Önder Özgeday sitzt in einem türkischen Café und bestellt einen Mocca alla Turca. Der gebürtige Heidelberger hat türkische Vorfahren, er wohnt aus beruflichen Gründen in Bochum. Dort setzt er sich gegen die Beschneidung von Jungen ein – und zwar bei "MOGiS", einem Verein für die körperliche Unversehrtheit von Kindern.
Özgeday bezeichnet sich selbst als Betroffenen und argumentiert daher aus eigener Erfahrung: "Ich fühle mich sehr verletzt von dieser Community, zu der ich ganz positive Erfahrungen hatte, bevor das geschehen ist. Nach diesem Ereignis ist eine Zäsur passiert, ich habe das als sehr manipulativ gefühlt, dass man mich überredet hat, zu einer Sache, unter dem Vorwand: ‚Du bist dann ein Mann! Du gehörst dann zu uns, wir sind dann stolz.'"
Beschneidung als männliches Aufnahmeritual
Die Beschneidung gilt vor allem in traditionell-muslimischen Kreisen als das Aufnahmeritual in die Männlichkeit schlechthin - für viele Eltern ein so wichtiges Ereignis, dass die Beschneidung pompös gefeiert wird. Der Einladung der Familie folgen oft hunderte Gäste. Meist werden teure Hochzeitssäle angemietet.
Türkischstämmige sprechen dann von der sogenannten "Beschneidungs-Hochzeit". Es wird gefeiert, gegessen und getanzt. Der beschnittene Junge, verkleidet als ein Prinz, bekommt Geschenke. Der Rest der Veranstaltung zieht eigentlich am Kind vorbei. Es geht hauptsächlich um die Eltern.
Der heute konfessionslose Özgeday wurde nach muslimischer Tradition beschnitten, als er bereits zehn Jahre alt war. Danach gab es Komplikationen, an deren Folgen er bis heute zu leiden habe. Özgeday betont, erst durch diese persönliche Erfahrung sei ihm klar geworden, dass auch viele andere betroffen seien.
"Es ist nicht okay"
Deshalb engagiere er sich gegen diese traditionelle Praxis: "Natürlich gibt es das einmal in der Klinik und einmal im ‚Istanbuler Beschneidungspalast‘, wo sie dann – zack zack – massenproduktionsmäßig … Ich sehe auch den Unterschied, aber ich erwähne das nicht gerne, weil: Dann kommt das Argument: Das so zu machen ist es okay, das so zu machen ist nicht okay. Das Problem ist aber der Kern. Es ist an sich nicht okay", so Özgeday.
Muslimische Ärzte für die Zirkumzision, so die medizinische Bezeichnung von Beschneidungen der männlichen Vorhaut, argumentieren: Bei nicht beschnittenen Männern können sich Bakterien festsetzen, die dann zu Infektionen in den Harnwegen führen und ernsthafte Komplikationen verursachen können.
Beschneidungsgegner wie Özgeday halten das für Mythen. Doch all das erklärt nicht, wie die Beschneidung Eingang in den Islam gefunden hat. Mathias Rohe ist Jurist und Islamwissenschaftler an der Universität Erlangen-Nürnberg. Er blickt in den Koran und stellt fest:
Beschneidung aus dem Judentum übernommen
"Die Beschneidung von Männern ist eine Sitte, die gar nicht im Koran so explizit festgelegt ist, sondern man stützt sich da auf eine koranische Aussage, dass Muslime das tun sollen, was die Kinder Abrahams, also die Juden in dem Fall, gemacht haben. Und es ist in der Tat ja gerade für das Judentum der entscheidende Aufnahmeritus für die Jungs in die jüdische Gemeinde, sich beschneiden zu lassen. Und das hat der Islam schlicht und ergreifend übernommen, wobei die Vorschriften nicht so streng sind wie im Judentum, also muss nicht innerhalb von acht Tagen passieren, sondern irgendwann mal."
Der Islam unterscheidet zwischen den Glaubenspflichten und den sogenannten Empfehlungen. Pflichten sind beispielsweise das tägliche Gebet und das Fasten im Ramadan. Die Beschneidung gehört nicht zu diesen Pflichten, wird aber zu den wichtigsten Empfehlungen gezählt.
Zwar gibt es unter Muslimen auch solche, die sich gegen eine Beschneidung aussprechen: "Aber nach meinem Eindruck ist es so, dass tatsächlich in vielen muslimischen Familien das immer noch als dazu gehörig angesehen wird und das deutsche Recht lässt das ja unter bestimmten Bedingungen zu", so Rohe.
Schönheitsoperationen sind verboten
Die Beschneidung ist ein physischer Eingriff in den Körper, den der Islam befürwortet - anders bei Eingriffen in den Körper, die keinen gesundheitlichen Vorteil bedeuten. Da hat der Islam eine abweichende Haltung.
Mathias Rohe: "Also, es gibt die Aussage: Der Mensch darf gar nicht eigenständig über seinen Körper verfügen im Sinne von ihn verletzen, sich nachteilig auf ihn einwirken, weil er eben ein Geschenk Gottes ist. Und deswegen ist der Mensch auch im Hinblick auf den Umgang mit seinem eigenen Körper Gott gegenüber verantwortlich. Das ist die Grundidee."
Deshalb sind nicht notwendige, rein ästhetische Veränderungen am Körper verboten. Dazu zählen Schönheits-OPs und auch Tätowierungen.
"Hat dich Gott nicht perfekt genug geschaffen?"
"Nach dem Motto: Hat dich Gott eigentlich nicht perfekt genug geschaffen, dass du meinst da noch was machen zu müssen?", sagt Rohe. Dennoch beobachte der Islamwissenschaftler auch im Bereich der Schönheitschirurgie einen eher ungehemmten Umgang von Muslimen: "Ich bin immer wieder in Istanbul und da sieht man sehr viele muslimische Männer mit Kopfverbänden. Ich dachte immer, das sind alles Flüchtlinge aus dem syrischen Kampf. Hab mir dann aber sagen lassen, die gehen nach Istanbul zur Haartransplantation, weil das da billig machbar ist. Das wird man vielleicht noch unter Schönheitsoperationen rechnen können, aber da scheinen das viele äußerst entspannt zu sehen."