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Sexualisierte Gewalt im Sport
Das Bild des organisierten Sports passt nicht zur Wirklichkeit

Zwei Drittel der Befragten haben in einer Studie angegeben, dass sie in Sportvereinen Erfahrungen mit Grenzverletzungen, Belästigung oder Gewalt gemacht haben. Vereine und Sportler brauchen nun Hilfe - etwa bei Schutzkonzepten und der Aufarbeitung von Missbrauch, kommentiert Andrea Schültke.

Ein Kommentar von Andrea Schültke |
Fußballplatz im Flutlicht
Beim Thema Sicherheit könnten Vereine Hilfe gebrauchen (Arno Burgi/dpa)
"Im Verein ist Sport am Schönsten". Unter diesen Slogan ist Sportdeutschland seit mehr als 30 Jahren aktiv. Das Symbol zu diesem Spruch ist Trimmy. Der kleine Kerl mit roter Hose und weißem Hemd ist das Maskottchen des Deutschen Olympischen Sportbundes. Mit 90.000 Vereinen unter ihrem Dach bezeichnet sich die Organisation als größte Bürgerbewegung im Land. Maskottchen Trimmy bringt sie auf Trab. Der Gute ist inzwischen 51, hat den Daumen immer noch oben und wirbt unermüdlich dafür, die Menschen in die Sportvereine zu bringen.
Die sollen neben Freude an der Bewegung auch Werte vermitteln wie Respekt, Toleranz, Fairplay, Ethik, Moral und so weiter. Klingt nach einem Ort voller Friede, Freude und Eierkuchen oder einer Insel der Glückseligen. Dass das so nicht stimmt, haben wir alle geahnt. Aber jetzt ist es auch wissenschaftlich belegt.
Ein Kind balanciert auf einer Bank, im Hintergrund hangeln andere Kinder während des Kinderturnens an Seilen.
Studie zu sexualisierter Gewalt - Zwei Drittel geben negative Erfahrungen im Vereinssport an
Wie groß sind die Auswirkungen von sexualisierter Gewalt im Vereinssport? Das untersucht die Studie "Sicher Im Sport". Ein Forschungsteam aus Wuppertal und Ulm hat nun erste Zahlen vorgestellt. Und die Ergebnisse passen wenig zu den Werten, für die der Sport steht.
4.400 Menschen hat ein Forschungsteam für die Studie "Sicher im Sport" befragt. Das Zwischenergebnis zeigt: Zwei Drittel der Befragten haben im Sportverein mindestens eine Gewalterfahrung gemacht. Etwa anzügliche Bemerkungen gehört, oder sexualisierte Text- und Bildnachrichten erhalten, oder ungewollte Berührungen, Beleidigungen oder gar körperliche Gewalt erfahren.
"Gewalt und Übergriffe? Nein, das kommt bei uns nicht vor. Hier lege ich für jeden und jede die Hand ins Feuer". Diese Behauptung, um sich vor der Verantwortung zu drücken, ist endgültig vom Tisch. Stattdessen liegen darauf jetzt die als unangenehm empfundenen Themen sexualisierte, emotionale und körperliche Gewalt. Das Bild, das der organisierte Vereinssport von sich gezeichnet hat, stimmt mit der Wirklichkeit schon lange nicht überein.

Zentrum für Safe Sport könnte helfen

Fakt ist: Sport im Verein ist nicht nur schön. Wie auch, der Sport ist Teil der Gesellschaft, hat also auch die gleichen Probleme. Aber, auch das ist eine wichtige Erkenntnis der Studie: Trotz der Gewalterfahrungen verbinden die meisten der Befragten etwas Positives mit dem Vereinssport.
Für all diese Menschen muss der Verein ein sicherer Ort werden. Das können die meist ehrenamtlichen Vorstände nicht allein schaffen. Sie brauchen bei diesem großen Thema dringend professionelle Hilfe. Eine viel diskutierte, unabhängige Institution, ein Zentrum für Safe Sport, könnte hier ein immens wichtiger Baustein sein. Neben zahlreichen anderen Aufgaben könnte das die Stelle sein, an die Vereine sich mit all ihren Fragen zum Thema wenden können. Bei der sie professionellen Rat bekommen und Unterstützung, wenn es um Risikoanalysen geht, um Schutzkonzepte, Aufarbeitung der Vergangenheit oder den Umgang mit Fällen.
Athletinnen und Athleten haben die Idee für das Zentrum gehabt. Wie dringend notwendig eine solche Institution ist, belegen die Zwischenergebnisse der Studie "Sicher im Sport" eindrücklich. Jetzt braucht es den Willen der Verantwortlichen aus Politik und Sport, das schnell umzusetzen. Die Parteien haben schon vor der Wahl ihre Unterstützung signalisiert. Die finanziellen Ressourcen dafür sollten sie jetzt bei den Koalitionsverhandlungen dringend einplanen.
Sportverantwortliche in den Ländern und Kinderschutzbeauftragte stehen dem Zentrum positiv gegenüber. Und ein Trimmy, der sich seit mehr als 50 Jahren immer an die Spitze der Bewegung gesetzt hat, auf seinem Twitteraccount "Fair geht vor" propagiert - der kann doch bestimmt auch beim Thema "Sicher im Sport" mit der Zeit gehen, oder?