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Sexismusdebatte
"Wir brauchen mehr Respekt voreinander"

Mit Blick auf die Diskussion um sexuelle Übergriffe fordert der Buchautor Ralf Bönt ein neues Bild von Männlichkeit. Ziel müsse dabei aber eine neue Liberalität sein und keine Rigidität, sagte Bönt im Dlf. Dabei spielten auch die Frauen eine wichtige Rolle.

Ralf Bönt im Gespräch mit Stephanie Rohde |
    Eine Hand auf der "#MeToo" und "#Balancetonporc" ("Schwärz' dein Schwein an")
    Nach dem Skandal um Hollywood-Regisseur Harvey Weinstein wird unter dem #MeToo über Sexismus debattiert (AFP / Bertrand Guay)
    Stephanie Rohde: Männlichkeit müsse neu begründet werden, sagt der Buchautor Ralf Bönt mit Blick auf die Debatte rund um übergriffige Prominente. Ziel müsse aber eine neue Liberalität sein - und keine Rigidität. Dabei spielten auch die Frauen eine wichtige Rolle.
    Der Regisseur Ridley Scott hat eine etwas andere Lösung gefunden für das Problem, er hat nämlich alle Szenen mit Kevin Spacey aus dem Thriller "Alles Geld der Welt" entfernt, der im Dezember starten soll. Wie sinnvoll ist das und wie verändert sich das Männerbild durch diese Sexismusdebatte? Darüber habe ich vor der Sendung gesprochen mit dem Schriftsteller Ralf Bönt, der vor einigen Jahren Aufsehen erregt hat mit seinem Buch "Das entehrte Geschlecht. Ein notwendiges Manifest für den Mann", und ich wollte von ihm wissen: Jemanden, der sich offenbar falsch verhalten hat, von der Leinwand zu tilgen, ist das richtig?
    Ralf Bönt: Na ja, die Frage ist, wie falsch er sich verhalten hat. Wüssten wir jetzt, dass er jemanden vergewaltigt hätte, dann wäre das wohl richtig, es ist aber hier ja offenbar sehr unklar und steht gar nicht so richtig im Raum, deswegen ist das etwas übertrieben, glaube ich.
    Rohde: Aber Kevin Spacey hat doch selber sich entschuldigt schon für diese Taten, also es geht doch um eine gewisse Schwere hier.
    Bönt: Ja, er hat sich wohl entschuldigt, soweit ich das verstehe, wenn er etwas getan haben sollte, was den Kollegen da langfristig gestört haben soll, wenn es ihn verletzt habe, aber er selbst könne sich nicht richtig daran erinnern. Jetzt ist es so, dass irgendwie im Umfeld der Eindruck entstanden ist, da ist wohl was mit latenter Übergriffigkeit bei ihm schon unterwegs...
    "Zusammenstürzenden Geschlechtermodells"
    Rohde: Und zwar mehrfach seit sehr vielen Jahren.
    Bönt: Ich finde das auch sehr gut, dass das aufgearbeitet wird. Ich weiß nur nicht, ob man jetzt den Film retten kann dadurch, dass man an seiner Stelle einen anderen Schauspieler sieht, denn der Zuschauer, der sitzt natürlich im Zuschauerraum und hat dann trotzdem das im Kopf, was nun mal die Imaginationsindustrie Hollywood ausmacht, nämlich Dinge, die um das Gesagte und Gesehene herum auch passieren.
    Der Schriftsteller Ralf Bönt
    Der Schriftsteller Ralf Bönt (dpa / picture alliance)
    Rohde: Aber ist es nicht ein notwendiges politisches Signal, das Hollywood damit aussendet, dass solche Verhaltensweisen eben nicht geduldet werden und solche Leute rausgeschnitten werden?
