Die Aufregung ist groß in Frankreich. Seit dem Wochenende bekunden via Twitter immer mehr Frauen, zwischen 2009 und 2012 von den Mitgliedern einer Facebook-Gruppe in dem sozialen Netzwerk sexuell belästigt, beschimpft, beleidigt, gemobbt worden zu sein. "La Ligue du LOL" nennt sich die Gruppe, etwa die "Liga des Ablachens, des Ablästerns"; gegründet wurde sie 2009 von Vincent Glad, einem Mitarbeiter der angesehenen links-liberalen Tageszeitung "Libération".
Mélanie Wanga, die Begründerin des Podcasts "pop Tchip", berichtete auf Twitter von "rassistischen Belästigungen" durch "weiße Pariser Journalisten". Die frühere Bloggerin Capucine Piot schrieb, "jahrelang" sei sie das Ziel gehässiger Videomontagen gewesen. Auch ist in Tweets zu lesen, die Gruppe habe sich zu sexistischen Attacken regelrecht verabredet, Emails mit pornographischen Fotos seien verschickt worden, ganze Nächte hindurch habe es anonyme Anrufe gegeben. Viele der Frauen, die sich jetzt zu Wort meldeten, gehörten der Gruppe selber an. Doch überwiegend sind deren Mitglieder Männer, zumeist Journalisten, Kreative der Kommunikations- und Werbebranche; sie arbeiten für renommierte Blätter. Die "Libération" machte die Affäre am Freitag publik. Ihr Herausgeber, Laurent Joffrin, im Sender France Info:
"Als ich die Tweets, die Zeugenaussagen der Opfer dieser Cyberangriffe las, war ich empört. Ich wusste nichts von der Existenz dieser 'Ligue du LOL'. Ich fand, es muss jetzt schnell reagiert werden – und also hab ich Maßnahmen ergriffen, vorsorglich erstmal. Ich will niemanden bestrafen, bevor ich nicht sicher weiß, was passiert ist. Zwei Journalisten der 'Libération' waren offenbar beide lange dabei, der eine war sogar Gründer dieser Plattform."
"Die Geschichte von Verlierern"
Inzwischen wurde Vincent Glad als Mitarbeiter der "Libération" suspendiert, ebenso der Online-Chef der Zeitung, Alexandre Hervaud. Auf Twitter entschuldigte sich Vincent Glad mit den Worten, man habe "nur Spaß haben, aber niemanden belästigen" wollen, mit der Zeit habe er "die Kontrolle über die Gruppe verloren", er habe "ein Monster erschaffen". "Beurlaubt" wurde auch David Doucet, Chefredakteur des Musik- und Kulturmagazins "Les Inrockuptibles". Mahmoud Mahjoubi, in der Regierung Staatssekretär für Digitales, im Sender BFM:
"Die 'Ligue du LOL' - das ist die Geschichte von Verlierern, Männer unter sich, die sich als Könige des Internets gefühlt haben, eine private Gruppe mit Leute, die meinten, sie könnten im Netz alle Welt beleidigen, vor allem Frauen und Homosexuelle. Es ist für sie eine Art Gewohnheit geworden, ein sympathischer Treffpunkt für Journalisten, für alle möglichen Leute im Netz."
Viele Fälle sind bereits verjährt
Ausführlichere Stellungnahmen Betroffener wie auch Beschuldigter gibt es nicht, auch nicht dazu, warum die Vorwürfe erst jetzt erhoben werden. Doch allenthalben ist das Unbehagen zu spüren, das sich in der Pariser Medienszene breitmacht. Mahmoud Mahjoubi:
"Die Anschuldigungen sind sehr schwerwiegend. Viele der Opfer werden das Gefühl haben, dass das, was im Netz passiert ist, sich für sie ins reale Leben übertragen hat. Leider sind heute wohl viele dieser Fälle verjährt, für die meisten Opfer wird es keine juristische Aufarbeitung geben. Umso wichtiger, glaube ich, ist es, dass die Opfer sich heute wenigstens mitteilen können – für sie selbst, aber auch für uns, damit wir das Netz weiterentwickeln, es besser machen können."
Marlène Schiappa, Staatssekretärin für die Gleichstellung von Frauen und Männern, erinnerte in einer ersten Reaktion daran, dass Cyber-Belästigung nach einer Gesetzesverschärfung in Frankreich nun eine Straftat darstellt und dass Verjährungsfristen verlängert werden können – etwa bei Fällen, die länger als sechs Jahre zurückliegen. Die Organisation SOS Racisme forderte eine Untersuchung der "Ligue du LOL" durch die Pariser Staatsanwaltschaft.