Der russische Botschafter in Deutschland, Sergej J. Netschajew, fordert die westliche Seite auf, Vorschläge für einen Friedensplan im Ukrainekrieg vorzulegen. Erst dann werde Moskau beurteilen, ob man darüber reden könne. Zugleich gibt der Diplomat dem Westen und der NATO die Verantwortung für den Krieg: „Es geht um die Sicherheit unseres Landes“, so Netschajew.
Bedrückt zeigt sich der ausgebildete Germanist über die abgebrochenen deutsch-russischen Beziehungen. Man habe nach dem Zweiten Weltkrieg den Weg der Aussöhnung beschritten und ein einmaliges Netzwerk in verschiedenen Bereichen wie Wirtschaft, Wissenschaft oder Kultur aufgebaut. „Vielleicht waren wir ein bisschen zu naiv“, so der Botschafter, der 1977 seine diplomatische Karriere in der ehemaligen DDR begann.
Das Interview im Wortlaut:
Moritz Küpper: Herr Botschafter, wir sind hier in Berlin in der Botschaft, in der russischen Botschaft. Der Bundeskanzler Olaf Scholz, der hat kürzlich zuletzt mehrfach von Verhandlungen im Krieg Russlands gegen die Ukraine und sich dafür ausgesprochen hat gesagt, ich glaube, das ist jetzt der Moment, in dem man auch darüber diskutieren muss, wie wir aus dieser Kriegssituation noch zügiger zu einem Frieden kommen, als wir gegenwärtig den Eindruck machen. Hat Sie das überrascht?
Sergej Netschajew: Wir nehmen die Worte des Bundeskanzlers gerne zur Kenntnis. Das bedeutet vielleicht, dass im Westen ein Verständnis durchgesetzt ist, dass es einen Friedensplan braucht. Es gab auch früher einige Versuche der Vertreter der Europäischen Union, des ungarischen Ministerpräsidenten und des Vorsitzenden der EU, verschiedene Friedensinitiative zu entwickeln, aber die wurden, soviel ich weiß, nicht besonders gerne begrüßt in der Europäischen Union. Ich weiß nicht, ob diese Initiative jetzt ebenfalls begrüßt wird oder nicht. Auf alle Fälle haben wir den Friedensplan, den Wortlaut des Friedensplans noch nicht gesehen.
Moritz Küpper: Aber Sie können sich vorstellen, dass es jetzt Verhandlungen gibt? Welche Signale sendet Russland?
Sergej Netschajew: Es muss einen Friedensplan geben, eine reale, absolut klare und deutliche Substanz. Erst dann können wir beurteilen, ob es sich lohnt, auf dieser Grundlage zu sprechen. Wenn es wieder mal um eine neue Redaktion der früheren, der sogenannten Selenskyj-Formel, dieser Punkte geht, in einer anderen Fassung, in einer anderen Redaktion, dann ist es für uns absolut inakzeptabel - und das wissen Sie. Ich gehe davon aus, dass dies der Bundeskanzler auch weiß.
Moritz Küpper: Aber wie deuten Sie das, was der Bundeskanzler jetzt sagt, auch mehrfach betont? Weil er vor allem im halben Jahr gesagt hat, dass er derzeit keinen Sinn in Gesprächen sieht.
Sergej Netschajew: Ich möchte, wie gesagt, nicht spekulieren. Erst mal Wortlaut, den Text und dann werden wir sehen, insoweit dieser Plan unseren Vorstellungen entspricht. Wir haben unsere Vorstellungen. Genauer gesagt, hat Herr Präsident Wladimir Putin unsere Vorstellungen für eine Friedensregelung bereits, glaube ich, am 14. Juni im russischen Außenministerium zum Ausdruck gebracht. Und wir stehen dazu. Inwieweit die Vorschläge des Bundeskanzlers damit übereinstimmen, möchten wir gerne erst mal prüfen.
Moritz Küpper: Inhaltlich gibt es, glaube ich, da keine Vorstellungen. Aber wäre es nicht zu Beginn erst mal ein Start, dass Sie als Russland, den demokratisch gewählten Präsidenten der Ukraine als Gesprächspartner akzeptieren?
