Wenn die Trockenzeit beginnt, wird es karg für Giraffen, Antilopen und all die anderen Pflanzenfresser der kenianischen Savanne. So ziemlich die einzigen Bäume, die noch ein paar grüne Blättchen bieten, sind die Flötenakazien, die so sonderbar im Wind pfeifen. Immer wieder kommt ein Tier, das sich von den Dornen nicht abschrecken lässt – ein Elefant zum Beispiel, erzählt Kathrin Krausa von der Ruhr-Universität-Bochum:
"Er rüttelt also ganz ordentlich an dem Baum herum, bricht etwas ab, und das macht er so eine Zeit lang und irgendwann wird das Ganze offensichtlich zu lästig und er bewegt sich zu einem anderen Baum hin."
Lästig wird dem Elefanten die Leibgarde der Akazie: Ameisen der Art Crematogaster mimosae kriechen ihm in den Rüssel und beißen ihn. Wer genau hinschaut, sieht, dass viele Dornen der Akazie eine Verdickung haben – die sehen ein bisschen aus wie die stacheligen Kastanien und sind hohl:
"Die werden von den Ameisen aufgebohrt und dann als Wohnraum benutzt. Gleichzeitig sind auf der Akazie extraflorale Nektarinen verteilt, in denen eine zuckerhaltige Lösung angeboten wird und die Ameisen Nahrung finden."
Eine Liaison, bei der beide Seiten profitieren. Lange dachte man, die Ameisen folgten dem Geruch, der entsteht, wenn der Baum verletzt wird. Aber:
"Die Duftstoffe sind etwas, was sich sehr, sehr langsam ausbreitet eigentlich nur, und noch dazu Ameisen, die sich auf der falschen Seite vom Baum, also windabgewandt befinden, das Signal gar nicht erst bekommen würden."
Schwingungen der Äste
Kathrin Krausa und Felix Hager vermuteten, dass in Wirklichkeit Vibrationen dahinterstecken. Sie machten ein Experiment mit einer Ziege:
"Diese Ziege war nun nicht immer so begeistert, mit uns zusammenzuarbeiten, weil die natürlich auch von den Ameisen attackiert worden ist. Und das konnten wir dieser Ziege nicht dauerhaft zumuten, und auch sind Ziegen manchmal ein bisschen launisch, das heißt, es bestand bei uns das Interesse daran, um Versuche durchzuführen, die wir wiederholen können. Eine künstliche Ziege zu haben."
Sie setzten einen Akazien-Ast also so in Schwingung, wie es eine echte Ziege täte und beobachteten, wie die Ameisen reagierten:
"Die Ameisen kommen alle sofort aus diesen Dornen heraus und strömen in die Richtung, in der wir an dem Baum halt diese Vibrationen abgespielt haben. Tatsächlich werden die Ameisen auch auf der anderen Seite, also viele Meter weit entfernt, auf der anderen Seite von dem Baum auch aktiviert. Die bekommen auch mit, dass da ein Problem ist, und strömen alle in die richtige Richtung."
Die Löcher der Dornen flöten im Wind
Ein wehrhafter Baum, der noch dazu Musik macht: Die Löcher, die die Akazienameisen in die hohlen Dornen hineingebohrt haben, flöten im Wind:
"Nachts, auch wenn man dann als Biologe alleine vielleicht Ameisenversuche macht, dann klingt das auch ein bisschen gruselig, also man erschreckt sich, es hat ein bisschen was Geisterhaftes, aber auch etwas sehr Schönes."
Die Akazie warnt unbedarfte Pflanzenfresser:
"Wir haben uns gefragt, ob dieser Flötenton vielleicht schon etwas ist, was die Pflanzenfresser darüber informiert, dass dort eine massive Gegenwehr von den Ameisen zu erwarten ist. Denn schließlich pfeifen nur solche Bäume, auf denen auch Ameisen leben. Denn diese Ameisen machen ja das Loch. Es könnte durchaus sein, dass das ein Warnsignal ist."
Komplexes Ökosystem
Die Ameisen nutzen dem Baum. Doch Kollegen von Kathrin Krausa und Felix Hager haben gezeigt, dass die Akazie es sich ziemlich schnell anders überlegen kann: Sie haben ein größeres Gebiet mit Flötenakazien eingezäunt. Elefant und Co. mussten draußen bleiben, die Akazien hatten ihre Ruhe:
"Die fangen an, einmal kleinere Dornen zu produzieren, das heißt, nur noch kleinere Häuser zur Verfügung zu stellen, und weniger Nektar zu produzieren. Das heißt auch noch: Den Ameisen weniger Futter zu geben. Und ab irgendeinem Punkt ändert sich dann eben die Zusammensetzung der Ameisen. Die Bodyguards, die den Baum wirklich gut beschützen, die ziehen aus oder die ziehen nicht mehr ein, und andere Ameisen ziehen ein, die nicht mehr so sehr darauf angewiesen sind, von dem Baum gefüttert zu werden."
Die Akazie braucht auch Schutz vor kleinen Feinden
Keine große Sache, denkt man erst einmal. Doch Crematogaster mimosae, die bewährten Bodyguards der Akazie, schützen auch gegen kleine Feinde. Und die neuen Ameisen nicht:
"Stellen Sie sich Käferlarven vor, die im Holz bohren, Zikaden, die daran saugen, alle möglichen kleinen anderen Tiere fressen an dem Baum und schädigen den auch. Und wenn es jetzt keine Ameisen mehr gibt, die diesen Baum beschützen, dann gibt es umso mehr. Und tatsächlich hat man in Kenia festgestellt, dass in acht Jahren, in denen diese Bäume geschützt worden sind vor großen Pflanzenfressern, diese Bäume in einem viel miserableren Zustand waren als solche, die regelmäßig von Säugetieren angefressen werden."
Eine erstaunlich schnelle Veränderung mit erstaunlich weitreichenden Folgen:
"Das zeigt ganz eindeutig auf wieviel verschiedenen Ebenen diese Player in so einem Ökosystem miteinander vernetzt sind. Also wie komplex das ist und was da passieren kann wenn man nur einzelne Mitspieler herausnimmt. Also welche schlimmen Folgen das haben kann."