegenkommenden Vorschlag von Ahtisaari einzulassen, die eine begrenzte Autonomie der Regionen und der Gemeinden im Kosovo zulässt, andererseits aber auch eine überwachte Selbstständigkeit, die dann in eine vollständige Selbstständigkeit führt, vorgeschlagen hatte. Da hat sich Serbien nicht drauf eingelassen, sondern hat in der Generalversammlung der Vereinten Nationen beantragt, man solle die Illegalität der Autonomieerklärung feststellen, und das Gegenteil ist passiert.
Heinemann: Die Serben haben angekündigt, sie würden das Kosovo niemals anerkennen. Was nun?
Koenigs: Das haben sie nun immer schon gesagt, und Völkerrecht entwickelt sich, wie man sieht, ja schrittweise und durch Aktionen unterschiedlicher Beteiligter. Ich glaube, jetzt wird bald eine Welle von weiterer Anerkennung des unabhängigen Kosovo folgen, und im Zusammenhang mit dem hoffentlich bald kommenden Beitritt von sowohl Kosovo als auch Serbien zur Europäischen Gemeinschaft wird dann letzten Endes geregelt, wie die beiden Staaten miteinander umgehen sollen. Und das ist meines Erachtens auch auf einem guten Weg, denn viel von dem Hass, den es im Kosovo gegeben hat, hat sich doch auch abgebaut, und es gibt Möglichkeiten, miteinander vernünftig umzugehen.
Heinemann: Verbaut die Nichtanerkennung des Kosovo Belgrad nicht den Weg nach Europa?
Koenigs: Es verlangsamt ihn. Trotzdem glaube ich, da gibt es Entwicklungen. Wenn Sie sich die Rhetorik anhören, die hat sich ja doch sehr gemäßigt – nicht nur in den letzten zehn Jahren, sondern auch in den letzten zwei Jahren –, und niemand wird den Serben einen Zugang zur Europäischen Gemeinschaft verbauen wollen nur deshalb, weil man ein Land, auf das man sowieso keinen Einfluss mehr hat, nicht in die Unabhängigkeit entlässt. Das werden die Serben selbst ihren politischen Führern irgendwann sagen. Serbien und Kosovo müssen in die Europäische Gemeinschaft.
Heinemann: Wird denn dieses Gutachten die radikalen Kräfte in Serbien beflügeln?
Koenigs: Das glaube ich nicht. Die radikalen Kräfte wird es immer geben, und es gibt immer nach verlorenen Schlachten Leute, die sagen, jetzt müssen wir aber ganz besonders draufhauen. Ich glaube aber, die Zeit der militanten Auseinandersetzungen im Balkan sind vorbei. Ich hoffe das, und vieles spricht auch für die Vernunft der gerade in Belgrad Regierenden.
Heinemann: Herr Koenigs, wie können die Serben im Norden, die serbische Enklave, und die Kirchen im Süden des Kosovo dauerhaft geschützt werden?
Koenigs: Schon jetzt ist es so, dass sich die internationalen Schutzkräfte ja zurückziehen und die Kosovo-Polizei in der Lage ist, in den südlichen Enklaven die Kirchen und auch die Minderheiten zu schützen. Da hat sich vieles getan, und das sieht auch besser aus als noch vor fünf Jahren. Wenn jetzt die autonom operierenden und auch mit autonomen Gemeindeverwaltungen verwalteten Gebiete im Süden erfolgreich sind und man dort Frieden und auch eine gewisse wirtschaftliche Entwicklung sieht, dann werden die nördlichen Gemeinden auch sagen, wir wollen da nicht dahinter zurückbleiben. Man darf nicht vergessen, dass die nördlichen Gemeinden die ärmsten Teile des Landes sind, und die dauerhaft in der Schwebe zu lassen, das wird nicht klappen, und die werden auch nicht dauerhaft am Tropf von Belgrad hängen, denn Belgrad hat ja für die eigene Bevölkerung im Lande nicht genug zur Entwicklung. Von daher glaube ich, das wird zusammenwachsen, allerdings nur, wenn das Projekt der begrenzten Autonomie, der Gemeinden im Süden funktioniert. Wenn das klappt – und das ist auch der Rat, den man an die kosovo-albanische Bevölkerung und an die Regierung des Kosovo geben muss: Bringt es fertig, dass die Kommunalautonomie funktioniert, gerade in den serbischen Gebieten.
Heinemann: Herr Koenigs, bezeichnenderweise wollen Russland und Spanien das Kosovo nicht anerkennen. Rechnen Sie mit einem separatistischen Dominoeffekt nach diesem Gutachten?
Koenigs: Die Gefahr besteht natürlich, dass sich diejenigen, die auch die Autonomie erklären wollen, auf dieses Gutachten berufen. Das ist zweifellos eine Gefahr, das Gutachten wägt das Recht auf Integrität des Staatsgebietes mit dem Recht auf Selbstbestimmung der Völker, also das territoriale und das ethnische Recht, gegeneinander ab, und die Gefahr besteht. Ich glaube, der muss man entgegenarbeiten, vor allem wenn sie zu irgendwelchen gewaltsamen Äußerungen führt. Was ja für das Kosovo sprach, ist, dass die Gewalt im Lande eher abgebaut ist und dass man die Institutionen der Staatlichkeit geschaffen hat und gerade die in Europa ja weit entwickelten Mechanismen zum Schutz der Minderheiten dort ernst genommen hat. Unter der Führung der Vereinten Nationen – das war ja das zentrale Ziel der Gegenwart der Vereinten Nationen –, aber doch sehr ernsthaft. Und wenn die Regierung im Kosovo sagt, dass sie alle Regeln zum Schutze der Minderheiten in ihre Gesetze, in ihre Verfassung und auch in ihre Praxis umsetzen, dann ist das natürlich ein wichtiger Punkt.
Heinemann: Tom Koenigs, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, ehemaliger stellvertretender Sonderbeauftragter des UN-Generalsekretärs für das Kosovo. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Koenigs: Danke sehr, Wiederhören!