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Serie „Wir sind die Welle“
Einfache Wahrheiten

Die Netflix-Serie „Wir sind die Welle“ holt den Jugendbuch-Klassiker in unsere heutige Zeit und zeigt eine rebellische Widerstandsbewegung. Dabei berührt sie viele aktuelle Krisenthemen, bleibt aber meist zu oberflächlich.

Von Julian Ignatowitsch |
Auf dem Bild sind Aktivisten bei einer Protestaktion zu sehen. Sie tragen gruselige Horror-Masken
Aktivisten bei einer Protestaktion: Eine Szene aus der Serie "Wir sind die Welle" (Netflix / Bernd Spauke)
"Wir machen eine Welle" ist in großen, weißen Buchstaben an die Fassade des Schulgebäudes gesprayt.
"Gefällt's dir?"
"Ein bisschen."
Schüler filmen mit dem Handy, machen Fotos und spekulieren darüber, wer dahinter steckt…
"Wart ihr das?"
"Vielleicht…"
"…vielleicht aber auch nicht."
Und während die anderen noch staunen, schmiedet eine kleine Gruppe von fünf Jugendlichen schon neue Pläne für die Revolution:
"Okay. Was machen wir als nächstes?"
"Ich hab da eine Idee. Das könnte spaßig werden."
Die reiche Göre und der Antifa-Straftäter
"Wir sind die Welle". Wir das sind anfangs Lea und Tristan. Oder: die reiche Göre und der Antifa-Straftäter. Er bringt sie zum Nachdenken: "Manchmal musst du genau diese Scheibe einfach einschlagen." Sie mobilisiert eine Bewegung: "Je mehr wir sind, desto mehr können wir erreichen." Aus Zwei werden Fünf, aus Fünf die halbe Schule.
"Lasst uns eine Welle machen."
"Wir sind die Welle!"
Das Wir ist dabei durchaus als Aufruf zu verstehen, als Analogie zum Jetzt, zu einer Zeit, in der jeden Freitag tausende von Schülern bei "Fridays for Future" auf die Straße gehen, die AfD bei der Landtagswahl in Thüringen fast ein Viertel der Wählerstimmen bekommt und Plastiktüten im Supermarkt zwar bald verboten werden sollen, aber die Produkte, die wir dort kaufen, weiterhin riesige Plastikberge hinterlassen.
"Meine Damen und Herren, was sie hier sehen, ist der Plastikmüll, den jeder von ihnen innerhalb von nur einer Woche verursacht."
Alle diese Themen greift die Serie ganz direkt auf. Das macht sie relevant! Wenn die Welle dann in Recycling-Plastik-Uniformen durch den Supermarkt tanzt, im Schlachthof Rinder befreit oder geklaute Klamotten an Obdachlose verteilt, liegt das irgendwo zwischen Straftat, Robin Hood und kreativer Guerilla-Aktion.
Inhaltlich immer nur oberflächlich
Natürlich wird alles bei Youtube gestreamt und auf Instagram geteilt. So geht Revolution heute. Dabei fällt aber auch auf: Die angesprochenen Problemthemen werden inhaltlich immer nur oberflächlich angegangen, an die Stelle eines Für und Widers treten einfache Wahrheiten, Likes und Dislikes:
"Ich will nur Gerechtigkeit. Und wenn du nicht für mich bist, dann entscheide dich jetzt, ob du gegen mich bist."
Ob man darin nun die Twitter-Kultur unserer Zeit, einen aufgehetzten, teils moralisierten Diskurs oder eben genau den "richtigen" Weg aus der Krise erkennen will, ist dem Zuschauer überlassen. Fakt ist: Die Serie bleibt mit einer schlingernden, sprunghaften Narration und setzkastenartigen Dialogen an vielen Stellen so unausgereift wie ihre jugendlichen Protagonisten.
"Wir sind Viele, wir sind laut, weil ihr Mörderwaffen baut!"
Dabei muss man die Serie auch klar vom Roman "Die Welle" und seiner Verfilmung 2008 mit Jürgen Vogel abgrenzen. "Wir sind die Welle" ist eine freie Neuinterpretation, die eigentlich nur noch die Vergemeinschaftung zum Protest und den Namen des Produzenten, Dennis Gansel, als übergreifendes Merkmal weiterführt.
Generation Greta
War der Film vor zehn Jahren eine experimentartige Studie zum Dritten Reich und autoritären Massenbewegungen, und damit auch erkenntnisreich für Erwachsene, so richtet sich die Serie eindeutig an Jugendliche, an die Generation Greta, und ist nur ein Abziehbild der aktuellen Ereignisse.
Keine Analyse, sondern ein unterhaltsamer, stylish aufgemachter Appetizer, der dazu anregen soll, sich doch mal mit Politik und der aktuellen Protestbewegung auseinanderzusetzen. Mehr aber auch nicht.