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Psychische Gewalt im Handball
Wie die richtige Aufarbeitung im deutschen Sport gelingen kann

Nach der überraschenden Auflösung der Kommission zur Aufarbeitung von Gewalt sucht der Deutsche Handballbund mit Hochdruck nach einer Lösung. Dabei ist Zeitdruck ein denkbar schlechter Ratgeber, um Missbrauch richtig aufzuarbeiten. Ein Überblick.

Von Andrea Schültke und Arne Lichtenberg |
Kritzeleien an der Wand einer Sporthalle in Deutschland
Sexualisierte Gewalt ist im deutschen Sport offenbar weitverbreitet - allerdings ist die Aufarbeitung schwierig. (dpa / picture alliance / blickwinkel / fotototo )
Mit ihrer fristlosen Kündigung bei Borussia Dortmund hatten die Handball-Nationalspielerinnen Mia Zschocke und Amelie Berger den Fall des Trainers André Fuhr Mitte September 2022 öffentlich gemacht und für einen Skandal im deutschen Frauen-Handball gesorgt. Mittlerweile haben sich zahlreiche weitere Spielerinnen gemeldet, die nach eigenen Angaben psychisch unter den Trainingsmethoden des ehemaligen Coaches gelitten hatten. Fuhr war von Spielerinnen psychische Gewalt wie Demütigung und Erniedrigung vorgeworfen worden. Er soll Spielerinnen gemobbt, terrorisiert und sexuell belästigt haben. 
Daraufhin hatte der Deutsche Handballbund (DHB) Ende Oktober eine externe und unabhängige Aufarbeitungskommission ins Leben gerufen. Dem Gremium gehörten die Soziologin Carmen Borggrefe, der Kriminologe Christian Pfeiffer, die Sportwissenschaftlerin Meike Schröer als Fachberaterin und Expertin in der Prävention sexualisierter Gewalt, Angela Marquardt als Vertreterin der betroffenen Athletinnen und für psychologische Aspekte Benny Barth an.
Angela Marquardt trägt ein farbenfrohes Tuch und einen bunten Pullover und schaut freundlich in die Kamera
Angela Marquardt vom Betroffenenrat der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung (privat)
Doch bereits kurze Zeit später, kurz vor Weihnachten, löste der Verband die Kommission wieder auf. Als Gründe wurden "unüberbrückbare persönliche Differenzen innerhalb der Kommission", angeführt. "Ich bedauere sehr, dass die erste Besetzung der Kommission keine gemeinsame Basis gefunden hat und daher nicht arbeitsfähig war. Dadurch haben wir Zeit verloren. Wir investieren derzeit alle Energie in die Neubesetzung, nehmen uns aber auch die Zeit, die wir für eine gute Zusammenstellung benötigen", sagte Andreas Michelmann, der Präsident des Deutschen Handballbundes auf Anfrage des Deutschlandfunks.

Welche Erfahrungen gibt es mit Aufarbeitungskommissionen im deutschen Sport?

Die erste unabhängige Aufarbeitungskommission im deutschen Sport hatte sich 2022 in Weimar gebildet. Sie untersucht den Fall eines Turntrainers des HSV Weimar. Der Trainer hatte zahlreichen minderjährigen Mädchen seiner Turngruppe über Jahre psychische und sexualisierte Gewalt angetan. Der Übungsleiter hatte gezielt ein Abhängigkeits- und Machtverhältnis bei seinen Athletinnen aufgebaut.
Das Verfahren gegen den Mann läuft seit sieben Jahren - ein Ende ist noch nicht absehbar. Der Verein hatte irgendwann eingesehen, dass ein Schutzkonzept allein nicht reicht und die Vergangenheit aufgearbeitet werden muss.
Der Kinderschutzbeauftragte des Landessportbund Thüringen, Steffen Sindulka, stellte daraufhin innerhalb von fünf Monaten eine externe Aufarbeitungskommission aus sechs Expertinnen und Experten verschiedener Fachgebiete zusammen. Ende September fand die erste konstituierende Sitzung der Gruppe statt. Die Gruppe soll dann die Gespräche mit den betroffenen Turnerinnen führen.

Warum scheiterte die einberufene Aufarbeitungskommission vom Deutsche Handballbund?

Als Gründe wurden offziell von Verbandsseite "unüberbrückbare persönliche Differenzen innerhalb der Kommission", angeführt. Nach Recherchen des Deutschlandfunks sind aber viel eher komplett unterschiedliche inhaltliche Auffassungen über die eigentliche Arbeit der Grund für die Auflösung der Kommission gewesen. Ein Problem könnte auch die Schnelligkeit bei der Zusammenstellung gewesen sein. Der Verband hat sich möglicherweise durch den öffentlichen Druck zum schnellen Handeln gezwungen gesehen.
Nach den Erfahrungen von Steffen Sindulka in Weimar sei es auch sehr wichtig, nicht unbedingt prominente Mitglieder in der Kommission vertreten zu haben, sondern viel entscheidender seien auch mindestens zwei direkt Betroffene als Mitglieder in der Kommission.

Was ist für gelingende Aufarbeitung notwendig?

Die Akteure dürfen sich nicht von außen unter Druck setzen lassen, womöglich zu schnell zu Ergebnissen zu kommen, sagt Deutschlandfunk-Autorin Andrea Schültke, die sich seit Beginn der Kommissionen mit ihnen befasst. Diese müssten sich die nötige Zeit und Sorgfalt nehmen. Es gibt im deutschen Sport noch nichts Vergleichbares, an dem sich die Personen orientieren können.
Wichtig sei auch, die Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen und Menschen aus unterschiedlichen Bereichen zu finden, die gut miteinander in einer Kommission arbeiten können. Es ergibt aus Andrea Schültkes Sicht auch Sinn, die Öffentlichkeit über die Prozesse auf dem Laufenden halten und von Zeit zu Zeit zu informieren.
aufarbeitung@lsb-thueringen.de

Über diese Adresse können Betroffene im Fall des Turntrainers bei der HSV Weimar mit der dortigen unabhängigen Aufarbeitungskommission Kontakt aufnehmen.