Sergej Netschajew: Sie machen Akzent auf die Worte "demokratisch gewählt". Wir haben andere Meinungen dazu, denn soviel ich weiß, am 25. Mai sind die Vollmachten des Präsidenten Selenskyj nicht mehr in Kraft.
Moritz Küpper: Das Land befindet sich im Krieg.
Sergej Netschajew: Entweder Sie unterbrechen mich oder ich beantworte Ihre Fragen, Herr Dr. Küpper. Denn Sie kommen zu mir, um mit mir ein Interview zu machen. Das bedeutet, dass Sie Ihre Fragen von mir beantwortet hören möchten.
"Die NATO-Länder sind total im Konflikt mit Russland"
Moritz Küpper: Okay, dann würde ich es anders formulieren: Mit wem würden Sie denn dann auf ukrainischer Seite verhandeln?
Sergej Netschajew: Wir werden das sehen, wenn der Zeitpunkt dazu kommt. Wichtig ist die Grundlage dieser Verhandlungen - was dahintersteckt. Wir hören neben den Äußerungen des Bundeskanzlers auch andere Äußerungen aus dem politischen Milieu Ihres Landes und aus dem politischen Milieu der westlichen Länder.
Denn es geht jetzt um die Raketen längerer Reichweite, die die Gebiete der Russischen Föderation erreichen können. Es geht um die weiteren Äußerungen der verschiedenen Politiker, Russland eine strategische Niederlage zu erzielen, unsere Wirtschaft zu zerfetzen. Und in diesem Sinne werden auch diese Raketen, wie man jetzt munkelt, dass sie bald nach Russland schießen werden, werden von einigen Politikern als völkerrechtlich konform bezeichnet.
Moritz Küpper: Sie meinen, verzeihen Sie, wenn ich Sie unterbreche, die Stationierung von US-Raketen auf deutschem Boden?
Sergej Netschajew: Nicht nur. Ich meine in erster Linie die jüngsten Gespräche über die Möglichkeit, dem Kiewer Regime die Erlaubnis zu geben, die Raketen in die Tiefe der Russischen Föderation abzuschießen. Das wäre für uns, wie Sie ganz bestimmt wissen, eine absolut neue Situation, worauf Herr Präsident Putin vor ein paar Tagen Augenmerk gelegt hat. Das wird für uns eine neue Situation bedeuten, mit allen daraus resultierenden Folgen.
Moritz Küpper: Was würde denn daraus folgen? Also Sie sprechen an Joe Biden, der US-Präsident, Keir Starmer, es geht darum, der Ukraine die Erlaubnis zu geben, diese westlichen Waffen von NATO-Staaten an die Ukraine geliefert, dort auch einzusetzen im Kampf von der Ukraine gegen Russland. Was würde das bedeuten? Ihr Präsident hat von asymmetrischen Antworten gesprochen.
Sergej Netschajew: Wir werden die Situation als absolut neu interpretieren. Damit sind die NATO-Länder mit dieser Erlaubnis total im Konflikt gegen Russland. Diese sind absolut klar Konfliktparteien. Welche Folgen sein werden, das möchte ich gerne natürlich in erster Linie von den Experten hören. Aber die Folgen kommen und das ist klar. Das ist eine neue Situation, womit wir uns befassen werden.
Moritz Küpper: Sie haben es gesagt. Es gibt Leute, die sagen, völkerrechtlich sei das gedeckt. Es gibt Stimmen, es ist jetzt nicht an uns, das auszudiskutieren. Mich interessiert einfach die Reaktion aus Russland daran, weil der Krieg, dieser Konflikt, diese Auseinandersetzung da, sie läuft jetzt seit zweieinhalb Jahren. Wie könnte das enden? Das stellt immer wieder die Frage. Was Sie jetzt aufgebracht haben, ist ja eine Eskalation auf beiden Seiten. Sie kennen den Kalten Krieg ja sehr gut.
Sergej Netschajew: Eskalation konnte verhindert werden noch vor einigen Jahren. Das waren nicht wir, die Friedensverhandlungen abgebrochen haben bzw. dem Kiewer Regime verbieten haben, die schon fertigen Papiere zu unterzeichnen.
"Kiew ist nicht selbstständig"
Moritz Küpper: Sie meinen „Istanbul“, die Verhandlungen dort?
