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Serie „Kiss Me First“
Schöne neue virtuelle Welt

VR-Brillen, Avatare, virtuelle Welten: Filme und Computerspiele verschmelzen immer mehr. Das zeigte kürzlich auch Steven Spielbergs "Ready Player One". Die neue Netflix-Serie "Kiss Me First" hebt die Grenze zwischen Games und Filmen auf. Können Zuschauer bald sogar mit Schauspielern interagieren?

Von Julian Ignatowitsch |
    Eine Besucherin der Gamescom testet eine neue 3-D-Brille (Virtual Reality Brille).
    Das Agieren in einer virtuellen Welt - hier auf der Messe Gamescom - ist zum Alltag geworden. Das verändert auch die Wahrnehmung der Kinozuschauer (dpa / Oliver Berg)
    Stell Dir vor, es gibt einen Ort, an dem du machen kannst, was du willst.
    An dem du sein kannst, wer du willst.
    Und an dem du leben kannst, wie du willst.
    In dieser virtuellen Welt ist scheinbar alles real, was so manchem in der Realität fehlt: Freunde, Familie, Frotzeleien und der erste Kuss. Willkommen in Azana! Leila, ein 17-jähriges, einsames Mädchen - keine Freunde, die Mutter tot - lebt vor allem in dieser virtuellen Scheinrealität. Sie trifft dort die Freunde, die sie im echten Leben nicht findet - und entdeckt dabei manches Rätsel, deckt manchen dunklen Abgrund auf.
    Computer als Wirklichkeitsraum
    Die Serie "Kiss Me First" ist eine Außenseitergeschichte, eine Geschichte vom Erwachsenwerden, vor allem aber eine Geschichte von der Flucht in die schöne neue virtuelle Welt.
    Marc Bonner: "Man hat ja schon in den 80er- Jahren viele Filme gehabt, die das thematisiert haben."
    Virtuelle Welten auf der Leinwand - für den Medien-Wissenschaftler Marc Bonner von der Universität Köln ist das erstmal nicht neues.
    "Der bekannteste ist 'Tron' von Lisberger, 1982, wo es ins Computerinnere geht und der Wettkampf gegen eine künstliche Intelligenz stattfindet. Ein Jahr später dann 'War Games'. Oder noch ein Jahr später 'The Last Starfighter', wo an einem Arcade-Spieleautomaten Piloten rekrutiert werden, die plötzlich wirklich im Weltraum kämpfen. Das ist zu dieser Zeit ziemlich en vogue und vergeht dann wieder. Bis dann in den 90ern 'Matrix' oder 'Existenz' erscheinen, wo es dann nicht dezidiert um Computerspielästhetik geht, sondern mehr um den virtuellen Raum an sich in einem Computer als einen Wirklichkeitsraum."
    Eine Reise in ein Computerspiel, oder das Leben als Computersimulation - solche Topoi kennt die Filmgeschichte bereits. Was an Filmen wie zuletzt "Ready Player One" von Steven Spielberg oder jetzt der Serie "Kiss Me First" auf Netflix aber neu ist, sind die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen:
    "Das Spannende ist, dass wir in einer Phase sind, in der das Agieren in einer virtuellen Welt zum Alltag geworden ist: durch Web 2.0., durch Message-Boards, durch Facebook, durch Multiplayer-Spiele wie 'World of Warcraft'. Es ist mittlerweile eben gelebter Alltag und nicht mehr wie in den 80er-Jahren eine Technik-Utopie."
    Film, Fernsehen und Games verschmelzen
    Entsprechend hat sich auch die Optik solcher Produktionen stark verändert. "Kiss Me First" sieht zur Hälfte aus wie ein Computerspiel: Wenn Leila ihre VR-Brille aufsetzt, sehen wir ihren animierten Avatar, wechseln zeitweise in die Ego-Perspektive, fliegen (mit ihr) durch die Luft und tauchen unter Wasser.
    "Also gerade was Computergrafik angeht, was Computertechnik angeht, die Motion-Capturing-Technik - das ist eine Industrie, die sich sehr angeglichen hat und auch mit denselben Künstlern arbeitet. Es gibt viele Setdesigner im Film, die auch als Enviroment-Artists in der Computerspielbranche arbeiten."
    Film, Fernsehen und Games verschmelzen also, zum Beispiel wenn serielles, dramatisches Erzählen die Spielewelt erobert und fantastische Animationen, Avatare oder der Computer per se ins Kino wandern.
    Der Gamer ist plötzlich zum beliebten Leinwand-Helden geworden, meist noch als Außenseiter inszeniert, wie auch in "Kiss Me First", dabei ist er doch eigentlich längst im Mainstream angekommen:
    "Das ist definitiv ein Wandel einer Subkultur. Der Otto-Normal-Spieler in Deutschland hat mittlerweile ein Alter von 30 bis 40. Es sind fast schon mehr Frauen als Männer. Das Bild hat sich komplett gewandelt."
    Interaktion mit Schauspielern Dank VR
    Auch wenn "Kiss Me First" manches Klischee vom einsamen Computerspieler, der sein Glück in einer Parallelwelt sucht, überstrapaziert, ist die Serie ein insgesamt sehenswertes Paradebeispiel für neue Erzählmuster und -welten, für das selbstverständliche Nebeneinander von analoger und digitaler Welt - mit kritischem Unterton.
    "Ich sehe da noch sehr viel Potenzial, gerade mit dem Hype um die VR-Brillen derzeit. Dass man da wirklich etwas schaffen könnte, wo man mit Hollywood-Darstellern interagieren könnte. Aber das ist jetzt noch Technik-Utopie."
    Netflix plant derzeit Serien zu den Computerspielen "The Witcher" und "Minecraft", sowie eine Zusammenarbeit mit dem Game-Studio Telltale. Da kommt also noch viel mehr auf die Zuschauer zu.
    Die Serie "Kiss Me First" startet heute beim kostenpflichtigen Streamingdienst Netflix.