Ulrich Biermann: Und das hier kennen Serien Junkies. Das Thema von Serial, dem wohl bekanntesten Podcast der Welt. Staffel Eins erzählte die Geschichte von Adnan Syed. Der als 19-Jähriger seine Freundin Hae Min-Lee umgebracht haben soll. Seit 1999 sitzt er dafür im Gefängnis. Reporterin Sarah Koenig war von seiner Schuld nicht überzeugt, stellte eigene Untersuchungen an und alle konnten mithören. Jede Folge von Serial wurde Millionen Mal runtergeladen, der Podcast als Pop-Phänomen. Seit gestern sind die Serial-Macher zurück. Und zwar mit ihrem neuen Podcast "S-Town".
Auch in S-Town geht es um einen Mord. Auch in S-Town geht ein einsamer Reporter einer wahren Geschichte nach. Und auch S- Town, so wird es geschrieben, hoffen die Macher, soll zum Pop-Phänomen werden. Der neue Dreh dabei, statt eine Episode pro Woche, sind von S-Town gestern gleich alle Episoden erschienen. Christian Alt, sind Sie schon durch?
"Vielschichtiger als Serial"
Christian Alt: Nein. Ich bin noch nicht durch. Ich komme gerade vom Hören der fünften Folge, in der ich gerade stecke. Es ist super spannend, auch wenn es ganz anders ist, als ich irgendwie erwartet habe. S-Town ist einfach wesentlich vielschichtiger als Serial. Der Podcast funktioniert auf mehreren Ebenen. Da ist zum einen die Ebene, die man auch aus Serial kennt. Die Ebene des Verbrechens. In S-Town geht es um den Reporter Brian Reed, der eines Tages eine mysteriöse Mail von einem gewissen John B. McLemore bekommt. Er schreibt dem Reporter Green: Hier, in dem kleinen Örtchen, in dem ich lebe, hat der reiche Erbe des Sägewerks jemanden umgebracht und jeder vertuscht es. Brian Reed packt dann sein Mikrofon ein und setzt sich ins Auto nach S-Town, was für Shit-Town steht und fängt an zu reportieren. Das ist die Prämisse des gesamten Podcasts. Nur wird die relativ schnell unterlaufen.
Biermann: Unterlaufen von der zweiten Ebene nehme ich mal an.
Alt: Genau. Brian Reed kommt in S-Town an, geht dem Mord nach, ist aber zusehends fasziniert von dem Mann, der ihm diese Mail geschrieben hat. John B. McLemore. Er lebt verarmt auf einem Fleckchen Erde zu dem es keine Straßenbeschilderung gibt, sondern Geo-Koordinaten, die man in das GPS eintippen muss. Aber: John B McLemore scheint Geld zu haben. Leute im Ort schätzen, dass er Millionär sein könnte. Er ist nämlich Experte im Reparieren von antiken Uhren. Und er hat sich von seinem Zieh-Sohn Tyler ein riesiges Labyrinth bauen lassen. In seinem eigenen Stückchen Wald.
Portrait einer Kleinstadt
Biermann: Das klingt jetzt aber sehr konstruiert nach Krimihörspiel?
Alt: Ja, es ist tatsächlich dokumentatisch. Also, wahrscheinlich ist Brian Reed auch deswegen so darauf abgefahren, weil so einen Protagonisten findet man nicht jeden Tag. Aber: Der Eindruck des Fiktionalen kommt nicht von ungefähr. Brian Reed steht nämlich in der Tradition des Genres der Southern Gothic. Autoren wie Truman Capote, Harper Lee oder William Faulkner erzählen Schauergeschichten aus den amerikanischen Südstaaten. Mit brutalen Morden in verschlafenen Kleinstädten. S-Town steht ganz klar in der Tradition dieser Romane. Anders als in Serial geht es in den sieben Folgen aber nicht darum, einen Mordfall zu lösen, sondern eben ein Porträt dieses kleinen Ortes zu malen. Bei Serial war es ja so, dass jede Woche eine neue Folge rauskam. Und zwischen den Folgen hat ein ganzer Pulk an Hobby-Ermittlern aus dem Internet versucht, auf eigene Faust den Mordfall zu lösen. Damit so etwas jetzt nicht bei S-Town passiert, haben sie dieses Mal die ganze Staffel auf einen Schlag veröffentlicht, weil sie ihre Protagonisten schützen wollen.
Biermann: Wird S-Town an den Erfolg von Serial anschließen können?
Alt: Nein. Und zwar nicht, weil ich glaube, dass S-Town schlecht ist. S-Town ist ein hervorragend erzählter Podcast. Aber: Ich glaube, dass nie mehr irgendetwas an den Erfolg von Serial anschließen kann. Podcasts haben sich im Medienmix vieler Deutscher und erst recht vieler Amerikaner etabliert. Statt ein paar Leuchtturm-Projekten wie Serial haben wir jetzt ein kleines Lichtermeer.