Sie gehört zu den wenigen Dingen, die Peter Wohlers noch Freude bereiten: seine Mundharmonika. Der 77-Jährige hatte fünf Schlaganfälle, kann seine kleine Wohnung im dritten Stock inzwischen nicht mehr verlassen. Zweimal im Monat bekommt der Hamburger Besuch von einer Sexualbegleiterin. Nur Reden reicht ihm nicht aus - er braucht auch körperliche Nähe:
"Dann kann man mal ein bisschen schmusen und hängt nicht immer alleine rum. Und vor allen Dingen, man fühlt sich als Mensch. Damit man merkt, dass man noch da ist."
Vor den Treffen bringt seine Pflegerin Kuchen. Peter kocht Kaffee.
"Meine erste Frau ist gestorben, da war ich 40. Dann habe ich wieder geheiratet, dann ist meine zweite Frau gestorben."
Der 77-Jährige fühlt sich einsam. Auf sexuelle Erlebnisse will er auch im Alter nicht verzichten.
"Alt ist relativ. Der eine kann mit 60 nichts mehr bewegen und der Andere ist mit 77 oder 80 noch fit. Das ich nun fünf Mal einen Schlaganfall hatte, ist Pech."
Sexualität ist ein großes Thema in der Altenpflege
Gabriele Paulsen hat in Schleswig Holstein viele Jahre in der Pflege gearbeitet. Heute vermittelt sie Sexualbegleiterinnen. Dazu hat die 50-Jährige in Hamburg die Firma Nessita gegründet. In einem kleinen Büro organisiert sie die Treffen am Laptop. Der Wunsch nach Sexualität ist ein großes Thema in der Altenpflege, sagt Paulsen.
"Ich habe keine Einrichtung oder keinen ambulanten Dienst erlebt, der dieses Thema nicht kennt. Und ich sage selten "immer" und "nie". Aber da muss ich wirklich sagen, wenn man eine Pflegekraft anspricht, was sagst du? Hat ein älterer Mensch ein Bedürfnis nach Sexualität? Dann kommt ein Ja. Ja, das kenne ich, ja so eine Situation habe ich schon erlebt, ja das ist so."
Personal und Angehörige sind von diesem Bedürfnis allerdings oft überfordert, so die 50-Jährige.
"Es gibt alte Damen, die von einer frontotemporalen Demenz betroffen sind und nackt durch die Einrichtung laufen und rufen laut: Ich will ficken."
Pflegekräfte müssen sich nicht selten gegen sexuelle Übergriffe wehren, betont Paulsen. Ein Problem, das Sexualbegleitung lösen könne.
"Es ist schon gelungen, dass wir diese Bedürfnisse auf eine Person dann konzentrieren können. Vom Pflegepersonal weg oder von der Ergotherapeutin, der Physiotherapeutin, der Mitbewohnerin, das ein bisschen umlenken auf eine andere Person – das gelingt."
Auch behinderte Menschen können Sexualbegleiterin buchen
Nicht nur Alte, auch Behinderten können die Dienste helfen. Edith Arnold ist Sexualbegleiterin. Sie hat lange mittelblonde Haare, braune Augen und eine schlanke Figur. Die 30-Jährige trifft sich mit geistig Behinderten.
"Der Grundgedanke ist eigentlich, dass zwei Menschen relativ authentisch und frei aufeinander zukommen und der Klient, die Klientin dann die Wünsche äußert. Ich schaue dann, ist es mir möglich, das zu geben. Und das wäge ich jedes Mal ganz individuell ab."
Ediths Klienten sammeln dabei erste sexuelle Erfahrungen.
"Einfach erotische Berührungen, gemeinsames Nacktsein, Zärtlichkeiten austauschen, in dem Rahmen bewegt sich das."
Zum Sex kommt es dabei selten.
"Mittlerweile wenn ich mit stark geistig behinderten Menschen zusammen arbeite, ist das auch nicht mehr die Hauptintension. Da geht es überhaupt erstmal um die Erfahrung, dass da jemand ist, der mich nicht nur wäscht und aus medizinischen Gründen berührt und einfach in dem Bereich erste Erfahrungen sammeln."
Immer mehr Behinderten- und Altenpflegeeinrichtungen beschäftigen sich mit dem Thema Sexualbegleitung. Das Problem: Die Dienste sind teuer. Bei Edith kostet eine Stunde 150 Euro. Die Grünen forderten deshalb Anfang des Jahres "Sex auf Rezept". Die Kosten von sexuellen Dienstleitungen für Pflegebedürftige und Behinderte sollten dabei übernommen werden. Ein Vorschlag, den Arnold nicht unterstützt. Nur Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, sich selbst zu befriedigen hätten ein Anrecht, glaubt die 30-Jährige.
Peter Wohlers gibt für seine Treffen einen Großteil seiner Rente aus. Der Wunsch nach Nähe ist ihm wichtiger als Geld auf dem Konto, sagt der 77-Jährige.
"Viele sagen ja, ach, was will der Alte. Aber die Leute vergessen ja, dass sie alle älter werden. Und wenn es soweit ist, auch im Alter hat man noch ein Recht auf Dasein. Das gehört nun mal zum Leben dazu, finde ich jedenfalls."