Ada in Oklahoma ist eine typische amerikanische Kleinstadt im mittleren Westen.
"Ada is not a bad town. I grew up in towns like Ada."
Am Freitagabend: Football. Am Samstag: Rodeo. Am Sonntagmorgen: Gottesdienst.
"Everybody goes to high school football game on friday night, the business man go to the rodeo club. It’s a close community!"
Eine enge Gemeinschaft. Bodenständige Menschen leben hier. Jeder kennt jeden. Aber solche Orte sind in Amerika auch noch für etwas anderes bekannt: brutale Morde.
"And then sadly some pretty notorious murders happen here."
Die Geschichte von Ada, erzählt in der Doku-Serie "The Innocent Man", die auf einem Sachbuch von John Grisham basiert, ist die Geschichte zweier solcher brutaler Morde und ihrer Folgen bis hin zum Justizirrtum.
"My name is Tommy Smith, I have been in prison for 33 years for a crime I did not commit."
Ungeklärte Mordfälle
Denn die beiden Fälle aus den 80er-Jahren sind bis heute ungeklärt. Vier angebliche Täter, zwei hinter Gittern, zwei im Todestrakt und dann wieder freigelassen. Große Zweifel an den polizeilichen Ermittlungen und Beweisen. Im Fall von Ron Williamson brachte elf Jahre später ein DNA-Test den Freispruch, fünf Tage bevor er hingerichtet werden sollte.
Ron Williamson: "I ain’t never kill nobody, I will prove it!"
Die Netflix-Serie arbeitet all das mit den besten Mitteln des Dokumentarfilms auf: mit Archivaufnahmen, Fotos, Zeugenaussagen, Schilderungen von Freunden und Angehörigen:
"Oh my god. He come in one day and he was really upset about something."
Die Biografien der Opfer und vermeintlichen Täter werden detailliert rekonstruiert. Narrativ wie filmisch extrem gut und spannend gemacht, so wie man das von Netflix aus vergangenen True-Crime-Produktionen kennt.
Protagonisten gleichen austauschbaren Schablonen
Und damit sind wir beim großen Aber, das wir True-Crime-Dilemma taufen könnten: Wir kennen dieses Format mittlerweile einfach schon viel zu gut: echter Kriminalfall, zweifelhafte Schuld, bestialische Morde und ungerechte Urteile. Was passiert, wenn das abgrundtief Böse plötzlich über die heile Welt hereinbricht? Wie in "Evil Genius", "The Keepers" oder "Making A Murderer" folgt auch "The Innocent Man" der typischen True-Crime-Dramaturgie und macht die Protagonisten damit zu austauschbaren Schablonen.
"He was a partyboy! Lots of booze, lots of girls…"
Man darf, nein, man muss sich die Frage stellen, welches Weltbild solche Serien, gerade wenn sie so zahlreich erscheinen, transportieren: Kein Verbrechen ohne sexuellen Missbrauch, Nekrophilie, Verstümmelung oder perversem Ritual. Der Mensch - ein nicht zu rettendes, pathologisch-gestörtes Wesen. Dass das doch eher die Ausnahme ist, vergessen wir dabei schnell.
"The Innocent Man" verweist mit fast genüsslicher Regelmäßigkeit darauf, wie brutal die Morde von statten gingen. Immer wieder blitzen Bilder von zustechenden Psychopaten und zu Tode gefolterten Leichen auf. Das bedient den Voyeurismus des Publikums. Überspitzt könnte man sagen: Die Opfer werden ein zweites Mal missbraucht.
Adrenalinkick mit Beigeschmack
Mal wieder von der gemütlichen Couch in die ungemütliche Welt hinausblicken: Das gibt uns einerseits das gute Gefühl, dass wir normal und rechtsschaffend sind, auf der richtigen Seite stehen, und liefert uns andererseits den Adrenalinkick, den wir trotz dieser Eigenschaften natürlich nicht verpassen wollen.
Wer die Serie schaut - und wir können sicher sein, "The Innocent Man" wird wieder ein Publikumserfolg -, sollte sich diese Problematik also zumindest bewusst machen. Das wahre Verbrechen ist nicht so wahr, wie es uns verkauft wird. Und ob das (kalkulierte) Geschäftemachen damit verbrecherisch ist - nun ja, dieses Urteil muss jeder für sich selbst fällen.