Željka, Danijela und David sitzen mit ihrer Lehrerin Branka im Klassenzimmer. Es riecht nach Farbe. Das Wirtschaftsgymnasium Vukovar wurde gerade energetisch saniert, mit EU-Fördergeldern. Die Straße zur Schule ist frisch asphaltiert.
Vukovar befindet sich gut 20 Jahre nach Kriegsende noch immer im Wiederaufbau. Auch, was die Stimmung zwischen Serben und Kroaten angeht. Željka, 19 Jahre, sitzt im Schneidersitz auf einem Tisch. Sie ärgert sich.
"Da war dieses Fußballspiel hier, die kroatische Hymne wurde abgespielt. Und da waren fünf oder sechs Schüler aus Vukovar, die nicht aufgestanden sind. Die haben keinen Respekt vor der Stadt oder vor dem Land, in dem sie leben. Stell dir vor, du lebst in Schweden, dann stehst du doch auf, wenn die Nationalhymne gespielt wird."
Serben-Shaming auf der städtischen Webseite
Die Schüler aus serbischen Familien, die einfach sitzen geblieben waren, sorgten für einen landesweiten Skandal. Auf die offizielle Webseite der Stadt wurde ein Video gestellt, das die Szene zeigte. Vukovars Bürgermeister forderte in einem Fernsehinterview mehr Respekt vor den kroatischen Heiligtümern.
Der Chef der Partei der serbischen Minderheit protestierte derweil gegen die Veröffentlichung des Videos: Denn die noch minderjährigen Schüler sind darauf deutlich erkennbar. Einer der Jungen wurde kurz darauf an einer Bushaltestelle angegriffen und geschlagen. Daniel, ethnischer Serbe, mag seinen kroatischen Bürgermeister trotzdem.
"Er ist manchmal nicht so geschickt im Umgang mit Medien, und das kommt dann überall in den kroatischen Medien, das wird übertrieben. Er ist okay, er macht viel für Vukovar, wir bekommen neue Straßen, und er schafft Anreize für Unternehmen sich hier anzusiedeln."
"Cafés und Bars, die nur für Kroaten oder Serben sind"
Die Wirtschaft wächst aber nur langsam. Die Löhne sind niedrig, die Arbeitslosigkeit hoch. In den 80er-Jahren war die Stadt ein bedeutendes Zentrum der Textil- und Gummiindustrie, Jobs und Wohlstand zogen Arbeitskräfte an. Inzwischen ist Vukovar aber vor allem eine politisch gepflegte Gedenkstätte des kroatischen Unabhängigkeitskrieges, ein nationaler Mythos.
Željka, Danijela und David haben den Krieg nicht miterlebt. Aber seine Folgen sind für sie deutlich spürbar.
"Es gibt ein paar Cafés und Bars, die nur für Kroaten oder nur für Serben sind. Man kann sie an der Musik erkennen. In kroatischen Bars läuft Thompson und in serbischen Baja Mali Knindža!"
Die zwei Beispiele sind extrem. Die kroatische Band Thompson wurde mit einem Loblied auf die faschistischen Konzentrationslager des kroatischen Ustascha-Regimes bekannt. Zwischen 1941 und 45 wurden hier Juden, Serben und Roma gefoltert, zu harter Arbeit gezwungen und ermordet.
Der serbische Sänger Baja Mali Knindža schrieb in den Neunzigerjahren die gewaltverherrlichende Begleitmusik der Kriege gegen Kroatien, Bosnien und den Kosovo.
Daniel ist es aber wichtig, zu differenzieren: "Die meisten Cafés sind aber offen für alle."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Slawonien in Kroatien - Nicht nur Hinterland".
David Eltern sind Serben, Danijelas Kroaten, Željkas Familie ist gemischt. Ihre Familien flüchteten zu Kriegszeiten an unterschiedliche Orte. Željkas und Danijelas Familien kamen vor gut 20 Jahren zurück. Ihre Väter hatten im Krieg für die Unabhängigkeit Kroatiens gekämpft, der Staat förderte ihre Rückkehr in die zerstörte Stadt mit günstigem Wohnraum.
Danijela möchte nicht über den Krieg sprechen, sie hat ihn nicht selbst erlebt, fürchtet aber Albträume. Željka wollte dazu eigentlich auch nichts sagen. Aber dann muss sie doch einiges loswerden.
"Familientreffen? Nein danke. Jede Seite will dich vereinnahmen."
"Während Serben meinen Vater verprügelten, schlugen Kroaten meinen Onkel und meinen Großvater." Was sie über den Krieg weiß, hat sie von ihren Eltern erfahren: die Mutter halb Serbin, halb Kroatin, Vater Kroate.
Voriges Jahr ist er gestorben, seit dem Krieg litt er an einer posttraumatischen Belastungsstörung. In serbischer Kriegsgefangenschaft wurde er geschlagen, erzählt Željka. Ihr serbischer Großvater und ihr serbischer Onkel saßen derweil in einem kroatischen Internierungslager.
"Kroaten haben die eine Hälfte meiner Familie getötet, Serben die andere. Also kann ich darüber nichts sagen, du kannst dir darüber eigentlich keine eigene Meinung bilden, weil jede Seite dich vereinnahmen will. In meiner Familie wird sehr schlecht über die jeweils andere Seite gesprochen, auch über Gewalt, und ich will das nicht hören. Familientreffen? Nein danke."
Die serbisch dominierte Jugoslawische Volksarmee hat 1991 kroatische Städte gezielt angegriffen. Serbische Soldaten und Freiwillige haben Kriegsverbrechen begangen. Kroatische Kämpfer aber auch – das wird im öffentlichen Diskurs in Kroatien aber meist verschwiegen oder relativiert.
Und deshalb kann Željka laut und deutlich Respekt vor der kroatischen Nationalhymne einfordern. Aber über die Verbrechen an ihren serbischen Verwandten zu reden, war und ist kaum möglich.
"Sie wollen nicht verstehen, dass wir alle eins sind"
"Mein Vater hat Serben gehasst, er hasste auch meine Großeltern, trotzdem werde ich meinen Vater immer lieben, er ist eben mein Vater, aber es ist nicht meine Schuld, wie er war." David betont, dass er nationalistische Musik nicht mag. "Ich mag internationale Rockmusik." Dass sein Vater, Kapitän eines Ausflugsschiffs in Vukovar, von Kroaten gemocht und anerkannt wird. Aber als er am Ende seine persönliche Friedensutopie erklärt, zuckt seine kroatische Lehrerin zusammen:
"Es gibt Leute, die den Hass nicht hinter sich lassen können. Sie wollen nicht verstehen, dass wir alle eins sind, und dass es diese große Chance gibt, dass Kroatien, Serbien und die anderen Teilstaaten Jugoslawiens wieder ein Land werden könnten."
Eine sprachliche Tretmine, ausgesprochen von einem jungen überzeugten Pazifisten, der wohl noch viel Versöhnungsarbeit vor sich hat. Lehrerin Branka verteidigt noch einmal die aktuellen Grenzlinien. "Als im Krieg so viele Leute herkamen, um zu helfen, vom Roten Kreuz zum Beispiel, die dachten, sie seien in Jugoslawien. Und manche Ausländer wissen immer noch nicht, wo Kroatien liegt und sagen zu mir: Ah, du bist aus Jugoslawien?! Nein!"
Eine Produktion des Deutschlandfunk 2019