Blutspuren auf den Schülerbänken, auf Stühlen, am Boden: rote Lachen. Tote Arme und Beine in Großaufnahme und leere Munitionshülsen. Schüler schreien, die Pausenglocke schrillt, ein Handy klingelt unaufhörlich. Ein Mädchen sitzt zitternd in der Mitte dieses Horror-Tatorts, des Klassenzimmers: Maja, plötzlich ist sie die Hauptverdächtige.
Ermittlerin: "Dir wird Mord, Mordversuch und Beihilfe zum Mord vorgeworfen."
Die Serie "Quicksand" rekonstruiert ein Verbrechen, das so schrecklich ist, dass man es wohl gar nicht glauben würde, wenn diese unvorstellbaren Taten nicht immer wieder passieren würden. Und nicht nur in den waffenvernarrten USA, sondern überall, in Deutschland, in Schweden.
Viele Fragen zur Aufarbeitung der Tat
"Quicksand" setzt direkt nach einem Amoklauf an einer Schule ein. Der maßgebliche Täter, der 18-jährige Schüler Sebastian, ist tot - erschossen von seiner gleichaltrigen Freundin Maja. Welche Rolle spielt sie bei der Tat?
Ermittlerin: "Wie bist du zur Schule gekommen? Hat Deine Mutter dich gefahren? Bist du mit Sebastian gefahren?"
Viele offene Fragen, die die Serie mit geschickt eingeflochtenen Rückblenden nach und nach beantwortet. So entspinnt sich eine Geschichte, die zwischen Justiz- und Ermittlungsthriller, Liebes-und Familiendrama hin und her changiert. Spannend und emotional, himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Die schwedische Drehbuchautorin Camilla Ahlgren hat hier eine optimale Balance geschaffen.
Eine Jugend zwischen Luxus und Vernachlässigung
Noch dazu ist die Serie eine Art Milieustudie, weil sie Einblicke gibt in die Lebenswelt der Privilegiertesten. Maja und Sebastian gehen auf eine Eliteschule, gehören zur schwedischen Oberschicht. Der Schulweg im Porsche, Urlaub auf der Privatyacht und ausschweifende Partys in der heimischen Villa sind da ganz normal. Aber auch psychische Zusammenbrüche und Drogenexzesse - und Väter, die ihre Söhne lieber mit Geld zuscheissen/zuschütten, als sich ernsthaft um sie zu kümmern.
"Quicksand" zeigt das alles mit einer kühlen Präzision und ohne allzu großes Pathos, was die Wirkung umso eindringlicher macht. Fast alles wirkt glaubhaft und nachvollziehbar, nur gelegentlich wird vielleicht etwas überzogen.
Absolut herausragend ist die schauspielerische Leistung der 23-jährigen Hauptdarstellerin Hanna Ardéhn, die die Angeklagte Maja zwischen Stolz, Verzweiflung und Schmerz mit fast dokumentarischer Authentizität spielt. Man ist hin- und hergerissen zwischen Verachtung und Mitgefühl. Und bis zum Schluss bleibt die Frage: Ist Maja Opfer oder Täterin?
Eine Wahrheit, die Interpretationen zulässt
Am Ende löst sich alles auf. Und auch diese Herausforderung meistert die Serie gekonnt, ohne dabei - wie das heutzutage ja öfters passiert - in relativierende Beliebigkeit zu verfallen. Sie zeigt ein Urteil, eine Wahrheit - eine plausible Wahrheit, die trotzdem unterschiedliche Interpretationen zulässt.
Kurzum: Die erste schwedische Netflix-Produktion ist eine schockierende, nervenaufreibende aber genauso emotionale und einfühlsame Geschichte über ein schwer erklärliches Ereignis und den Umgang damit, über kaputte Teenager-Köpfe und zerstörte Familien, über Leben und Tod, Trauer und Vergebung, Schuld und Sühne. Und: (mit) das Intensivste, was sich aktuell auf dem Serienmarkt finden lässt.