    Bönt: Absolut, dafür bin ich auch. Ich hab ja sogar selber in einer Zeitung über "MeToo" geschrieben und Übergriffigkeiten, die ich selber erlebt habe als Mann. Und was mich daran auch brennend interessiert, ist, dass genau das jetzt passiert, dass die normalen Schemata: Frauen werden belästigt oder berührt in einem Maße, das nicht mehr okay ist, aufgebrochen werden, dass jetzt hier auch Männer reden. Ich glaube, wir sehen den Beginn eines vollkommen in sich zusammenstürzenden Geschlechtermodells. Und dieser Zusammenbruch, der hat sich ja lange angekündigt, der hat sich lange vorbereitet, und bei allen Kollateralschäden, die wir da jetzt haben, finde ich das grundsätzlich sehr gut, ja.
    "Wir verwechseln ja Männlichkeit mit Übermännlichkeit"
    Rohde: Was meinen Sie damit, mit dem totalen Zusammenbruch?
    Bönt: Na ja, ich glaube, dass wir das, was wir unter Männlichkeit verstehen, neu begründen müssen.
    Rohde: Inwiefern?
    Bönt: Wir leben in einer Zeit, wo das, was wir mit Männlichkeit verstehen, eigentlich nicht mehr akzeptiert wird. Ich benutze gerne einen Begriff aus der Psychologie oder Psychiatrie oder Psychoanalyse: Wir verwechseln ja Männlichkeit mit Übermännlichkeit. Ich glaube, das hat sehr tief geschlagene Wurzeln, kulturelle Wurzeln, kulturhistorisch, dass wir den Mann uns immer als jemanden vorstellen, der über Grenzen geht, der zu weit hinaus will und genau dadurch seine Männlichkeit beweist. Schönes literarisches Beispiel ist "Der alte Mann und das Meer" von Hemingway, der das ganz toll beschrieben hat und der dann auch, als er zurückkommt, als man ihm den Fisch wieder nimmt, den er dann unter großen Mühen gefangen hat und unter Lebensgefahr, dass er das als eine Kreuzigung erlebt. Das fand ich sehr, sehr aufschlussreich.
    Rohde: Wie verändert sich denn das Männerbild jetzt konkret? Also Sie sagen, dass dieses Übermännerbild infrage gestellt wird, aber was heißt das konkret für Männer?
    "Debatte entwickelt sich in die richtige Richtung"
    Bönt: Ja, das wissen wir noch nicht so richtig, das muss sich jetzt daraus entwickeln. Ich finde ja so öffentliche Skandale eigentlich ganz gut, mein Mitleid mit Kevin Spacey ist jetzt auch eigentlich nicht so besonders groß, auch wenn es ihn jetzt ein bisschen überhart möglicherweise treffen sollte. Wir müssen jetzt überlegen, wie wir dieses Spiel zwischen Mann und Frau, aber auch zwischen natürlich gleichgeschlechtlichen Paaren, wie wir das neu inszenieren wollen, und ich denke, dass es ganz interessant und liberal sein kann.
    Rohde: Aber ist das nicht ein anderer Sachverhalt, also ein Spiel zwischen Mann und Frau, wie Sie es beschreiben, und tatsächlich sexuellen Übergriffen? Das sind doch zwei komplett verschiedene Themen, oder?
    Bönt: Sollten sie sein, natürlich. Es ist auch nicht gut, wenn wir eine Beleidigung wie – wenn wir uns noch erinnern können an Rainer Brüderle zum Beispiel und die "Stern"- Reporterin – vermischen mit sexueller Gewalt. Die beiden Sachen haben miteinander wirklich so gut wie gar nichts zu tun - ein Harvey Weinstein, kein Rainer Brüderle, also jemand, der nachgewiesenerweise übergriffig ist, nicht nur verbal, sondern auch körperlich, und jemand, der vielleicht ein aus der Zeit gefallenes Kompliment im falschen Moment macht und nicht sofort begreift, wie weit das schon aus der Zeit gefallen ist. Aber genau um solche Trennungen geht es, und ich sehe eigentlich auch, dass die öffentliche Debatte zumindest bei uns genau in diese Richtung läuft - ich habe jetzt viele Beiträge gelesen, die genau das klargemacht haben. Also nicht jeder schlüpfrige Witz und jedes falsche Kompliment ist schon ein Übergriff. Wir wollen ja auch nicht eine neue Rigidität entwerfen, sondern wir wollen ja eigentlich in eine neue Liberalität, und da müssen natürlich die beteiligten - ja, ich sag jetzt noch mal - Geschlechter vielleicht sich neu erfinden, wie sie miteinander reden wollen. Dazu gehören übrigens meiner Meinung nach sehr wohl auch nicht nur Frauen, die Nein sagen können, sondern Frauen, die von sich aus auch Ja sagen.
