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Serie: Doppelpässe - Migration im und durch Sport - Teil 1
Bunt an der Basis, blass an der Spitze

23,6 Prozent der deutschen Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund. Ob Politik, Wirtschaft, Medien oder Sport: in Führungsgremien spiegelt sich diese Vielfalt nicht wieder. Die Präsidien der 21 Fußball-Landesverbände im DFB kommen auf 220 Mitglieder - acht von ihnen haben Wurzeln außerhalb Deutschlands.

Von Ronny Blaschke |
    Karlos El-Khatib ist Berlin aufgewachsen, sein Vater kam aus Palästina.
    Karlos El-Khatib ist Berlin aufgewachsen, sein Vater kam aus Palästina. El-Khatib arbeitet dort für den Fußballverband. (Deutschlandradio / Ronny Blascke)
    Die TV-Spots der Fußballverbände sollen Vielfalt zeigen. Die Bundesligaspieler stammen aus 60 Nationen, in den Nachwuchszentren haben 40 Prozent einen Migrationshintergrund. Aber in Aufsichtsräten oder Sportgerichten liegt dieser Anteil weit unter zehn Prozent. Ist es demokratisch, wenn die Entscheider in ihrer Zusammensetzung die Basis nicht repräsentieren?
    Zum Beispiel der Berliner Fußball-Verband. Dort haben von 50 Angestellten vier eine Einwanderbiografie. Einer von ihnen ist der Betriebswirt Karlos El-Khatib: "Einerseits brauchen wir Vorbilder, die klar gezeigt werden. Das ist nur ein Schritt von vielen. Also sich einfach nur offen zu zeigen, hilft nicht, sondern man muss Personen mit Migrationshintergrund klar ansprechen. Dass auch sie damit gemeint sind, wenn wir Stellen besetzen wollen. Es braucht wirklich ein offensives Zugehen auf die Menschen."
    Über ein Praktikum kam El-Khatib zum Berliner Fußball-Verband
    Karlos El-Khatib ist in Berlin aufgewachsen, sein Vater war in den Achtziger Jahren aus Palästina geflüchtet. El-Khatib kam über ein Praktikum zum Berliner Fußball-Verband. Seine Skepsis gegenüber einer vermeintlich homogenen Männerbürokratie verschwand schnell. Er durfte Projekte entwickeln, erhielt eine Festanstellung. Doch in den meisten Gremien kommt es nicht zu solchen Begegnungen.
    Und so kann kein Verständnis für andere Perspektiven entstehen, sagt Tina Nobis vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung, das auch vom DFB gefördert wird: "Wenn wir heute über Migrationsgesellschaften verhandeln, verhandeln wir ja zum Beispiel auch über Uneindeutigkeiten. Und über Möglichkeiten, zu Vielen dazugehören zu können. Ich denke, dass viele Vereine eben lange Zeit darauf gesetzt haben, auf so ein klassisches altes Ehrenamt. Es gibt diesen Vorstandsvorsitzenden. Und den gibt es halt und gibt es halt und gibt es halt und gibt es halt. So hat sich eine Fahrtabhängigkeit entwickelt von: ,Es sind sowieso immer die gleichen.’"
    Der DFB hat Ehrenamtliche mit Migrationshintergrund über Jahrzehnte vernachlässigt und sich erst mit der Flüchtlingsdebatte für das Thema geöffnet: In Preisverleihungen, Broschüren, im März in einer großen Konferenz in Berlin. Doch nur zögerlich werden die Ideen an der Basis umgesetzt. Vereine nehmen sie mitunter als akademische Bevormundung wahr - oder als Alibi aus der Marketingwelt des Nationalteams.
    Sorge vor einem möglichen "Özil-Effekt"
    In etlichen Landesverbänden wächst nun die Sorge, dass die Debatte um Mesut Özil Engagierte mit Einwanderergeschichte weiter abschrecken wird. Karlos El-Khatib sagt: "Dass sich Menschen, die eben auch Özil als Vorbild gesehen haben, dass sie sich jetzt bestätigt fühlen darin, dass sie doch nicht Teil der Gesellschaft sind. Ich denke, dass wir den Bereich Rassismus doch noch mal stärker angehen müssen. Und zwar auf einem anderen Weg. Wenn generell mit jemandem auf dem Feld Rassismus gearbeitet wird, dann ist das oft sehr vorwurfsbehaftet. Wenn wir beispielsweise mit einem Verein zusammenarbeiten wollen würden und einen Rassismus-Workshop machen: ich denke, die meisten Vereine würden dann erst mal denken: Warum, was haben wir denn getan?"
    Der Berliner Fußball-Verband verdeutlicht die Herausforderungen auf der Suche nach Ehrenamtlichen. Es gibt Begegnungsfeste und Sozialpreise. Gegnerische Teams können sich beim "Berliner Freunde Frühstück" kennenlernen. Doch Informationen in anderen Sprachen gibt es nicht. In den Ausbildungen für Trainer, Schiedsrichter oder Sportrichter spielt Integration eine Nebenrolle. Praktika oder Mentorenprogramme für Einwanderer - wie in den USA oder Großbritannien - gibt es im deutschen Fußball nicht.
    Wie gehe ich mit einem türkischen Vereinsvertreter um?
    Doch selbst wenn, eine bloße Beteiligung wäre kein Patentrezept, sagt Özgür Özvatan aus dem Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität Berlin: "Weil in einigen Fällen Personen mit Migrationshintergrund ins Schiedsgericht berufen wurden. Und die dann einen Riesendruck erhalten haben von Migrantenfußballvereinen. Dass sie dann in diesen Entscheidungen immer für ,ihre’ Vereine, in Anführungszeichen, entscheiden sollen. Und diese Dinge sind wir wahrscheinlich gerade dabei zu verhandeln. Das heißt: wirklich Migration und Einwanderung ernst nehmen. Wie gehen wir denn nun vor, wenn ich mich mit einen Vereinsvertreter von einem türkisch geprägten Migrantenfußballverein unterhalten möchte, wenn ich ihn einbinden möchte? Und er lädt mich ein in eine Moschee – wie gehe ich damit um`?"
    Forscher wie Özgür Özvatan wünschen sich ein Forum für Migrantenorganisationen, organisiert durch den Deutschen Fußball-Bund. In dem man Erfahrungen austauschen und Ideen entwickeln kann. Ein langfristiges Forum, auch über die mediale Aufregung hinaus.