"Das sind jetzt die beiden hier." Lars Krogmann hebt den Glasdeckel von einem Holzkasten in der Sammlung am Naturkundemuseum in Stuttgart. Auf feine Nadeln gespießt bewahrt er darin kleine Taillenwespen auf.
"Das hier ist jetzt eine sehr seltene Gruppe, das ist die einzige Art der Trigonaliden, die in Deutschland vorkommt."
Pseudogonalos hahnii heißt sie. "Die hat leider keinen deutschen Namen."
Komplett schwarz – wie eine zu groß geratene Ameise mit Flügeln. Und ein Parasitoid. Das heißt, seine Larve frisst ein anderes Insekt auf. Sie treibt sich auf Eichen und Buchen herum.
"Das Weibchen legt Tausende Eier auf der Unterseite von Blättern, und dann ist hier an diesem Beispiel eine Eulenfalter-Raupe gekommen und hat diese Eier gefressen. Dann hat sie wahrscheinlich beim Fressen schon einige Eier beschädigt."
Und das muss so sein, nur dann kann so eine Taillenwespenlarve schlüpfen. Im Innern der fünf bis sechs Zentimeter langen hell gefärbten Raupe durchstößt sie den Darm. Doch statt direkt los zu futtern, macht sie sich auf die Suche nach einem anderen Parasitoiden, nach einer Schlupfwespenlarve, die schon dabei ist, die Raupe von innen aufzufressen. Die Taillenwespenlarve entert die Schlupfwespenlarve, wartet, bis die mit ihrer Mahlzeit fertig ist und sich verpuppt hat. Dann macht sie sich über die Schlupfwespe her.
"Unter dem Tier sieht man so einen Kokon. Das ist der Kokon, der schon von der Schlupfwespe gebaut wurde. Und im Inneren dieses Kokons hat die Schlupfwespe sich verpuppt. Und diese Puppe wurde dann von der Larve dann aufgefressen."
Viele Menschen betrachten die Strategie von Parasiten als perfide und brutal. Aber es ist gerade diese Gruppe von Insekten, die alle anderen in Schach hält.
Forscher: Top-Prädatoren seien häufig parasitoide Insekten
"Man nimmt an, dass viele Insekten im Laufe ihrer Entwicklung, dass da von den Beständen so etwa 90 Prozent durch Parasitoide ausgeschaltet werden können – sowohl im Ei-, Larven-, Puppenstadium und bei einzelnen auch die Erwachsenen –, das ist also so ein immenser Druck, die Top-Prädatoren, wenn man so will, sind wirklich häufig parasitoide Insekten, vor allem Wespen."
Autor: "Das heißt, von den 10 Prozent die dann noch übrig bleiben, können die Vögel sich auch noch alle sattfressen und dann bleiben immer noch genug übrig."
Lars Krogmann: "Genau. Das zeigt, dass bei ganz vielen Insektenarten ein ganz hohes Potenzial für große Individuen-Zahlen da ist, es ist immer die Frage: Sind die Lebensräume intakt und ermöglichen es die Lebensräume, dass sich die Bestände in ausreichender Menge entwickeln. Wenn das nicht der Fall ist, dann spielen die anderen Faktoren wie Gegenspieler auch keine große Rolle mehr."
Auf fast jede Insektenart hat sich mindestens ein solcher Parasitoid spezialisiert. Darum gehören zu dieser Gruppe besonders viele Arten. Wie viele genau – dazu gibt es allenfalls grobe Schätzungen. Und selbst wenn die Arten einen Namen haben –ihre Lebensweise liegt meist noch immer im Dunkeln. Das liegt daran, dass die allermeisten Parasitoide wirklich winzig sind. Lars Krogmann zeigt einen Kasten mit Verwandten von Pseudogonalos hahnii.
"Der Großteil dieser Arten sind ein Millimeter oder kleiner. Wir nennen das manchmal Luftplankton."
Erhebungen wie die bekannte Studie der Krefelder Entomologen zum Insektensterben in den vergangenen 30 Jahren erfassen die Biomasse der Insekten. Damit können sie in erster Linie Aussagen treffen für große Tiere: Schmetterlinge, Fliegen, Bienen. Die Winzlinge fallen buchstäblich nicht ins Gewicht.
"Deswegen könnte es sein, dass die Wirklichkeit noch gravierender ist, dass nämlich viele Arten, die gewichtsmäßig gar nicht so eine Rolle spielen, möglicherweise noch stärker zurückgegangen sind in dieser Zeit."
Parasitoide liefern Informationen über den Zustand der Artenvielfalt
Zumal die parasitoiden Wespen vollkommen von ihren Wirten abhängen. Die Erzwespe Leucospis gigas zum Beispiel. Sie befällt die Schwarze Mörtelbiene Megachile parietina, die früher in Südwestdeutschland weit verbreitet war.
"Heute ist diese Biene in Deutschland fast ausgestorben, hier in Baden-Württemberg gibt es noch drei von vier bekannten Populationen. Das ist alles, was übrig geblieben ist."
Das hat fatale Folgen für die Erzwespe: "Wir wissen, dass die Art seit 1970 nicht mehr in Deutschland gefunden wurde. Da kann man sich jetzt gut vorstellen: Wenn die Anzahl der Wirtstiere in den Populationen zu klein wird, dass dann die Parasitoide natürlich vor den Wirten aussterben."
Weil sie in den Nahrungsnetzen weit oben stehen, liefern die Parasitoide eine Fülle von Informationen über den Zustand der Artenvielfalt. Wenn Lars Krogmann also viele Taillenwespen der Art Pseudogonalos hahnii findet, weiß er, dass es auch den Schlupfwespen gut geht, und den Eulenfaltern und den Eichen oder Buchen.