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Sexismus im Job
"Anspielungen zum Dekolleté haben am Arbeitsplatz nichts zu suchen"

In der Debatte um Sexismus war die Wirtschaft eher zurückhaltend. Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, sieht im Dlf-Interview vor allem bei den Beschwerdestellen in Unternehmen noch viel Nachholbedarf. Doch damit alleine sei es noch nicht getan.

Christine Lüders im Gespräch mit Birgid Becker |
    #Meetoo-Demonstration gegen sexualisierte Gewalt und sexistische Übergriffe am 28.10.2017 in Berlin Neukölln.
    Eine Debatte, die mobilisiert - #MeToo-Demonstration gegen sexualisierte Gewalt und sexistische Übergriffe am 28.10.2017 in Berlin Neukölln (imago /Bildgehege)
    Birgid Becker: Wenn dieses Jahr zu Ende geht, dann wird zu den vielen prägenden Debatten des Jahres 2017 auch die #MeToo-Debatte gehören, das immer breiter werdende Bekenntnis von vielen Frauen und einigen Männern, dass sie Opfer sexueller Belästigung oder gar sexueller Übergriffe geworden seien. Die Liste derjenigen, die als Täter benannt werden, bezichtigt werden oder auch sich selbst bekannt haben, wird immer länger. Es ist gerade heute der konservative britische Politiker Damian Green, Vizepremier, enger Vertrauter von Theresa May, der seinen Hut nahm nach nicht nur Belästigungsvorwürfen.
    Politik Hollywood, die Musikszene, klassische ebenso wie Pop, der Sport, die Wissenschaft und auch die Wirtschaft haben ihre #MeToo-Debatte – die Wirtschaft im Vergleich noch eher zurückhaltend. Weil dort weniger passiert am Arbeitsplatz? Das habe ich Christine Lüders gefragt, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle beim Bund.
    Christine Lüders: Nein. Gerade am Arbeitsplatz passiert viel und auch sexuelle Belästigung. Die passiert überall und wenn man internationale Studien ansieht, dass jede zweite Frau schon einmal belästigt wurde, sexuell belästigt wurde, dann ist das ganz klar, dass das weit verbreitet ist.
    Viele offene Fragen
    Becker: Bemerkenswert ist ja dabei auch, dass einer Umfrage zufolge, die sie selber angestellt haben, nach der tatsächlich die Hälfte aller Beschäftigten sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt, dass diejenigen auch zugleich sagen, sie wären nicht informiert, wer im Unternehmen dann zuständig sei, wenn so etwas vorkommt.
    Lüders: Genau, und hier sehe ich die absolute Lücke. Die Unternehmen haben teilweise ihre Beschwerdestellen nicht so eingerichtet, dass alles klar ist zum Thema sexuelle Belästigung. Was ist das überhaupt? Wann muss der Arbeitgeber wie einschreiten? Das sind ganz einfache Fragen, die aber, wie wir auch in unserer Studie festgestellt haben, leider nicht allen bekannt sind, auch nicht gewerkschaftlich organisierten Menschen, die da auch helfen könnten. Es gibt ganz viele Bereiche, wo wir sagen, hier ist einfach Nachholbedarf dringend nötig.
    Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, spricht vor dem Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Berlin.
    Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Becker: Wie ist der rechtliche Rahmen dafür? Was müssen Arbeitgeber leisten?
    Lüders: Der Arbeitgeber muss sich, wenn eine Person in seinem Unternehmen sexuell belästigt wird - dazu ist er gesetzlich verpflichtet -, sich vor die Person stellen und sie schützen, und den Belästiger kann er im Notfall, je nachdem wie das Vergehen war, auch entlassen.
    Becker: Dieser Passus, man muss sich schützend vor denjenigen stellen, der sexuelle Übergriffe oder der sexuelle Belästigung erfahren hat, wie verbreitet ist trotzdem die Sorge, dass Klagen über Sexismus ein Karrierekiller sind? Man sollte meinen, das ist vorbei, aber ist es das?
    Lüders: Das ist ganz groß, und zwar bei fast allen Formen der Diskriminierung am Arbeitsplatz. Es ist sehr, sehr schwierig für jemanden, am Arbeitsplatz gegen seinen Arbeitgeber vorzugehen. Das ist eine ganz komplizierte Sache. Das ist auch mit der Beweislast relativ schwierig. Bei sexueller Belästigung sagen wir allen Opfern, bitte sprechen Sie mit anderen Frauen, ob denen das auch passiert ist. Da hat man dann vielleicht auch schon Zeuginnen. Oder machen Sie ein Gedächtnisprotokoll, so dass ganz klar ersichtlich ist, dass das häufiger vorkommt. Und ja, es ist sehr schwer, dagegen vorzugehen, und der Klageweg ist auch teuer. Das muss man auch sagen. Es kostet einfach Geld, wenn man zu Anwälten geht und ein Verfahren dann anstrebt. Insofern versteht man auch, dass es viel wichtiger ist, dass der Chef selbst sofort schützend vor der Person, die sexuell belästigt ist, steht, oder die Chefin.
