Der Immobilienmakler Zhu Yu steht in seinem Geschäft im Shanghaier Innenstadtviertel Jing'an. Er deutet auf die rund 20 ausgedruckten Wohnungsanzeigen, die in seinem Schaufenster hängen:
"Der Durchschnittspreis für einen Quadratmeter liegt in diesem Stadtteil bei rund 12.000 Euro. Das gilt für bereits genutzten Wohnraum und Altbauten. Neubauten gehen für rund 19.500 Euro weg."
Eine Hundert-Quadratmeter-Neubauwohnung im Zentrum Shanghais kostet also im Schnitt etwa zwei Millionen Euro. Wobei solch ein Neubau qualitätsmäßig bei weitem nicht die Standards erfüllt, die man in Berlin, Hamburg oder Köln erwarten würde.
Eine Million für eine Wohnung
"Meine Wohnung hat rund eine Million Euro gekostet," sagt der Mitte-30-jährige Lü Kang. "Angezahlt habe ich rund 30 Prozent, inklusive Steuern und Gebühren habe ich etwas mehr als 300.000 Euro angezahlt."
Lü Kang arbeitet im Management einer französischen Luxusartikelmarke und lebt mit Frau und Kind in Shanghai in der Wohnung, die er vergangenes Jahr gekauft hat. Das Geld für die Anzahlung damals kam größtenteils aus dem Gewinn, den er und seine Frau beim Verkauf von zwei kleineren Wohnungen gemacht haben, die beide vorher besessen hatten.
"Chinesen glauben, dass Immobilienpreise nur steigen können"
Eine für China typische Geschichte, sagt Oliver Rui, Professor an der China-Europe-International-Business-School in Shanghai:
"In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Immobilienpreise in Shanghai verzehnfacht. Chinesen leben in dem Glauben, dass Immobilienpreise ausschließlich steigen können. Sie würden ihre Ersparnisse jederzeit eher in Immobilien stecken als auf ein Sparkonto. Weil sie so die Inflation ausgleichen können."
In China geht es mehr um Anlage als Wohnträume
Der Hauptunterschied zwischen dem Immobilienmarkt in Deutschland und China ist: In Deutschland wollen sich Käufer den Traum von den eigenen vier Wänden verwirklichen. In China geht es vor allem um Geldanlage und Spekulation, erklärt Rui:
"Vom Standpunkt eines Wirtschaftswissenschaftlers kann ich sagen: Wir haben in China eine Blase real. Alle drei Kriterien liegen vor: 1. Die Relation zwischen Immobilienpreis und Einkommen ist hoch. 2. Auch das Verhältnis zwischen Kaufpreis und Mietpreis ist hoch. Und 3. gibt es viel Leerstand."
Der Staat verdient am Run
Vor allem in mittelgroßen und kleineren chinesischen Städten stehen viele Neubauten chronisch leer. In großen Ballungszentren wie Shanghai, Peking oder Shenzhen hingegen ist Wohnraum trotz der hohen Preise knapp. Für ganz China gilt: Der Staat befeuert den Run auf Immobilien. Wirtschaftsprofessor Oliver Rui:
"Viele Provinzregierungen erzielen die Hälfte ihrer Einnahmen durch den Verkauf von Land. Sie brauchen viel Geld für die ganzen Infrastrukturprojekte. Dieses Geld haben sie nicht. Woher bekommen sie es? Sie verkaufen Grundstücke."
"Eine Wohnung zu kaufen, ist unvermeidlich"
Wann die chinesische Blase platzt, will auch Rui nicht mutmaßen. Teurer als in Deutschland werde es aber bleiben.
"Im Bewusstsein von Chinesen ist tief verwurzelt, dass eine Familie über den Besitz von Wohneigentum definiert ist. Diese Mentalität trägt dazu bei, dass das Preisniveau hoch bleibt."
Der Shanghaier Familienvater Lü Kang bestätigt das: "In den Köpfen der meisten Chinesen misst sich Erfolg an der Frage: Besitzt Du eine Wohnung in der Stadt, in der Du wohnst? Das bedeutet nämlich: Du kannst dort bleiben, Dir einen seriösen Job suchen und eine Familie gründen. Eine Wohnung zu kaufen, ist unvermeidlich."