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Schlechte Skisprung-Saison
Severin Freund: "Status als 'Skisprungnation' ist nicht in Gefahr"

Es war eine Krisensaison für die deutschen Skisprung-Männer. Severin Freund, ehemaliger Springer, macht sich im Dlf bei den DSV-Adlern dennoch keine Sorgen um die Zukunft. Trotzdem werde es wichtig, den Talenten eine Chance zu geben.

Severin Freund im Gespräch mit Christian von Stülpnagel | 02.04.2023
Severin Freund, ehemaliger deutscher Top-Skispringer, schaut bei der Vierschanzentournee 2022/23 zu.
Der ehemalige deutsche Top-Skispringer Severin Freund sieht mehrere Gründe für das historisch schwache Abschneiden der DSV-Männer. (dpa / picture alliance / Wagner / Ulrich Wagner)
Eine eindeutige Bilanz liest sich immer unkompliziert. Wenn sie jedoch eindeutig negativ ausfällt, wird es bei der Fehleranalyse wiederum vertrackt. So gerade auch bei den deutschen Skispringern, die mit nur zwei Siegen und acht Podestplätzen eine Krisensaison erlebt haben und nun über die Ursachen für das schlechteste Abschneiden seit elf Jahren rätseln.
"Man hat es an den Gesichtern der Sportler gesehen, dass nicht alles rund gelaufen ist", sagte Ex-Skisprung-Olympiasieger Severin Freund im Deutschlandfunk. Der 34-Jährige, seit März 2023 als Skisprung-Experte für das ZDF tätig, sah zu, wie seine ehemaligen Kollegen nach Jahren als Dauergäste unter den Top Drei in der Teamwertung enorm an Boden verloren. Und die Saison auf Platz fünf beendeten. Freund hatte seine aktive Karriere vor gut einem Jahr beendet.

Konkurrenz lehrt deutsche Springer Konstanz

Vor allem das Siegerteam aus Österreich sowie Norwegen und Slowenien sind enteilt, aber auch Polen schob sich vor die Deutschen. Freund machte im Dlf mehrere Gründe für das schwache Abschneiden der Skisprung-Männer aus, angefangen mit sportlicher Inkonstanz: "Gerade unsere Sportler mussten sehr nah an ihrem Topniveau springen, wenn sie ums Podest mitkämpfen wollten. Das macht es auch vom Kopf her schwierig."
Ein gutes Beispiel sei Karl Geiger, der den Weltcup als Elfter der Gesamtwertung beendete. Er erreichte fünfmal den dritten Platz. "Aber man hat das Gefühl gehabt, er muss wirklich an seinem oberen Rand performen, wenn er eine Chance haben will", erklärte Freund. "In den letzten Jahren war er Dauergast auf dem Podium und es hat auch mal mit kleineren Fehlern gereicht."

Freund schreibt Material und Regeländerung Einfluss zu

Neben der rein sportlichen Leistung der DSV-Männer auf der Schanze sei laut Freund auch der Faktor Material eine Einflussgröße. Es könne sein, dass man "im Materialsektor nicht so gut aufgestellt war wie die letzten Jahre". Oder aber, dass Deutschland mit "der Art, wie man Ski gesprungen ist", nicht so "von der Regeländerung profitiert" habe wie andere Nationen.
Bei der Messung von Sprunganzuggrößen wurden neue Normen eingeführt. Dabei kann es zu Unterschieden im Schrittmaß kommen. Einzelne Athleten können durch die vergrößerte Fläche Vorteile haben.
Dass das deutsche Team Trends beim Material verpasste, sei durchaus möglich. "Im Sommer wird gerne mal gepokert. Und wenn dann der erste Winterweltcup stattfindet und man merkt, der ein oder andere hat bessere Maße bei der Neuvermessung oder einen besseren Schnitt, dann wird es schwierig, das noch aufzuholen", sagte Freund.

Wellingers Entwicklung als Lichtblick

Positiv hob Freund in der Saisonbewertung Wellinger hervor, der auch beim Saisonfinale in Planica (Slowenien) auf Platz neun der beste Deutsche war. "Der hat eine extrem gute Entwicklung genommen, ein bisschen konträr zum Team. Mit seinen ersten Weltcupsiegen seit vielen Jahren hat er was Großes geleistet."
Sorgen um die Zukunft der DSV-Springer, die auch nächste Saison von Stefan Horngacher trainiert werden, macht sich Freund nicht: "Den Status als Skisprungnation verliert man nicht in einer Saison." Die derzeitigen Leistungsträger seien "auch noch nicht am Ende und können noch sehr gute Jahre haben".
Trotzdem werde es wichtig, Talenten – wie etwa Philipp Raimund – eine Chance zu geben. "Sonst hat man irgendwann die Situation, dass Leistungsträger wegfallen, aber kein Nachwuchs da ist."