Prostitution
Brauchen wir ein Sexkaufverbot?

Die Lebensbedingungen von Prostituierten in Deutschland sind zum Teil erschütternd. Der Gesetzgeber hat es bisher nicht geschafft, sie ausreichend zu schützen. Deswegen gibt es immer wieder Forderungen nach einem Sexkaufverbot. Kann das helfen?

    Zwei Stühle stehen in einem Schaufenster - hier bieten sich Prostituierte an,
    Der Körper als Ware - Prostituierte bieten unter anderem in Schaufenstern ihre Dienste an, um Freier anzulocken. (picture alliance / dpa / Robin Utrecht)
    Es gibt schon länger Gesetze in Deutschland, die Prostituierte schützen sollen - doch ein Blick in ihre Lebensrealitäten zeigt, dass es dort noch immer viel zu viel Elend gibt. Vor diesem Hintergrund werden Forderungen nach dem sogenannten Nordischen Modell lauter: Dieses sanktioniert den Kauf sexueller Dienstleistungen, die Prostituierten bleiben hingegen straffrei. Können damit Gewalt, Zwang und Menschenhandel nachhaltig bekämpft werden? Und warum wird das Modell gerade im Milieu teils strikt abgelehnt? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

    Inhalt

    Wie viele Prostituierte gibt es in Deutschland?

    Wie viele Menschen sich in Deutschland prostituieren, lässt sich nicht sagen. Eigentlich müssten sich Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter nach dem Prostituiertenschutzgesetz von 2017 bei den Behörden anmelden - das machen aber längst nicht alle. Ende 2022 gab es – diese Zahl ist immerhin verlässlich - 28.280 bei Ämtern registrierte Prostituierte. Die meisten von ihnen waren zwischen 21 und 44 Jahre alt. Nur 18 Prozent von ihnen hatten die deutsche Staatsbürgerschaft, rund 35 Prozent die rumänische, elf Prozent die bulgarische.
    Inoffizielle Schätzungen, mit denen in der Debatte über die Prostitution argumentiert wird, gehen von 200.000 Prostituierten und mehr aus. Doch wirklich belastbar scheinen die Schätzungen nicht zu sein. Das Erotikportal Erobella hat alle Zahlen, die im Umlauf sind, eruiert und auf ihre Herkunft und Stichhaltigkeit abgeklopft. Einer eigenen Erhebung des Portals zufolge soll es knapp 89.000 Prostituierte in Deutschland geben. Der Verein für soziale und politische Rechte von Prostituierten „Doña Carmen“ kommt in seinen Berechnungen auf eine ähnliche Größenordnung.

    Soziale und rechtliche Situation von Prostituierten in Deutschland

    Die Lebenssituation von Prostituierten differiert extrem. Es gibt jene, die ihrer Tätigkeit selbstbestimmt nachgehen und die Sexarbeit als normalen, regulären Job betrachten, mit dem man gutes Geld verdienen kann. Am anderen Ende des Spektrums lässt sich hingegen unmenschliche Verelendung beobachten: Auf den Straßenstrichen der Großstädte bieten zum Teil drogensüchtige Prostituierte ihren Körper für wenig Geld an und sind gewalttätigen Freiern oft schutzlos ausgeliefert.
    Seit Einführung des Prostitutionsgesetzes 2002 ist Prostitution in Deutschland nicht mehr sittenwidrig, sondern ein normales Gewerbe. Die damalige rot-grüne Koalition wollte mit dem Gesetz eigentlich die rechtliche und soziale Lage der Prostituierten verbessern – ob das gelungen ist, ist allerdings sehr umstritten. 2017 trat zudem das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft, das vor allem gewerberechtliche Vorgaben macht. Bordelle benötigen seitdem eine Betriebserlaubnis, Prostituierte sind verpflichtet, ihre Tätigkeit anzumelden und regelmäßig zur Gesundheitsberatung zu gehen.

    Unter dem Radar der Behörden

    Doch oft findet die Sexarbeit unter dem Radar der Behörden statt. "Viele Frauen, die in Deutschland als Prostituierte arbeiten, sind arm, haben wenig Bildung und sind bei uns völlig fremd", sagt die Sozialethikerin Elke Mack von der Universität Erfurt. Mack hat gemeinsam mit einem Verfassungsjuristen die Studie "Sexkauf" herausgegeben, in der die deutschen Regelungen für das Prostitutionsgewerbe als nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt werden.
    "Hier geht es nicht um Moral. Hier geht es um das Grundrecht auf Würde", sagt Mack. Frauen würden mit der derzeitigen Gesetzgebung zu Objekten degradiert: "Zehn bis 20 Freier täglich - das hält kein Körper aus." Die Auswertung von Freierforen im Internet zeige, dass viele Sexkäufer "Freude an Gewalt und der Erniedrigung von Frauen haben", betont Mack.