    "Machtsituationen bringen auch Konflikte mit sich"
    Becker: Zugleich muss man immer sagen, dass Sexismus mit Macht zu tun hat. Genau in diesem Kontext aber bewegen sich Vorgesetzte und Führungskräfte. Ist das nicht ein Spannungsfeld, das schwer aufzulösen ist?
    Lüders: Es ist ein Spannungsfeld, das aus meiner Sicht aufzulösen ist: Erstens, wenn man darüber spricht, wenn man so was auf Betriebsversammlungen auch einmal thematisiert. Das ist für mich grundlegend wichtig. Ich fände es auch schön, wenn es Ombudsfrauen oder Personen gäbe, die zu dem Thema sexuelle Belästigung in den größeren Unternehmen, auch in den kleinen Unternehmen einfach so gut informiert sind, dass sie andere beraten können. Wenn der Chef selber der Belästiger ist, dann ist es für das Opfer noch schwieriger, was ja, wie Sie gerade richtig sagen, auch vorkommen kann, dass die Macht ausgenutzt wird. In so einem Fall ist es natürlich wunderbar, wenn eine Beschwerdestelle im Unternehmen dann auch viel über das Thema weiß und versucht, dem Opfer beizustehen, oder wenn das Opfer sich direkt an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wendet. Wir machen eine juristische Erstberatung und können auch Opfern da schon ganz gut helfen.
    Becker: Die Gleichstellungsbeauftragte der Charité hat in einem Zeitungsinterview gesagt, dass vor allem in Branchen mit starken Hierarchien die Gefahr sexueller Belästigung besonders groß sei. Zu diesen Branchen hat sie dann auch die Medizin gezählt. Ist das so nach Ihrer Erkenntnis? Oder was für Branchen sind außerdem besonders gefährlich?
    Lüders: Das wäre unseriös, jetzt zu sagen, die oder die Branche ist gefährdeter, weil ich habe darüber überhaupt keine Studienerfahrung. Das heißt, es gibt kaum Forschung darüber. Es gibt Vermutungen. Alles was hierarchisch strenger organisiert ist, ob das jetzt Krankenhäuser sind mit Professoren, ob das jetzt Universitätsprofessoren sind, wo man das häufiger erlebt – ja, sage ich, das kann ich mir sehr gut vorstellen, ohne konkrete Forschungsexpertisen darüber zu haben. Aber Machtsituationen bringen schon auch Konflikte mit sich.
    "Jede Debatte zu diesem Thema grundlegend wichtig"
    Becker: Um die Grenze noch mal zu ziehen. Oft wird ja gesagt, dass nicht jeder schlechte Witz, nicht jede Anzüglichkeit Sexismus sei, erst recht kein Übergriff oder keine Belästigung. Wo sind die Grenzen?
    Lüders: Ja, gut, dass Sie diese Frage stellen, denn es wird oft so versucht, sexuelle Belästigung damit ins Lächerliche zu ziehen, dass man sagt, ein Flirt ist nicht erlaubt. Nein, es ist im Gesetz so klar definiert. Jede unerwünschte Handlung mit sexuellem Bezug, die ist sexuelle Belästigung, und das ist so klar definiert. Wenn ein Flirt einvernehmlich ist oder irgendetwas Nettes gesagt wird, ein Kompliment, das ist genau nicht das Interesse zu verbieten. Aber sexuelle Belästigung verbietet sich. Was hat das am Arbeitsplatz zu suchen, eine Anspielung über mein Dekolleté, über mein Aussehen, über "ach, haben Sie wieder einen kurzen Rock an", "ach, der Ausschnitt". Das hat am Arbeitsplatz nichts zu suchen und das wird sehr unangenehm, wenn diese Worte oder Sätze dann jeden Tag immer wieder vorkommen. Das belästigt schlichtweg. Und wenn sich eine Frau dann belästigt fühlt, dann ist es eben so, und dagegen sollte man auch vorgehen und sich wehren.
    Becker: Die #MeToo-Debatte dieses Jahres, kann man schon sagen, ob die etwas bewirkt hat? Oder hat sie lediglich die Sensibilität fürs Thema erhöht?
    Lüders: Ich finde jede Debatte zu diesem Thema grundlegend wichtig. Wenn dies kein Tabuthema mehr ist und auch in Betrieben diskutiert wird und soweit geht, dass eine Vorstandsfrau von Lufthansa überlegt, ob sie eine Ombudsfrau gegen sexuelle Belästigung einstellt, dann, sage ich, hat die Debatte verdammt viel gebracht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.