Die überwiegende Mehrheit der Deutschen, die im 18. und 19. Jahrhundert ausgewandert sind, waren das, was wir heute Wirtschaftsflüchtlinge nennen würden. Oder, wie der Dichter Heinrich Heine formulierte: "Es gibt zwei Sorten Ratten, die hungrigen und die satten. Die satten bleiben vergnügt Zuhaus'. Die hungrigen aber wandern aus."
Hungrig waren viele vor allem 1814/15. Viele zog es damals nach Nordamerika. Die meisten wanderten über Bremerhaven aus - damals der größte Auswandererhafen Europas. Jürgen Büssenschütt, in den 90er-Jahren Mitglied im Bremerhavener Förderverein Deutsches Auswanderermuseum: "Ganz berühmt ist diese Auswanderungswelle aus der Pfalz, aus Südwestdeutschland, 1814/15, wie da die Kartoffelfäule kam und die Leute sind also wirklich vor dem Hunger geflüchtet."
Die erste große Auswanderungswelle erreichte ihren Höhepunkt im Jahr 1854. Statt wie bisher 20.000 jährlich verließen nun 200.000 Deutsche ihr Land. Die Auswanderer nahmen für ein neues Glück katastrophale Reisebedingungen in Kauf. Die Überfahrt nach Nord- oder Südamerika, den beliebtesten Zielen, dauerte auf einem Segelschiff fast drei Monate, war umgerechnet 750 Euro teuer – und die Reisenden mussten trotzdem auf dem armseligen Zwischendeck hausen.
Im 20. Jahrhundert flaute die Auswanderung zunächst ab. Erst mit der Weltwirtschaftskrise in den Zwanzigerjahren verließen wieder mehr als 100.000 Deutsche pro Jahr ihre Heimat. In den 15 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wanderten noch einmal anderthalb Millionen Deutsche aus.
Derzeit hat Deutschland hochattraktive Arbeitsplätze
Danach ebbte die Auswanderung wieder ab, bis nach der Wende und - das war der letzte Höhepunkt - nach der Dotcom-Krise Anfang der 2000er-Jahre. Gerlinde Lang, die damals seit Jahren in der Beratungsstelle der Diakonie für Auswanderer in Stuttgart arbeitete, hatte damals das Gefühl: Hier gibt es einen richtigen Brain Drain: "Ich denke schon, dass genau diese jungen Leute, die unser Land bräuchte, mit Geld und Know How, dass die natürlich überwiegend nach neuen Lösungsmöglichkeiten für sich und ihre Familien suchen, weil die Hemmnisse bei uns schon sehr hoch sind."
In den vergangenen Jahren hat sich der Anteil der Höherqualifizierten erneut erhöht, das hat erst vor sechs Wochen ein OECD-Bericht gezeigt. Von derzeit 2,7 Millionen Deutschen im Erwerbsalter, die ausgewandert sind, haben fast 40 Prozent ein Studium absolviert. Axel Plünnecke vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln: "Es gibt auch heute noch kleinere Gruppen, die am deutschen Arbeitsmarkt Schwierigkeiten haben und in andere Regionen gehen, vielleicht in Österreich und in der Schweiz im Tourismusbereich noch versuchen, Fuß zu fassen. Der große Anteil der Auswanderer sind aber Hochqualifizierte, die sowohl am deutschen Arbeitsmarkt als auch in anderen Ländern sehr gute Chancen haben. Und einfach für ihren Lebenslauf sagen: 'Ich möchte mal zwei, drei Jahre irgendwo anders arbeiten, leben, Erfahrungen sammeln.' Und diese Menschen können sich am Weltarbeitsmarkt eigentlich ihren Arbeitsplatz aussuchen. Und wenn sie bei Großunternehmen arbeiten, innerhalb des Konzerns auch an verschiedenen Standorten für eine Zeit lang tätig werden."
Oft sei es eine Auswanderung auf Zeit, betont er: Die meisten gingen nur für zwei oder drei Jahre in die USA, nach Großbritannien oder die Schweiz, dann kommen sie zurück. "Aktuell hat Deutschland einen sehr starken Arbeitsmarkt, hochattraktive Arbeitsplätze, so dass wir deutlich mehr Zuwanderer haben, die nach Deutschland kommen, als Deutsche, die ins Ausland gehen."