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Sex und Moral

"40 Tage ohne Sex", so heißt eine neue Serie im niederländischen Fernsehen. Die Produktion des sonst als ziemlich prüde angesehenen Evangelischen Rundfunks greift die aktuelle Diskussion über den Umgang mit Sexualität und sexueller Gewalt in der Gesellschaft auf. Hintergrund ist die Sorge, dass Jugendliche sexuelle Moral gar nicht mehr kennen.

Von Kerstin Schweighöfer | 09.01.2008
    Die Hauptdarsteller: Sieben junge Niederländer im Alter zwischen 15 und 20 Jahren, vier Mädchen und drei Jungs. 40 Tage lang wurden sie von der Kamera verfolgt - 40 Tage, in denen sie ohne Sex leben mussten. "Ganz schön schwer', findet Niels. Der 21jährige Student lebt noch bei seinen Eltern. Wenn ihn die Lust packt, braucht er nur zum Handy zu greifen, um sich mit einer seiner Freundinnen zu verabreden - zum Beispiel im Auto seiner Mutter:

    Auch die 19jährige Saskia musste ganz schön schlucken. Als sie ihrem Freund mitteilte, dass ab sofort 40 Tage lang nichts mehr laufen würde, legte er den Hörer auf mit den Worten: "Dann ruf' ich eben Diana an."

    Die Fernsehserie soll dazu führen, dass die niederländischen Jugendlichen die Grenzen zwischen Lust und Liebe neu erkunden. In der Kultur, in der sie aufgewachsen sind, habe Sex mit Liebe, Treue und Intimität nichts mehr zu tun, sagt Moderator Arie Boomsma. Statt dessen sei Sex zu einem billigen Konsumartikel geworden, zu einem Snack zwischendurch.

    So ist es in Rotterdam für manche Jungen ganz normal, die Freundin "ballen" zu lassen, sprich: Sie an Freunde oder Bekannte auszuleihen. Das ergab die Untersuchung einer Arbeitsgruppe in Zusammenarbeit mit dem städtischen Jugendamt. Folge: Es kam zu mehreren Gruppenvergewaltigungen, wobei sich weder Täter noch Opfer - die jüngsten gerade 13 Jahre alt - überhaupt darüber bewusst waren, dass es um Vergewaltigung ging.

    In Amsterdam ist Sex für junge Mädchen ein ganz gewöhnliches Tausch-, Macht- und Zahlungsmittel geworden. Manche tun es für ein Handy, andere schon für einen Drink. Und in Discos und Clubs wird nicht mehr bloß getanzt: Da kommt es auch schon mal zu Live-Sex auf der Bühne.

    "Wir sind an die Grenzen unserer sexuellen Freiheit gestoßen", sagt die Amsterdamer Philosophin Stine Jensen:

    "Ich brauche mir doch nur meine Studentinnen anzusehen. Das sind alles kleine Pamela Andersens..... Neulich erschien eine Studentin bauchfrei zum mündlichen Examen. Auf ihrem Mini-T-Shirt stand: Am I hot enough for you - bin ich heiss genug für dich?"

    Stine Jensen hat zusammen mit vier anderen Niederländern ein Manifest verfasst, das inzwischen von mehr als 10.000 Mitbürgern unterschrieben worden ist - von Eltern, Lehrern, Schriftstellern und Politikern. Darin protestieren sie gegen die Sexualisierung der Gesellschaft und fordern eine andere sexuelle Moral:

    Videoclips mit halbnackten Frauen in unterwürfigen Positionen - immer willig, immer zum Sex bereit. Reklameplakate für Unterwäsche, auf denen überdimensionale Hinterteile zur Schau gestellt werden oder pralle Dekolletés: "Die Frau wird einseitig als Lustobjekt präsentiert", sagt Stine Jensen.

    "Jugendliche müssen vor den Manipulationen der Medien gewarnt werden. Deshalb fordern wir die Einführung des Unterrichtsfaches Medienerziehung. "

    Dafür macht sich auch der sozialdemokratische Kultusminister Plasterk stark. Er spricht von einer "Verrohung der Sitten" und plädiert außerdem für einen Verhaltenskodex für die Medien. Auch die sexuelle Freiheit habe ihre Grenzen.

    Von den linken Oppositionsparteien muss sich der Minister als Moralapostel ausschimpfen lassen: Er verbreite den Mief der prüden 50er Jahre, die sexuelle Moral der Bürger gehe die Regierung nichts an.

    Vielen Wählern allerdings spricht Plasterk aus dem Herzen. Die sexuelle Befreiung der 60er Jahre habe Schattenseiten mit sich gebracht, die nicht länger übersehen werden dürften. In Talkshows wird über die sexuelle Moral diskutiert. Und die Macher von "40 Tage ohne Sex" erhalten bereits seit Wochen Anfragen von Jugendorganisationen und Schulen, die Unterrichtsmaterial für Diskussionen bestellen wollen.

    "Höchste Zeit", findet Stine Jensen. Eigentlich ginge es schon längst nicht mehr bloß um Sexualisierung: "Unsere Gesellschaft", so die Philosophin, "ist pornofiziert":

    "Früher musste man sich anstrengen, um einen Porno zu finden. Heute ist es umgekehrt: Man kann ihm kaum noch entgehen, die Pornographie breitet sich überall aus."