Archiv

Serie: Rechte Parteien und die Kultur
Frankreichs Intellektuelle sind ratlos

Ist der Front National zu stoppen? Die französische Kulturszene reagiert ratlos bis resigniert auf den Zuspruch für Marine Le Pens Rechtsextreme. Ein Stimmungsbild aus der französischen Hauptstadt.

Von Jürgen König |
    Plakate hängen an einer Plakatwand.
    Wahlplakate in Frankreich - nur ein kleiner Vorgeschmack auf die Wahl im Mai 2017. (Deutschlandradio / Ursula Welter)
    Der rechtsextreme Front National wurde 1972 gegründet. Die Partei ist in der französischen Gesellschaft fest verankert, bei Wahlen erreicht sie regelmäßig 25 bis 30 Prozent der Stimmen - nur das französische Mehrheitswahlrecht mit seinen zwei Wahlgängen verhinderte bisher große Regierungsaufgaben der Partei.
    Durch die Wahl Donalds Trumps zum US-Präsidenten sieht sich der Front National im Aufwind, andere Politiker im Lande übernehmen bereits Themen und Stil. Die Radikale Linke teilt schon lange zentrale Forderungen des Front National: geschlossene Grenzen, den Austritt aus der EU, die Rückkehr zum Franc. In Frankreichs Öffentlichkeit sind radikale Forderungen an der Tagesordnung – und auch die jeweils damit einhergehenden Versprechen, die aktuelle Krise einfach und schnell lösen zu können.

    Populismus: Symptom und Problem zugleich

    Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass der Wahlsieg Trumps zwar reihum analysiert wurde, der große Aufschrei der französischen Kulturszene aber ausblieb. In den Medien gab es Gesprächsreihen zum Thema, etwa beim Radiosender France Culture. Pierre Rosanvallon, Historiker und Soziologe am Collège de France:
    "Der Populismus ist gleichzeitig ein Symptom und ein Problem. Es kennzeichnet genau, wo unser demokratisches System nicht mehr funktioniert: Überall dort, wo Menschen sich nicht mehr vertreten, sondern sich von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen, keine Möglichkeit mehr sehen, sich überhaupt irgendwie auszudrücken – überall dort blüht der Populismus."
    Der Schriftsteller Thierry Beinstingel:
    "Man darf jetzt nicht alle französischen Geringverdiener, die am öffentlichen Leben kaum teilnehmen, vielleicht auch noch auf dem Land leben, gleich verdächtigen. Was in Amerika passiert ist, ist bei uns viel weniger wahrscheinlich. Denn es gibt hier doch immerhin eine Sozialpolitik, die ihre Früchte trägt. Und was den Front National angeht: Dessen Wähler gibt es in allen, auch in den höchsten Gesellschaftsschichten."

    Schriftsteller adressieren die FN-Wähler

    Doch würden es, so Thierry Beinstingel weiter, viele Schriftsteller inzwischen als ihre Aufgabe ansehen, eben diese Wähler des Front National anzusprechen.
    "Was fehlt, ist eine genaue Analyse der politischen Sprache des Front National. Gehen Sie auf die Webseite von Marine Le Pen: Sie finden dort sehr viele Schlagworte, die sie in ihren Reden auch immer wieder benutzt, Kernbegriffe wie 'Allah' oder 'Islamismus' etwa, aus denen sie Feindbilder macht, die als solche typisch geworden sind für ihre Wählerschaft. Diese zentralen Begriffe muss man als Schriftsteller kennen, und man muss sie auch benutzen, um diese Wähler erreichen zu können."
    Der Bratscher Franck Chevalier vom renommierten "Diotima"-Quartett sieht den Erfolg populistischer Parteien in Frankreich auch in der Identitätskrise des Landes begründet: Seit Jahren schon sei es auf der Suche nach sich selbst.
    "Man kann nicht alles auf wirtschaftliche Schwierigkeiten zurückführen. Immer nur zu sagen: 'Die Krise! Die Krise!' – das ist falsch. Das Problem ist eines der Identität und der Kultur. Und ich glaube, die beste Antwort darauf, ist, die klassische Kultur wieder mehr in den Mittelpunkt öffentlicher Aufmerksamkeit zu rücken. Im Moment sagen viele in Frankreich, man solle endlich aufhören mit der 'kulturellen Einschüchterung', mit der 'Demütigung durch Kultur'. Aber wie soll man damit aufhören, von der Größe Beethovens beeindruckt, überwältigt, und, ja, auch 'eingeschüchtert' zu sein? Oder von Goethe? Am Tag, da ein Victor Hugo uns nicht mehr 'einschüchtert' – was soll dann werden? Nein – das geht gar nicht anders – und es ist wichtig!"

    Mit Hochkultur gegen primitiven Rechtspopulismus?

    Mit seinem Loblied auf die Hochkultur sieht Franck Chevalier Möglichkeiten für jeden – und den Staat in der Pflicht, sie umzusetzen.
    "Natürlich verstehe ich, wenn ein Jugendlicher in den Vorstädten sich 'eingeschüchtert' fühlt von dieser Kultur. Aber deren Ansprüche sind auch ein Motor des Lebens. Es ist wichtig, dass es eine Hierarchie der Werte gibt, auch eine Hierarchie in der Gesellschaft. Ohne diese Hierarchien, ohne diese Möglichkeiten - wie soll man sich organisieren, wie soll man für oder gegen etwas sein?"
    Der Sänger Patrick Bruel dagegen zeigte sich im Fernsehsender France 2 ziemlich ratlos:
    "Die ganze Welt ist in vollem Umbruch. Und auch bei uns reiten die Populisten auf der Angst und der Hoffnungslosigkeit der Menschen. Man muss sehr schnell Maßnahmen entwickeln, die irgendwie beruhigen, aber welche? Viele Franzosen, die zuletzt Sarkozy oder Hollande gewählt haben, fühlen sich betrogen und könnten sagen: Gut, versuchen wir mal was anderes – und wählen Front National. Es werden doch alle immer unsicherer: Niemand hat den Brexit erwartet, niemand hat Donald Trump erwartet, niemand erwartet, was 2017 bei unseren Wahlen passieren könnte. Man muss wachsam sein."

    Rückzug ins Private

    Wo die Ratlosigkeit zu groß wird, folgt der Rückzug ins Private. Die Autorin und Schauspielerin Cindy Féroc:
    "Man kann die Leute für anderthalb Stunden zum Lachen bringen, mehr nicht. Die Antworten auf die Fragen unserer Zeit muss unsere politische Klasse finden. Und was ich von der halten soll, weiß ich nicht genau. Ich glaube, es ist völlig egal, wer die Wahl nächstes Jahr gewinnt, es bleibt alles wie es ist. Ich habe letztes Mal Hollande gewählt und bin jetzt enttäuscht. Seit ich wählen darf, war ich immer nur enttäuscht. Also kümmere ich mich nicht mehr darum, ich sehe auch nicht mehr fern. Ich kümmere mich um mich. Das ist ein bisschen egoistisch, aber es beschützt mich."
    70 Prozent der Franzosen glauben, dass Wahlen an den Verhältnissen nichts ändern werden.
    Unmut, Misstrauen, Überdruss empfinden sie gegenüber der herrschenden Pariser Klasse. Und die französischen Intellektuellen, einst die Zierde europäischen Denkens, haben der Debatte bisher keine inspirierenden Töne hinzugefügt.