    Körperliche und seelische Schäden

    Das hat körperliche wie seelische Schäden zufolge. Die Traumatherapeutin Ingeborg Kraus aus Karlsruhe hat etwa 30 Prostituierte behandelt - und auch Soldaten, die im Bosnienkrieg waren. "Prostitution ist genauso traumatisch wie in den Krieg zu ziehen", sagt sie. Viele ehemalige Sexarbeiterinnen hätten ihr Selbstwertgefühl komplett verloren. Kraus zufolge ist die körperliche Nähe völlig fremder Personen nur durch Dissoziation zu ertragen: "Der Geruchssinn wird abgeschaltet, der Empfindungssinn wird abgeschaltet, der Kopf wird ausgeschaltet. Man kann seinen Körper nicht fremden Männern zur Verfügung stellen, wenn alle Empfindungen da sind."
    Die Perspektive von Mack und Kraus, ihr Blick auf das Sexgewerbe, ist von Empathie geprägt, aber nicht unumstritten. Wie problematisch die Situation von Prostituierten grundsätzlich ist – darüber gehen die Meinungen in der Debatte über den Sexkauf deutlich auseinander. Gerade die Interessenvertretungen, die Prostituierte gegründet haben, treten durchaus selbstbewusst auf und fordern, der Sexarbeit Respekt zu zollen. Motto: „My body, my work, my choice“. Oder auch: „No bad whores, only bad laws“. Der Verkauf von Sex erscheint hier als Dienstleistung, die auf der richtigen rechtlichen Grundlage und der freien Entscheidung der anbietenden Frauen zu einem normalen, regulären Job wird.
    Johanna Weber vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen verweist darauf, dass es aufgrund einer unzureichenden Studienlage kaum gesicherte Erkenntnisse zur Situation von Prostituierten in Deutschland gibt. Und Gerhard Walentowitz vom Verein für soziale und politische Rechte von Prostituierten „Doña Carmen“ in Frankfurt stellt sogar grundsätzlich in Frage, ob das weit verbreitete Bild von den ausgebeuteten Prostituierten wirklich stimmt.
    In der Corona-Zeit, so berichtet er, habe der Verein für 144 Frauen und Transpersonen in der Prostitution Anträge an das Jobcenter geschrieben. Einige der Frauen hätten tatsächlich den Beruf wechseln wollen, die meisten aber nicht. Und keine habe gesagt, sie wolle wegen der Gewalt der Freier aussteigen, betont Walentowitz. Er spricht von einer „ideologischen Debatte“ rund um die Prostitution, die von falschen Voraussetzungen ausgehe.

    Was spricht für und gegen ein Sexkaufverbot?

    In der Debatte um ein Sexkaufverbot hat sich das Europaparlament für die Einführung des sogenannten Nordischen Modells in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ausgesprochen. In Deutschland hat sich unter anderem die Unionsfraktion im Bundestag hinter diesen Vorschlag gestellt. Nach dem Modell werden Freier für den Kauf von Sex bestraft, Bordelle müssten schließen. Prostituierte sollen hingegen keinen Sanktionen unterliegen. Das Ziel ist, Ausbeutung und Menschenhandel einzudämmen.
    Der Großteil der Frauen im Gewerbe sei nicht freiwillig in die Prostitution gegangen, sondern durch Täuschung oder Drohungen dort gelandet, sagt die CDU-Politikerin Elisabeth Winkelmeier-Becker, Vorsitzende des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages. „Die meisten würden gerne aussteigen, können es aber nicht.“ Zweistellige Freier-Zahlen jeden Tag und „übergriffige Sexualpraktiken“ seien an der Tagesordnung, und vom dem Geld, das dafür bezahlt werde, sähen die Prostituierten am wenigsten.

    Deutschland als "Bordell Europas"

    Nach Ansicht von CDU/CSU ist es nicht mehr möglich, die „unerträglichen Missstände“ durch eine Reform des jetzigen Systems abzustellen. Deshalb fordere die Union einen Kurswechsel, sagt die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Dorothee Bär (CSU): „Deutschland ist zum Bordell Europas geworden. Hunderttausende Frauen in der Zwangsprostitution werden unter erbärmlichen Umständen benutzt und erfahren Gewalt. Ihre Körper werden be- und gehandelt wie billige Ware.“
    Bei Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat die Union mit dieser Argumentation keinen Erfolg, er hat sich gegen ein Sexkaufverbot ausgesprochen. Das Wichtigste sei, dass jedwede Ausübung von Zwang gegen Prostituierte unterbunden werde, "auch mit Mitteln des Strafrechts", sagt Buschmann. Dafür gebe es bereits Instrumente, die auch angewandt werden müssten.
    Nicole Bauer, Sprecherin der FDP im Bundestag für Frauenpolitik, sieht wie die CDU-Politikerin Elisabeth Winkelmeier-Becker viele Probleme im Milieu, zieht politisch daraus aber ebenfalls andere Schlüsse. Zwar gebe es in Deutschland Menschenhandel und Zwangsprostitution, und beides müsse verstärkt bekämpft werden, sagt Bauer. Auf der anderen Seite gebe es aber auch die sexuelle Selbstbestimmung der Frauen, betont sie – und wenn eine Frau in der Prostitution arbeiten wolle, müsse man ein Umfeld schaffen, in dem diese Tätigkeit dann auch möglich sei.

