Archiv

Sexismus an Hochschulen
Chinas Bewegung gegen sexuelle Übergriffe

Die #MeToo-Debatte hat China erreicht - auch wenn sie dort nicht so genannt wird. Anlass ist der Fall eines Pekinger Uni-Professors, der eine Doktorandin bedrängt haben soll. Bei der Staats- und Parteiführung ist der seltene Fall zivilgesellschaftlichen Engagements allerdings nicht erwünscht.

Von Steffen Wurzel |
    Graphische Darstellung – Sexismus
    In China wächst das Bewusstsein dafür, dass mehr gegen sexuelle Übergriffe getan werden muss (imago/Ikon Images)
    "My name is Joy Lin, I have started my project 'Women yu píngquán' (我们与平权) in November 2016. And we hope to change the status quo."
    Es muss sich etwas ändern in China in Sachen Frauenrechte, sagt Joy Lin. Deswegen hat die 30-Jährige Ende 2016 in Shanghai einen Verein gegründet, auf Deutsch übersetzt bedeutet der Name in etwa "Wir sind gleichberechtigt". Weil private Vereine in China nicht erlaubt sind, spricht Joy Lin selbst lieber von einem "sozialen Projekt", mit dem sie sich engagiert.
    "Ich spreche verschiedene Leute an, die bisher nicht viel von Feminismus oder Gleichberechtigung gehört haben. Ich möchte ein Bewusstsein dafür schaffen und aufzeigen, dass alle etwas tun können in ihrer Umgebung, damit sich etwas ändert und damit auch diejenigen wiederum anderen helfen können."
    Initiativen an Universitäten als Vorbild
    Seit einigen Monaten erleben Initiativen wie die von Joy Lin einen gewissen Zulauf in China. Vor allem an den Universitäten des Landes. Grund ist der Fall eines Professors an der Pekinger Beihang-Universität, der Studentinnen bedrängt und zum Sex aufgefordert haben soll. Nach einer wochenlangen, vor allem online geführten Protestaktion von betroffenen Studentinnen entließ die Uni-Leitung den Professor schließlich. Für Aktivistinnen wie Joy Lin ein passender Ausgangspunkt für weiteres Engagement gegen sexuelle Übergriffe in China.
    "In China geht Bewegung gegen sexuelle Übergriffe einen anderen Weg als in den USA", sagt Shen Yang, Dozentin an der Shanghaier Jiaotong-Universität und Expertin für Geschlechterforschung. "In Amerika waren es Promis, die sich in Sachen #MeToo öffentlich geäußert haben. Chinesische Promis würden das nie tun. Das wäre viel zu gefährlich für die Karriere. Aktionen an Universitäten hingegen sind ein guter erster Schritt. Sie können Vorbild sein für Initiativen in anderen Lebensbereichen."
    Zensur von Online-Postings
    Mitte Januar äußerte sich auch das chinesische Bildungsministerium zum Thema. Künftig wolle man mehr gegen sexuelle Belästigungen an Hochschulen tun, hieß es. Was genau geplant ist, wurde allerdings nicht erklärt. Auch ansonsten halten Uni-Verwaltungen und die Politik in China weitgehend still. Und nicht nur das: Kritische Online-Postings zum Thema werden inzwischen systematisch zensiert, zum Beispiel innerhalb der beliebten chinesischen Social-Media-App WeChat.
    "Ich habe einen offenen Brief gepostet, in dem Unis aufgefordert werden, ein System gegen sexuelle Belästigung zu entwickeln. Beim ersten Mal wurde das Posting nach 36 Stunden gelöscht, beim zweiten Mal dauerte es nur eine Stunde."
    Eine typische Reaktion der chinesischen Behörden. Sie haben den Anspruch, alles, was im Lande vor sicht geht, zu kontrollieren und selbst zu steuern. Zivilgesellschaftliches Engagement ist deswegen von Chinas Staats- und Parteiführung nicht gewollt. Sie sieht darin häufig eine potenzielle Gefahr für die Stabilität im Land.
    Wachsendes Bewusstsein bei jungen Frauen
    Trotz dieser schwierigen Bedingungen wachse in China das Bewusstsein dafür, dass mehr gegen sexuelle Übergriffe getan werden muss, sagt die Expertin Shen Yang von der Shanghaier Jiaotong-Universität. Die 30-Jährige hat selbst eine entsprechende Petition von Uni-Professoren zum Thema mit unterzeichnet.
    "Vor allem junge und gut ausgebildete Frauen haben das Thema auf dem Schirm. Und natürlich all die, die selbst schon Übergriffe erlebt haben. Frauen aus der Generation meiner Mutter hingegen interessiert das nicht. Meiner Mutter zum Beispiel gefällt mein Engagement überhaupt nicht. Sie hält das für politisch zu brisant."
    Engagement ist gefährlich - aber wichtig
    Auch die Shanghaier Frauenrechtsaktvistin Joy Lin ist sich bewusst, dass ihr - aus europäischer Sicht ganz normales - Engagement gefährlich sein könnte. Mehrere Frauenrechtsaktivistinnen kamen in China in den vergangenen Jahren ins Gefängnis.
    "Für mich sind Feminismus und Gleichberechtigung eine Berufung. Ich weiß, dass ich mich dafür einsetzen muss, das macht mich glücklich. Und ich weiß: Was ich tue ist richtig und von Bedeutung."