Sergej Netschajew: Ich meine „Istanbul“, natürlich, Frühjahr 22, wo das Papier, das von der Ukraine stammt, praktisch eine Grundlage für die Verhandlungen war. Das haben wir sofort gesagt. Wir sind damit einverstanden, auf dieser Grundlage zu verhandeln. Das wurde paraphiert von den entsprechenden Kollegen aus der Delegation von Kiew. Und wir haben gesagt, jetzt geht es. Ja, bitte. Aber leider keine Fortsetzung, sonst kamen irgendwelche Botschaften und Vertreter der westlichen Länder, die Kiew gesagt haben, so geht es nicht.
Kiew ist, wie Sie wissen – ich weiß nicht, ob Sie damit einverstanden sind oder nicht – aber Kiew ist nicht selbstständig in seinen Handlungen und das hat alles bedeutet. Mehr noch, wenn wir nochmals in die Geschichte einblicken, haben wir im Dezember 2021 verschiedene Papiere verteilt an die amerikanischen Kollegen, an die NATO und an die OSZE mit unseren Vorschlägen, Verhandlungen, denn es geht um die Sicherheit unseres Landes.
Wir alle, ich meine Ihre Länder, die Kollegen aus der NATO, aus der Europäischen Union, auch wir, haben entsprechende Beschlüsse unterzeichnet, während der Summit der OSZE, sei es in Istanbul oder in Bukarest, da kann ich mich irren, oder in Astana, ja, wo schwarz auf weiß steht: Sicherheit kann nur gleich sein für alle.
Moritz Küpper: Aber wenn Sie das jetzt so sagen, wenn ich den Fall jetzt aufnehmen darf, weil Sie das so sagen, wenn es um Sicherheit geht, dann muss man doch heute feststellen im September 2024, dass seit der Eskalation, seit dem Einmarsch russischer Truppen in das Gebiet der Ukraine, dass sich die Sicherheit Russlands nicht erhöht haben. Sie haben das Ziel, die Ukraine, das hat Ihr Präsident gesagt, zu demilitarisieren. Es gibt so viele Waffen in der Ukraine wie wahrscheinlich selten zuvor, zumindest mehr. Die NATO ist geeint, wächst. Russland ist international in vielen Bereichen isoliert. Wo sind Sie Ihrem Ziel, Russland sicherer zu machen, nähergekommen?
Sergej Netschajew: Das ist Ihre Interpretation unserer Position und unserer Vorstellungen. Wir haben unsere Ziele, strategische Ziele der Sonderoperation, und diese Ziele werden erreicht. Das hat schon mehrmals Herr Präsident Putin bekräftigt, das haben Sie von unseren Außenministern und von anderen Politikern mehrmals gehört.
"Eine weitere Herausforderung für unsere Sicherheit"
Moritz Küpper: Welches Kriegsziel haben Sie denn erreicht?
Sergej Netschajew: Wir haben in erster Linie das Ziel, die russische Bevölkerung und die russischsprachige Bevölkerung der östlichen Regionen Ukraine zu schützen. Was die westlichen Länder nicht gemacht haben, werden der sogenannten Verhandlungen oder Kontakte zur Realisierung des Minsker Abkommens, das unter anderem, soviel ich weiß, auch Deutschland und Frankreich als Co-Sponsoren mitunterzeichnet haben.
Aber da gab es keine Vorwärtsbewegung seitens der Ukraine im Sinne der Realisierung dieses Abkommens, das zugleich schon zu dieser Zeit als Resolution des Sicherheitsrates abgesegnet wurde. Das war schon ein völkerrechtliches Papier. Nix gemacht. Mehr noch, da höre ich, diese acht Jahre wurden dazu genutzt, um die Ukraine mit der militärisch-technischen Infrastruktur zu sättigen und entsprechende militärisch-technische Anlagen der NATO-Verbündete dort zu stationieren. Das war schon eine weitere Herausforderung für unsere Sicherheit.
Moritz Küpper: Aber die Interpretation aufseiten des Westens, aufseiten der NATO, ist jetzt eine andere. Jens Stoltenberg, der scheidende NATO-Generalsekretär, hat es jetzt in einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als Fehler bezeichnet, dass man die Ukraine nicht vorher militärisch stärker gemacht hat. Ich will jetzt nicht zurückgucken, ich will nach vorne gucken.