    Forderungen an die Politik

    In ähnlicher Weise positioniert sich der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen. Er hat ein ganzes Bündel an Vorschlägen und Forderungen an die Politik – hierzu gehört die Abschaffung der „stigmatisierenden und ineffektiven Registrierungs- und Beratungspflicht für Sexarbeitende“, ein Ausbau der Gesundheitsversorgung für Prostituierte und die Entwicklung eines Aus- und Fortbildungssystems für Sexarbeiterinnen.
    Von einem Sexkaufverbot hält der Verband gar nichts – nach seiner Darstellung verschlechtert ein solches Verbot die Lebensbedingungen der Prosituierten deutlich und erhöht die Gefahren für diese, weil sie dann gezwungen seien, „illegal und an unsicheren Orten zu arbeiten und unter hoher psychischer Belastung ein Doppelleben zu führen“.

    Unvereinbare ethische Überzeugungen

    Letztlich berührt die Frage nach dem Sexkaufverbot tiefe ethische und moralische Überzeugungen. Von allen Seiten wird betont, dass Prostituierte geschützt werden müssen. Doch für das „Bündnis Nordisches Modell“ beispielsweise ist Sexarbeit weder mit der Würde des Menschen noch mit der Gleichheit der Geschlechter vereinbar. Aus dieser Perspektive kann das Ziel nur eine Eindämmung der Prostitution sein. Gegnerinnen und Gegner dieser Haltung betonen hingegen den Wert der Freiheit und die Selbstbestimmung der Frau über ihr Leben und ihren Körper: Beide Seiten haben gute Argumente, die sich aber aufgrund ihrer Verankerung in grundsätzlich verschiedenen ethischen Auffassungen kaum ausdiskutieren lassen.

    In welchen Ländern gibt es bereits ein Sexkaufverbot und wie hat es sich ausgewirkt?

    Schweden führte 1999 das Nordische Modell als erstes Land überhaupt ein. Andere Länder zogen nach, darunter Norwegen 2009, Frankreich 2016, Irland 2017 und Israel 2020. Kern des Konzepts ist die Bestrafung der Freier: Der Kauf sexueller Dienstleistungen verstößt in diesen Ländern gegen geltendes Recht, die Prostituierten bleiben straffrei.
    Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat 2020 die verfügbaren Studien zum Nordischen Modell gesammelt und in einer kurzen Übersicht dargestellt. Darunter ist auch eine Evaluierung der schwedischen Regierung von 2010, die verschiedene positive Folgen des Sexkaufverbots aufführte. Demnach ging die Straßenprostitution um die Hälfte zurück; das Gesetz habe abschreckende Wirkung auf Käufer sexueller Dienstleistungen, hieß es. Befürchtungen, die Prostitution könne in den Untergrund abwandern, hätten sich nicht bestätigt. Das Verbot wirke als Barriere für Menschenhändler und Zuhälter, daher gebe es in Schweden weniger Menschenhandel als in vergleichbaren Ländern. Und auch einen „normativen Effekt“ stellte der „Skarhead-Report“ fest - die Einstellung der Bevölkerung zum Kauf sexueller Dienste habe sich verändert, die Kriminalisierung werde befürwortet.

    Kaum gesicherte Erkenntnisse

    Dieses positive Fazit ist allerdings umstritten. Fraglich ist demnach, „ob die Ergebnisse wissenschaftlichen Kriterien standhalten“, wie der Wissenschaftliche Dienst schreibt. Das gilt auch für andere Untersuchungen, die er auflistet. Und diese kommen zu teilweise sehr konträren Ergebnissen. Einer Untersuchung von 2016 zufolge hat das Sexkaufverbot in Schweden das soziale Stigma von Sexarbeit vergrößert und zu mehr polizeilichen Repressionen gegen Prostituierte geführt. Das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) berief sich 2019 wiederum in einer Stellungnahme auf Studien, nach denen Verbote im Kontext von Prostitution das Risiko sexuell übertragbarer Erkrankungen erhöhen. Die Gewalt steige, die Arbeitsbedingungen der Prostituierten verschlechterten sich, und der Menschenhandel verringere sich nicht, hieß es. Die DIMR-Veröffentlichung führte zu erheblichem Widerspruch.
    So sind die Folgen eines Sexkaufverbots eher schwer zu beurteilen. Auch in Frankreich feierten Befürworterinnen und Befürworter das „Gesetz zur Verstärkung des Kampfs gegen das System von Prostitution und für den Beistand prostituierter Personen“ einst als großen Erfolg, in der Gesellschaft fand es Anklang. Doch vor allem aus dem Milieu heraus gab es Contra: Sexarbeiterinnen zogen bis vor das höchste Gericht in Frankreich, verloren dort aber. Schließlich wandten sich 261 Sexarbeitende an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg und reichten dort Klage ein. Der Gerichtshof hat die Klage für zulässig erklärt, eine Entscheidung steht aus.

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