Archiv

Serie zur Reform des Nachwuchsfußballs
"Letztlich sind wir Begleiter und keine Lehrer"

Nachdem sich die Diskussionen um die Reformpläne im Kinderfußball gelegt haben, wird die Neuausrichtung nun an die Basis vermittelt. Dabei hilft unter anderem Ex-Profi Lars Bender. Er gibt zu, erstmal ebenfalls "nicht überzeugt" gewesen zu sein.

Von Daniel Theweleit |
Training der G-Jugend des SC Victoria auf dem Platz im Stadion an der Hoheluft.
Kleinere Teams, kleinere Tore, mehr Ballkontakte: Das sind drei der Maßnahmen bei der Kinderfußball-Reform des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). (IMAGO / Hanno Bode / IMAGO / Hanno Bode)
Die Emotionen haben sich ein wenig abgekühlt, seit im Spätsommer etliche prominente Männer gegen die vom Deutschen Fußball-Bund beschlossene Reform des Kinderfußballs polemisierten. Die Einführung kleinerer Spielformen, mindestens bis zur U10 auch im Wettkampfbetrieb, wären Teil eines gefährlichen gesellschaftlichen Trends, hieß es: Die Jugend werde verweichlicht, lerne nicht mehr, sich durchzusetzen und Widerstände zu überwinden.
"Wenn wir Angst haben, dass so ein Achtjähriger komplett aus dem Lebensgleichgewicht geworfen wird, weil er mal 5:0 mit seiner Mannschaft verliert, dann sagt das auch sehr viel über die deutsche Gesellschaft aus", hatte Hans-Joachim Watzke, der derzeit wohl mächtigste Mann im deutschen Fußball, gesagt und gespottet: "Demnächst spielen wir noch ohne Ball oder wir machen den eckig, damit er den etwas langsameren Jugendlichen nicht immer wegläuft."

"Gegenstimme sorgt für Diskussion und damit für Werbung"

Lars Bender, der beim Deutschen Fußball-Bund in dem Kompetenzteam mitarbeitet, das den neuen Kinderfußball an die Basis vermitteln soll, hätte gute Gründe, sich über solche Aussagen zu ärgern. Aber er lächelt sanft, wenn er mit dieser Kritik konfrontiert wird. Der frühere Nationalspieler hat beobachtet, "dass diese Gegenstimmen auch zu Diskussionen führen und die Diskussion ist ja dann wieder auch wieder Werbung. Von dem her hat das sogar einen Mehrwert für uns", erklärt er in Teil 3 unserer Serie zur Reform.
Tatsächlich wurden die Schulungs- und Informationsvideos für Jugendtrainer in den Tagen nach Watzkes Kritik deutlich öfter angesehen als sonst. Zwar sagt der erste Vizepräsident des DFB, er habe in seiner ganzen Funktionärskarriere zu keiner anderen Aussage derart viel positives Feedback bekommen. Aber die Köpfe hinter dem Projekt haben die Erfahrung gemacht, dass selbst Skeptiker, die zuvor böse Facebook-Kommentare zu dem Konzept verfasst haben, sich schnell überzeugen lassen, erzählt Nikola Ludwig, die ebenfalls dem Kompetenzteam angehört.
"Genau das ist das Schöne. Wir sind überall unterwegs und die Leute sind einfach dankbar. Und für mich ist es so: Wenn ich es zeige, wenn ich es erkläre, wenn ich es auf dem Platz demonstriere, dann habe ich noch keinen erlebt, der ein logisches Gegenargument hatte oder der irgendwie sagen konnte: Hey, das funktioniert nicht", sagt Ludwig. "Ich hatte schon Fortbildungen, wo ich vorher wusste, da sind vier bis fünf Leute dabei, die gerne auf Facebook Kommentare drunter schreiben, die danach gesagt haben: Es war super, es hilft mir."