Ich habe es gesagt, Sie sind schon sehr lange im diplomatischen Geschäft. Sie haben die Zeiten des Kalten Krieges erlebt, in denen sich hochgerüstet auf beiden Seiten dort die Kräfte gegenübersteuern. Steuern wir wieder auf solche Zeiten zu oder sind wir schon längst darin?
Sergej Netschajew: Ja, es geht. Natürlich, die Situation ist, glaube ich, viel ernsthafter als in den Zeiten des Kalten Krieges. Da gab es zwei Polen oder bipolare Welt. Da gab es irgendwelche Regeln, die beide Seiten eingehalten haben. Jetzt sehen wir seitens unserer westlichen Partner, dass diese Regeln nicht eingehalten werden. Die Ukraine wird gesättigt mit allen möglichen Waffen. Die Unterstützung des Kiewer Regimes ist hoch wie nie zuvor. Mehr noch, es geht um einen Wettbewerb, wer am meisten gibt. Und die anderen Varianten sind auch nicht ausgeschlossen. Es gab früher überhaupt keine Rede von den Panzern. Jetzt sehen wir die deutschen Panzer auch auf dem russischen Gebiet, in den Grenzregionen gegen die Zivilbevölkerung.
"Es geht um den Schutz der russischen Bevölkerung"
Moritz Küpper: Sehen Sie Deutschland als Kriegsgegner, weil Sie das gerade ansprachen?
Sergej Netschajew: Das macht uns wirklich nicht glücklich. Ich sage nicht, dass Deutschland ein Kriegsgegner ist, aber Deutschland steht klar auf der Seite der Ukraine. In diesem Sinne unterstütze ich voll und ganz, so lange wie möglich, das steht in Ihren Papieren, für eine Konfliktpartei. Das ist natürlich nicht einfach zu sprechen über die vernünftige, oder sagen wir objektive und neutrale Vermittlung in diesen Friedensverhandlungen.
Moritz Küpper: Ich will noch einmal Bundeskanzler Olaf Scholz zitieren. Er hat jetzt kürzlich am Wochenende in Brandenburg auf einer Wahlkampfveranstaltung gesagt, dass es Grundlage für Gespräche sei, dass Ihr Präsident, Wladimir Putin, „einsieht, dass er nicht die ganze Ukraine fressen kann“. Da sind wir wieder bei Punkten, Bedingungen für Verhandlungen. Würden Sie dem zustimmen?
Sergej Netschajew: Ich habe nie gehört von meiner Staatsführung, dass wir, wie Herr Bundeskanzler sagt, die ganze Ukraine fressen, auffressen und so in diesem Sinne.
Moritz Küpper: Fressen!
Sergej Netschajew: Das habe ich nie gehört und das war nie als Ziel dieser Sonderoperationen proklamiert. Es geht um den Schutz der russischen Bevölkerung in diesen vier Regionen. Das war absolut notwendig, denn im Zuge der Verhandlungen für Minsker Abkommen, diese acht Jahre lang, hat Kiew gegen die eigene Bevölkerung in diesen Regionen militärisch gekämpft. Es gab - soviel ich weiß - aus verschiedenen Quellen 14.000 bis 15.000 Opfer. Daraus keine Aufmerksamkeit seitens unserer westlichen Kollegen. Wie sollen wir das auch einschätzen?
Moritz Küpper: Dazu gibt es auch andere Sichtweisen und es gibt auch unmittelbar nach dem Ausbruch des Krieges auf das ganze Land eine UN-Resolution, in der über 140 Staaten diesen Einmarsch ihres Landes verurteilt haben. Ich frage mich dennoch immer weiter, wann und welche Signale gibt es aus Russland, den Krieg zu beenden? Sie haben gerade eben eingangs gesagt, Sie warten auf einen Text von deutscher, was auch immer Seite.
Sergej Netschajew: Wir haben die Signale früher gegeben. Unsere Signale wurden nicht gehört. Ich habe diese Signale eben aufgelistet, aber die wurden absolut klar irgendwie abgelehnt. Sei es im Frühjahr 22, sei es im Dezember 21. Keine Reaktion, die uns erlaubt hat, das alles friedlich zu verhandeln. Da waren wir dafür bereit. Jetzt sind unsere Ziele festgelegt und die werden erfüllt.
