Volker Fried hat 290 Mal für Deutschland gespielt. Im Hockey, nicht im Fußball. Doch Fried, der an vier aufeinanderfolgenden Olympischen Sommerspielen teilgenommen und dabei zweimal die Silber- und einmal die Goldmedaille gewonnen hat, hatte einst Abwanderungsgedanken:
"Ich gerade nach dem verlorenen Endspiel 1984 bei den Olympischen Spielen den großen Drang verspürt habe: Mensch, wie wäre es gewesen Fußball zu spielen, wenn ich denselben Aufwand bis dahin so gefahren hätte, wie ich das für Hockey gemacht habe."
Ein Gedanke, den der 54-Jährige damals auch in die Tat umsetzte. Über einen Kontakt kam er zu Bayer Leverkusen, immerhin erste Bundesliga, absolvierte ein Probetraining, was durchaus vielversprechend war:
"Aus diesem einmaligen Probetraining habe ich dann die positive Resonanz des damaligen Trainers Dettmar Cramer mitgenommen. Du darfst nochmal kommen. Und aus diesem Nochmal-Kommen ist eine Zeit von fast zweieinhalb Monaten geworden. Mit täglicher Teilnahme am Training und in dieser Zeit habe ich für mich diese Frage: Was wäre geworden, wenn – die rein hypothetisch ist, aber für einen selber so doch nicht so ganz unerheblich, wenn man so eine Leidenschaft hat – die ich für mich sehr befriedigend beantworten konnte: Ich hätte es, hätte es mir durchaus zutrauen können, einen ähnlichen Weg zu gehen."
Sprich: Statt Hockey-Amateur eben Profi-Fußballer. Doch letztendlich siegte Frieds Liebe zum Hockey, das Gefühl nach dem verlorenen Olympia-Finale noch etwas gut machen zu müssen. Die Gespräche mit Bayer Leverkusen zerschlugen sich, Fried blieb dem Hockey treu – und widerstand dem Reiz des Fußballs.
"So wenige Monate vor den Olympischen Spielen einen Trainer zu verlieren, ist zunächst mal natürlich eine Katastrophe für jede Sportart",
sagt Remo Laschet, der Vizepräsident des Deutschen Hockey-Bundes. Mitte November wurde bekannt, dass Hockey-Bundestrainer Markus Weise zum Deutschen Fußball-Bund wechselt, um dort die neue DFB-Akademie aufzubauen. Anders als einst Volker Fried widerstand Weise dem Lockruf des Fußballs nicht, sondern folgte eher seinem Vorgänger Bernhard Peters, der erst zur TSG Hoffenheim und heute beim Hamburger SV in der Fußball-Bundesliga arbeitet. DHB-Vizepräsident Laschet wundert der Wechsel nicht, denn Weise...
"...hat eine fantastische Trainer-Karriere, viele Erfolge erzielt, ist drei Mal hintereinander Olympiasieger geworden mit unterschiedlichen Mannschaften. Da bedarf es nicht so furchtbare viele Erklärungen."
Und doch, Geschichte wiederholt sich: Denn eigentlich sollte Weise im Sommer die Mannschaft bei den Olympischen Spielen führen. Doch wenn der Fußball einmal ruft, bleibt allen anderen Sportarten nur das Nachsehen. Denn: Richtige Aufmerksamkeit und damit auch viel Geld, mit dem sich gegeben falls auch die Zeit nach der Karriere absichern lässt, gibt es nur in der Deutschen liebste Sportart zu verdienen. Ein Umstand, der auch durch Zahlen belegt wird: Vor einem Jahr legte die Beratungsgesellschaft Deloitte ihren "Finanzreport deutscher Profisportligen" vor. Das Ergebnis: Sogar die Dritte Liga im Fußball in Deutschland übertrifft die Profiligen im Hand- oder Basketball sowie im Eishockey nach kommerziellen Erlösen, und auch die durchschnittliche Zuschauerzahl von 7.000 in der Dritten Liga liegt höher als bei den anderen Sportarten.
"In meiner Zeit, als ich jung war, waren Finanz-Nöte einfach schlimm",
erinnert sich beispielsweise Diskus-Olympia-Sieger Robert Harting. Er wäre mitunter lieber ein Drittliga-Fußballer, so Harting, dann würde er gut verdienen, aber nicht so in der Öffentlichkeit stehen. Der Leichtathlet ist wohl das beste Beispiel für einen Sportler, der abseits des Fußballs versucht, seinen Erfolg zu Geld zu machen. Doch mancher Top-Sportler bedient sich dabei auch des Fußballs:
"Ja, guten Morgen, Peter. Ja, davon kann man ausgehen, dass die Deutschen heiß sind, auf das Spiel."
Brasilien, im vergangenen Sommer. Statt sich auf die unmittelbar nach der Fußball-WM beginnende Fecht-Weltmeisterschaft in Russland vorzubereiten, berichtet Olympia-Siegerin Britta Heidemann vom Fußball, eben aus Brasilien. AlsReporterin für das ARD-Morgenmagazin, wie vor dem Viertelfinale:
"Ja, wäre natürlich schön, wenn wir gegen Frankreich gewinnen würden."
Heidemann ist nicht die einzige Sportlerin, die auch auf den Fußball setzt:
"Ja, in erster Linie bin ich für die Journalisten-Betreuung zuständig. Das heißt: Alle Akkreditierungen für Heimspiele, Pokalspiele, Auswärtsspiele laufen über mich."
Tobias Hauke sitzt in einer leeren Loge des Volksparkstadions. Der Hockey-Spieler, 2013 zum Welthockey-Spieler des Jahres gewählt, arbeitet beim Hamburger SV in der Pressestelle.
"Zusätzlich dazu bin ich auch für Interview-Anfragen zuständig. Ich spreche mich mit den Spielern dann ab, ob sie das Interview machen wollen – und wenn ja, wann –
und begleite zum großen Teil die Spieler dann auch zum Interview."
Statt sich also als Weltbester seiner Sportart auf die eigene, damals anstehende WM in den Niederlanden vorzubereiten, muss er den HSV-Spielern in der Relegation den Rücken freihalten. Solche Auswüchse lassen sich in ganz Sportdeutschland feststellen: "Gerade Großunternehmern sind lieber Sponsor Nummer zehn im Fußball als die Nummer eins im Handball", sagt beispielsweise Thorsten Storm, Geschäftsführer des Handball-Rekordmeisters THW Kiel. Und Thomas Weikert, der neue Präsident des internationalen Tischtennisverbandes ergänzt: "Der Fußball erdrückt andere Sportarten". Eben nicht nur wirtschaftlich, sondern auch als Magnet, als attraktives Umfeld im Sport-Business. Und der Trend scheint klar:
"Die Entscheidung gegen Olympia in Hamburg hat sicherlich große Konsequenzen auch für den Deutschlandweiten Spitzensport",
sagt Philipp Klotz, Geschäftsführer des "Sponsors"-Verlags. Denn während der Fußball mit der Bewerbung um die Europameisterschaft 2024 ein Ziel hat, fehlt dem restlichen Sport die Orientierung. Für Klotz steht ohnehin fest, ...
"...dass die Spreizung zwischen Fußball und restlichem Spitzensport immer größer werden wird."
Und auch Hockey-Olympia-Sieger Volker Fried, der einst dem Fußball widerstand, macht sich Sorgen. Seinen einstigen Mitstreitern im Hockey, Peters und Weise, gönnt er aber den Wechsel in den Fußball. Es sei eine große Herausforderung ...
"...und wenn diese Sache dann noch so entlohnt wird, ist das großartig."