Mehr Ballaktionen für alle Kinder

Die Hauptargumente lauten: Kleine Teams spielen sowohl im Training als auch in den Wettkämpfen, die als kleine Turniere ausgetragen werden, auf zwei, meist aber auf vier Tore. Jedes Kind hat damit eine deutlich erhöhte Anzahl an Ballaktionen. Zudem ist es viel einfacher, bei mehreren gleichzeitig stattfindenden Drei-gegen-Drei- oder Vier-gegen-Vier-Spielen dafür zu sorgen, dass auch die Schwächeren in Teams landen, in denen sie gebraucht werden. Es kommt permanent zu Zweikampf-, Dribbling- und Abschlusssituationen, womit mehr Dribbler, Torjäger und Zweikämpfer ausgebildet werden. Genau diese Spielertypen fehlen ja im Moment auf dem höchsten Niveau.
Allerdings wird in den Diskussionen oft eine wichtige Differenzierung vergessen: Das Training ist etwas anderes als der Wettkampf, sagt die DFB-Trainerin Ludwig: "Das ist ein Riesenthema, das ist etwas, was eigentlich immer vermischt wird: Trainingsphilosophie und neue Wettbewerbsformen im Kinderfußball. Wir weisen auch ganz klar darauf hin, dass es uns erst mal ums Training geht. Das ist ganz, ganz wichtig."
Dass die neuen Spielformen im Training, sinnvoll sind, wird kaum noch ernsthaft in Frage gestellt. Schwieriger ist für Traditionalisten der Verzicht auf das eine wichtige Spiel am Wochenende, nach dessen Abpfiff dann auch die Nachbarn und die Großeltern nach dem Ergebnis und den Torschützen fragen. Wo eine Tabelle entsteht, wo man sich ein bisschen fühlen kann wie bei den Profis.

Entwicklung statt Erfolg im Mittelpunkt

"Ich bin auch ehrlich, gerade was die Wettbewerbsformen angeht, war ich am Anfang auch ich nicht so überzeugt. Ich war nicht so im Bilde, bis ich zu einhundert Prozent verstanden habe, um was es dort eigentlich geht", sagt Lars Bender. Ein Teil der Skepsis rührt daher, dass sich die Rolle der Trainer grundlegend verändert, wenn am Wettkampftag jede Mannschaft mit mehreren kleinen und gleichzeitig spielenden Dreier- oder Viererteams antritt.
Es ist bei den Sechs- bis Zehnjährigen nicht mehr möglich, dass Väter mit dem Hauptmotiv coachen, den größtmöglichen Erfolg zu haben, vielleicht aufzusteigen oder zumindest in der Tabelle vor dem normalerweise überlegenen Erzrivalen aus dem Nachbardorf zu stehen. In der bisherigen Praxis spielen auch getrieben von diesem Ehrgeiz meist die körperlich Stärksten, andere sitzen lange auf der Bank. Viel zu früh geht es um pragmatische Erfolgsstrategien, statt um die fußballerische Entwicklung. Solche Trainertypen leisten vielleicht noch ein paar Jahre Widerstand, werden im Kinderfußball der unter Zehnjährigen aber mittelfristig aussterben.
Ein Junge steht auf einem Fußballplatz und trainiert (Symbolbild).
Wie soll die Zukunft des Jugendfußballs in Deutschland aussehen? Mit dieser Frage hat sich der DFB beschäftigt und Reformen in die Wege geleitet. Nicht alle finden diese wirklich sinnvoll – aber es gibt auch Unterstützung für die neuen Ansätze. (imago images / Westend61 / Stefanie Aumiller via www.imago-images.de)
"Letztlich sind wir Begleiter und keine Lehrer. Ich glaube, das wird oft ein bisschen verkannt. Es sind zu viele Trainer da draußen, die meinen, sie müssen da unterrichten und die Jungs immer in jedem Element ausbilden. Es geht uns ja darum, dass wir deren Entwicklung begleiten. Und das haben wir entsprechend über diese freien Spielformen, dass die Kinder sich einfach ganz natürlich entwickeln", sagt Bender.
Wenn es um die Wettbewerbsformen geht, werden Leute wie der weiterhin skeptische Hans-Joachim Watzke aber wohl noch eine Weile widersprechen. Womöglich wird es an dieser Stelle auch noch Anpassungen und Veränderungen geben. Zusätzliche Wettbewerbe zum Beispiel, wo eben manchmal doch gespielt wird wie in den vergangenen Jahrzehnten. Aber vielleicht werden die Zweifler auch einfach verstummen, wenn sie sehen, dass die nach dem neuen Konzept ausgebildeten Kinder plötzlich viel bessere Fußballer sind, wenn sie schließlich als Zehnjährige alle um Punkte, Tabellenplätze und Aufstiege spielen.