    Donald Trump als Abwrackprämie der alten Männlichkeit
    Rohde: Das heißt, Sie meinen damit ein positiveres Frauenbild, ein aktiveres, im Gegensatz zu den sozusagen negativen oder wie?
    Bönt: Genau, die Ja sagen, bevor sie gefragt werden, also Frauen, die auch mal von sich aus rausgehen und aktiv werden und nicht dieses viktorianische Geschlechterspiel weiterspielen, in dem der Mann immer erst mal sozusagen vorlegen muss. Das ist ja nun etwas kulturell Tradiertes, was mit diesen Übergrifflichkeiten stark zu tun hat...
    Rohde: Was aber schon längst im Wandel begriffen ist, also das ändert sich doch schon seit vielen, vielen Jahren.
    Bönt: Ja, aber jetzt ändert es sich, glaube ich, erst richtig. Also das Männliche war bisher eigentlich nicht so stark geschliffen worden, wie es hätte sein müssen, das ist längst überfällig. Ich glaube übrigens, dass Donald Trump da eine große Rolle spielt. Also man hatte eigentlich so ein bisschen den Eindruck, als er gewählt wurde, das ist jetzt vielleicht ein Rückfall und alles, was der Feminismus geschafft hat, das wird jetzt zurückgedreht, aber ich glaube, es entsteht genau das Gegenteil dadurch, dass wir diesen Menschen, diesen Mann fast täglich vor Augen haben und uns alle an dieses "Grab the Pussy"-Video erinnern, diesen Skandal, das ja nicht dazu geführt hat, dass er nicht gewählt wurde. Das ist irgendwie wie so eine, ja, die Inkubation, es läuft noch, aber die Gegenwehr der Mehrheit, die ist so groß, dass man sagt, wir wollen dieses altmaskuline wirklich nicht mehr haben. Ich hab sogar manchmal den Eindruck, diese Präsidentschaft, das ist wie eine Abwrackprämie für dieses Altmaskuline. Das ist noch einmal hervorgezogen worden, aber wird jetzt umso stärker zurückgewiesen, und wir wollen wirklich andere Männlichkeiten sehen und ein anderes Zusammenspiel, also auch im Zwischengeschlechtlichen, in der Liebe, in der Partnerschaft - wir brauchen mehr Respekt voreinander.
    Feminismus nicht mehr treibende Kraft
    Rohde: Feministinnen sehen aber genau das anders, also die sagen ja, dass gerade ein Backlash stattfindet und dass es tatsächlich verwunderlich ist, dass wir diese Debatte hier überhaupt noch führen müssen.
    Bönt: Ja, der Feminismus ist auch meiner Meinung nach nicht mehr die treibende Kraft. Ich verehre den ja sehr, den historischen Feminismus, der mit der Französischen Revolution begann, 1792 unter Olympe de Gouges. Der ist nicht mehr der heutige, der heutige hat sich verloren meiner Meinung nach, hat sich verirrt. Man sieht das daran, dass zum Beispiel im Fall Kachelmann, so wie er sich jetzt in den letzten Monaten entwickelt hat und was wir darüber wissen, über Jörg Kachelmann und Claudia Dinkel, da haben sich keine Feministinnen zu Wort gemeldet und haben gesagt, Frau Dinkel, die ja nun wahrheitswidrig und absichtlich ihn falsch beschuldigt hat der Vergewaltigung - da hätten die Feministinnen natürlich große Artikel schreiben müssen in "Emma" und "Missy-Magazin" und natürlich auch in den großen Tageszeitungen, dass diese Sorte Standgericht den Feminismus verrät. Das ist leider nicht passiert.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.