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Serbische Parallelwelt im Kosovo

Gut 300 Millionen Euro lässt sich Serbien die Kontrolle des Nordkosovos kosten. Die Regierung in Belgrad bezahlt Gehälter von eigenen Ärzten, Polizisten und Beamten. Auf diese Weise markiert sie weiterhin ihren Anspruch auf die ehemals südserbische Provinz Kosovo.

Von Stephan Osvath |
    Die kleine Gemeinde Gracanica – etwa 20.000 Serben leben hier, nur wenige Kilometer von der Kosovo-Hauptstadt Prishtina entfernt. Der Bürgermeister residiert in einem winzigen Gebäude. Amtssprache ist hier Serbisch und Albanisch – das muss hin und her übersetzt werden. Die Amtspost aus Prishtina ist in Albanisch verfasst. Auch sein Gehalt bekommt Bojan Stojanovic aus Prishtina. Was bringt seiner Gemeinde das Brüsseler Abkommen? Er schüttelt den Kopf.

    "Für uns Serben südlich des Ibar," sagt er, "ist es nur die Legalisierung des Ist-Zustandes. Was hat Belgrad für die Serben südlich des Ibar erzielt, was wir nicht schon längst haben? Wir haben sogar mehr als das, was sie erzählen. Für einen guten Film müssen Sie schon Bild und Ton gut aufeinander abstimmen. Die Geschichte, die man aus Belgrad hört, entspricht nicht dem Bild im Kosovo. Darüber könnte ich monatelang erzählen."

    Stojanovic gehört den serbischen Liberalen an. Seine Partei sitzt im Kosovo-Parlament. Der Ahtisaari-Plan gewährt ihm und seiner Gemeinde breite Minderheitenrechte. Stojanovic ist durch die Kosovo-Kommunalwahlen auf den Bürgermeistersessel von Gracanica gekommen. Die wurde von vielen Serben boykottiert und von Belgrad für illegal erklärt. Und Stojanovic hat einen Konkurrenten: Vladeta Kostic.

    Ich treffe Kostic in dem serbischen Lokal Mechana in Gracanica. Hier wird deftige Küche serviert: Schweinefleisch und scharfe Würste. Vladeta Kostic ist Bezirksvorsteher von Prishtina – ihm unterstehen einige serbische Gemeinden, auch Gracanica. Er verwaltet hier zum Beispiel die Schule. Sein Gehalt bekommt der Parteifunktionär der fortschrittlichen Partei, der auch der serbische Präsident angehört, aus Belgrad. Er legt zwei Streichhölzer nebeneinander: Hier – das bin ich, hier das ist Stojanovic. Welches Streichholz ist parallel, fragt er. Arbeitet er denn mit dem Bürgermeister von Gracanica zusammen? Er schüttelt den Kopf.

    "Nein, wir haben keine Zusammenarbeit, weil wir absolut nicht mit der Politik einverstanden sind, die sie im Parlament des Kosovo vertreten haben."

    Die Vereinbarung von Brüssel hält Kostic dennoch für gut, sagt er. Sie gewährt den serbischen Gemeinden weitgehende Autonomie. Kostic umschreibt es so.

    "Über die Gemeinschaft serbischer Gemeinden bekommen wir die Möglichkeit, unser Haus so einzurichten, wie wir es wollen. Nicht um jemandem von außen zu gefallen, sondern damit wir uns selbst wohl in ihm fühlen. Sie können mir sagen, dass dieses Haus hier stehen muss. Aber wir fordern, dass wir innerhalb dieses Hauses selbst die Möbel aufstellen."

    Ein Plädoyer für ein Fortbestehen der sogenannten Parallelstrukturen. Die sind der Regierung in Prishtina schon lange ein Dorn im Auge. Die Nato kritisiert sie als schädlich für die Sicherheit. Die Vereinbarung von Brüssel, die den Serben einen eigenen Gemeindeverbund und Einfluss auf Justiz und Polizei gewährt, gefällt der kosovarischen Oppositionspartei Vetevendosje nicht. Rexhep Selimi sagt.

    "Mit dieser Vereinbarung haben wir entschieden, Territorium und Souveränität aufzugeben. Das ist schädlich für die Republik Kosovo, dafür bedarf es keiner großen Analyse. Aber: Diese sogenannte Vereinbarung gibt es im Grunde gar nicht. Denn es ist eine zwischen Thaci und Dacic. Die Menschen im Kosovo werden sie nicht akzeptieren und sich dagegen stellen."

    300 Millionen Euro jährlich lässt Belgrad sich die parallelen Posten in Verwaltung, Justiz, Schule, Gesundheitssystem kosten. Ein gigantisches Beschäftigungsprogramm, das helfen soll, Serben im Kosovo zu halten und politischen Einfluss zu sichern. Ein "patriotischer Raub", so dagegen die gleichnamige TV-Dokumentation des Belgrader Senders B92. Da werden Fantasiegehälter für Fantasiejobs bezahlt. Für Menschen, die schon gar nicht mehr im Kosovo leben. Manch einer kassiert doppelt und dreifach ab: in Belgrad – und in Prishtina.

    Gracanicas Bürgermeister Stojanovic, der neben dem orthodoxen Kloster residiert, schüttelt nur den Kopf.

    "Funktionieren denn die Institutionen des serbischen Staates im Kosovo? Nein, sie funktionieren nicht. Sie existieren fiktiv und die Menschen bekommen ihre Löhne. Stellen Sie sich vor: Kürzlich kam ein Mann zu mir, stellt sich als Direktor des städtischen Heizwerks in Prishtina vor. Unternehmen sind hierher verlegt worden und Menschen verhalten sich so, als ob das funktionieren würde. Sie haben Verwaltungsausschüsse, Sekretärinnen, materielle Ausgaben. Das ist wirklich unglaublich. Und ganz praktisch? Jede Glühbirne, jede Straße, jede Park-Bank, Theater, Krankenhäuser, Sporthallen bezahlen und bauen wir."

    "Der Plan, der ins Leben gerufen werden soll und den die serbische Regierung unterstützt hat, bietet vor allem den institutionellen Schutz, uns Serben, die südlich des Ibar leben."

    "Meiner Meinung nach ist das ein idealer Zug, sowohl für Serbien als auch für den Kosovo. Es war äußerste Zeit, dass sie etwas für ihr Volk, für Serbien unternehmen. Das passt nur den Kriminellen aus Serbien und aus dem Kosovo nicht. Jedem anderen, normalen, zivilisierten, demokratisch gesinnten Bürger oder Menschen, der eine Vision über die Zukunft hat, passt das. Und es wird besser sein."

    "Es gab Versuche der Rückkehr. Aber wie ist das gelaufen? Ihnen ging es nicht gut. Häuser wurden gesteinigt, in Brand gesetzt, verwüstet usw. Serbische Kultur, serbische Geschichte wird hier gründlich ausradiert."

    Mit dieser Vereinbarung haben wir entschieden, Territorium und Souveränität aufzugeben. Das ist schädlich für die Republik Kosovo, dafür bedarf es keiner großen Analyse. Aber: Diese sogenannte Vereinbarung gibt es im Grunde gar nicht. Denn es ist eine zwischen Thaci und Dacic. Die Menschen im Kosovo werden sie nicht akzeptieren und sich dagegen stellen.