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Serie "Fliegen und Sterben"
Als Käfer im Kuhfladen

Insekten nehmen Schlüsselstellen im Nahrungsnetz ein, von ihnen hängen viele andere Lebewesen ab. In Kuhhaufen beispielsweise gibt es eine enorme Bio-Diversität. Doch vielerorts greifen Landwirte in diesen Nahrungskreislauf ein, mit dem Ergebnis, dass sich unerwünschte Pflanzen auf der Weide verbreiten.

Von Joachim Budde |
Goldfliege auf einem Kuhfladen
Insektengifte sind auch im Kot noch wirksam und führen zu Lücken im Nahrungsnetz. Im Bild: Goldfliege auf einem Kuhfladen. (Stefan Kühne / Julius-Kühn-Institut)
Eine große Weide auf der Ville, einer Anhöhe zwischen Köln und Bonn. Bis vor drei Tagen stand hier noch eine Herde Mütterkühe.
"Das ist eine ganz normale Wirtschaftswiese oder ich würde als Naturschützer schon ein wenig boshaft sagen: Das ist ein Grasacker."
Karl-Heinz Jelinek ist Sprecher des Landesfachausschusses Entomologie beim Nabu NRW. Das meiste Gras ist abgefressen, außer ein paar hohen Halmen, die die Kühe verschmäht haben. Und die Wiese ist garniert mit Kuhfladen. Karl-Heinz Jelinek kniet sich neben einen Kuhfladen und bricht ihn auf.
Karl-Heinz Jelinek, Sprecher Landesfachausschuss Entomologie, Nabu-Landesverband NRW, Köln, bricht auf einer Kuhweide auf der Ville einen Kuhfladen auf
Karl-Heinz Jelinek, Sprecher des Landesfachausschusses Entomologie, Nabu-Landesverband NRW, Köln, bricht auf einer Kuhweide auf der Ville einen Kuhfladen auf (Deutschlandradio / Joachim Budde)
"Der sieht doch schön kompakt aus. Mit vielen Löchern, bei denen man hoffen kann, dass da vielleicht auch Insekten im Spiel gewesen sind. Da läuft ein Käfer herum, zwei, da sind wieder welche. Es scheinen mir irgendwelche Kurzflügelkäfer zu sein. Da liegt doch irgendeine Puppe, das könnte eine Fliegenpuppe sein. So ein Tönnchen, die machen ja so Tönnchenpuppen." So ein Fladen ist ein kleiner Kosmos für sich.
Anzahl der Fliegenarten im Kuhfladen bislang kaum untersucht
"Also Käfer, da gibt es so viele kleine Arten, auch bei anderen Insekten, da muss man auf Details achten, und die Tiere sind ja auch zum Teil sehr klein, die kann man so draußen im Gelände teilweise kaum bestimmen. Die müsste man eigentlich einsammeln, abtöten und zu Hause unter dem Binokular untersuchen."
Genau das haben Käferexperten mehrmals getan. Sie fanden im Dung dieser Wiese 50 Arten von Blatthorn-, Wasser- und Mistkäfern. Darunter waren ein paar Tiere, die auf der Roten Liste als gefährdet stehen. Wie viele Fliegenarten im Kuhfladen leben, ist noch gar nicht richtig untersucht. Es dürften aber sogar mehr sein als Käferarten, schätzt Stefan Kühne vom Julius-Kühn-Institut in Kleinmachnow bei Berlin:
"Es ist wirklich eine enorme Biodiversität die wir hier in so einem Dunghaufen haben."
Manche Insekten und ihre Larven leben direkt vom Dung, andere machen sich über die Dungfresser her oder nutzen den Haufen als Ansitz, um in der Umgebung zu jagen.
"In einem späteren Zeitraum kommen dann Vögel, die dann nach den Insektenlarven suchen oder Fledermäuse, die über die Weide ganz tief fliegen, um die Insekten, die sich in diesem Kuhdung sich entwickeln, abzufangen."
Doch vielerorts greifen die Landwirte in diesen Nahrungskreislauf ein: Gegen Band- und Spulwürmer lassen sie ihre Kühe Medikamente schlucken. Und um sie gegen Rinderläuse und Zecken auf ihrer Haut zu schützen, sprühen sie das Vieh mit Insektengiften ein.
Lücken im Nahrungsnetz führen zu Disteln und Ampfern
"Die dann, wenn die Rinder sich gegenseitig ablecken, in den Darmtrakt wieder kommen, zum Teil abgebaut werden und ausgeschieden werden. Aber auch besonders die Medikamente gegen die Spulwürmer werden nicht vollständig im Darm abgebaut, sondern es kommt zu sogenannten Metaboliten also Fragmenten, die wir dann im Dunghaufen finden."
Das heißt, die Insektengifte sind auch im Rinderkot noch wirksam. Fliegen- oder Käferlarven, die von solch einem Fladen fressen, sterben. So entstehen Lücken im Nahrungsnetz. Wenn die Gegenspieler zum Beispiel von Gnitzen fehlen, können diese winzigen Mücken die Blauzungenkrankheit auf Schafe und Rinder übertragen. Und wenn Insekten den Fladen nicht auffressen können, bleibt er länger liegen.
"Unter so einem Dunghaufen entstehen dann ungünstige Bedingungen. Das heißt, es kann kein Gras mehr nachwachsen."
Unerwünschte Pflanzen wie Ampfer oder Disteln machen sich auf der Weide breit – Pflanzen, die die Kühe nicht fressen und die der Bauer nur mit Mühe wieder entfernen kann. Forscher und Umweltschützer wünschen sich mehr Rücksicht auf das Leben in den Fladen.
Karl-Heinz Jelinek: "Diese Wiesen hier sind ja auch gut untersucht und es wurden ja in diesen Arbeiten auch gute Besiedlungen mit Dungkäfern festgestellt, das bedeutet, dass die Arbeitsweise, die hier praktiziert wird, die Fauna nicht schädigt, sondern eher fördert. Von daher ist das schon okay, wie der Bauer hier arbeitet."
Die Rinder auf der Ville haben lediglich zu Beginn der Weidesaison im Frühling eine Wurmkur erhalten. Karl-Heinz Jelinek, der Insektenexperte vom Nabu NRW, ist einigermaßen zufrieden.
Joachim Budde: "Da läuft wieder einer." – Karl-Heinz Jelinek: "Ja, das war wieder so ein Kurzflügelkäfer."
In den nächsten Tagen wird der Bauer die restlichen Gräser abmähen, zerkleinern und zum Düngen auf der Weide liegen lassen. Das wird auch das Ende für die Kuhfladen bedeuten.
Karl-Heinz Jelinek: "Aber wenn dann die Käfer und die Larven im Boden sind, passiert denen eigentlich nicht viel." Im Erdreich warten die Insekten darauf, dass die Kühe zurückkehren und neue Fladen herstellen. Karl-Heinz Jelinek: "Ich muss aufstehen."