Moritz Küpper: Koste es, was es wolle? Denn tagtäglich sterben Menschen, Zivilisten, die Energieinfrastruktur in der Ukraine wird bombardiert. Auch auf russischer Seite sterben natürlich Soldaten. Ich habe eine Zahl von der BBC gelesen, 66.000 bisher Gefallene. Das sind enorme Kosten für beide Seiten.
Sergej Netschajew: Jedes Opfer das ist eine Tragödie. Das wissen wir. Aber das haben wir nicht von Anfang an initiiert. Wir reagieren auf das Sicherheitsrisiko, das uns ständig in diesen mehreren Jahrzehnten mit der NATO-Erweiterung nach Osten gemacht wurden. Nicht nur die Erweiterung an und für sich selbst, sondern die Erweiterung der militärisch-technischen Infrastruktur genau an unseren Grenzen. Immer dichter. Dann wurde die Ukraine zu Anti-Russland gemacht. Da gab es überhaupt keine Zweifel. Die Nazi-Helfershelfer Bandera und Schuchewytsch sind zu den nationalen Helden genannt. Wir sind gegen den Neonazismus.
"Vielleicht waren wir ein bisschen zu naiv"
Moritz Küpper: Aber Herr Botschafter, verzeihen Sie, wenn ich Sie da unterbreche, aber wenn Sie sagen, die NATO ist die Bedrohung für Russland. Wir erleben jetzt, dass Finnland beispielsweise und Schweden seit Jahrzehnten neutral Mitglied der NATO sind. Finnland hat ja auch eine sehr lange Grenze zu Russland, über 1300 Kilometer. Aber wenn man dort schaut, gibt es jetzt zahlreiche Berichte, dass Sie, die Russen, von dieser Seite Militär abziehen, weil Sie es in der Ukraine brauchen. Wenn die NATO Bedrohung ist, wie passt das zusammen?
Sergej Netschajew: Ich weiß nicht, was Finnland und Schweden, was für ein Profit insbesondere Finnland von diesem NATO-Beitritt …
Moritz Küpper: Darum geht es ja nicht. Die Frage ist, warum Sie dann von der Seite aus keine Bedrohung wahrnehmen oder so handeln?
Sergej Netschajew: Wir werden nach den Taten urteilen. Soviel wir sehen, dass die Situation in militärisch-technischer Hinsicht in Finnland bzw. in Schweden für uns sich verschlechtert, werden wir entsprechenderweise reagieren. Keine Sorge.
Moritz Küpper: Dann zum Abschluss, Herr Botschafter. Ich habe es eingangs gesagt. Sie haben Ihre diplomatische Karriere 1977 in der damaligen DDR begonnen. Sie haben das deutsch-russische Verhältnis auf dem ganzen Weg begleitet, Höhen und Tiefen erlebt. Wo werden Sie zum Ende Ihrer Karriere, wo wird das deutsch-russische Verhältnis dort stehen?
Sergej Netschajew: Sie sind gut informiert. Ja, das stimmt. Wir haben in diesen Jahrzehnten gemeinsam mit den deutschen Politikern, mit den vernünftigen deutschen Politikern, die Weitsicht haben, ein uniques Netzwerk der bilateralen Beziehungen gebaut. Absolut unique in allen Bereichen, egal was Sie nennen: Wirtschaft, ganz zu schweigen von der Energie, Wissenschaft, Kultur, Zivilgesellschaften. Das kann, glaube ich, kaum ein westliches Land feiern lassen.
Aber jetzt ist auf Wunsch der deutschen Seite alles auf Eis gelegt. Das ist sehr bedrückend, wissen Sie. Denn von dieser Annäherung auf der Grundlage der historischen Aussöhnung nach dem Kriege, wo wir 27 Millionen Leute verloren haben, und das war kein leichter Schritt, diese Aussöhnung in diesen Weg zu ebnen. Und trotzdem haben wir diesen Weg geebnet. Und da haben wir so viel gemacht für diese Annäherung und für die strategische Partnerschaft, für das gegenseitige Zusammenwirken in allen Bereichen, für die Vereinigung Deutschlands. Und jetzt – vielleicht waren wir ein bisschen zu naiv.
Moritz Küpper: Herr Botschafter, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.
Sergej Netschajew: Ich danke Ihnen und Ihren Zuhörerinnen und -hörern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.