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Sexualisierte Gewalt im Sport
Nur wenige Betroffene haben sich bisher gemeldet

Die Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch hat bisher sexualisierte Gewalt unter anderem in den Bereichen Familie und Kirche untersucht. Seit anderthalb Jahren ruft sie Betroffene aus dem Sport auf, sich zu melden. Jetzt gibt es aus diesem Bereich erste Zahlen.

Von Andrea Schültke |
Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs
Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs (Aufarbeitungskommission/Anja Müller)
Auf eine Anfrage des Deutschlandfunks und des WDR-Magazins "sport inside" schrieb die Kommissionsvorsitzende Sabine Andresen:
"Bei der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs haben sich bisher rund einhundert Betroffene gemeldet, die in ihrer Kindheit und Jugend sexueller Gewalt im Sport ausgesetzt waren."
Angebot wohl weitgehend unbekannt
Insgesamt hätten sich 72 Betroffene für eine vertrauliche Anhörung gemeldet, 21 hätten ihre Erfahrungen schriftlich eingereicht.
"Diese Zahl ist wirklich erstaunlich gering. Und daraus schließe ich tatsächlich, dass nicht wirklich sehr viele Menschen im Sport von dieser Befragung oder dieser Möglichkeit erfahren haben", vermutet Julia von Weiler von der Kinderschutzorganisation Innocence in Danger. Die Diplom-Psychologin befasst sich mit sexualisierter Gewalt in Institutionen.
Kein proaktives Zugehen auf die Sportverbände
Der Deutsche Olympische Sportbund und seine Fachverbände hatten sich dem Aufruf der Aufarbeitungskommission angeschlossen und auf ihren Internetseiten Betroffene aus dem Sport dazu aufgerufen, sich bei der Aufarbeitungskommission zu melden.
"Aber es wurde zumindest meines Wissens nach von keinem einzigen Sportverband wirklich proaktiv immer wieder von sich aus auf diese Befragung hingewiesen, mit dem Zusatz: "Wir wollen wirklich sehr gerne, dass ihr euch da meldet." Wir wollen einfach wirklich besser werden darin". (…) Einmal im Monat (..) darauf hinzuweisen, das würde ich unter pro-aktiv verstehen und das ist meiner Meinung nach oder meines Wissens nach so nicht erfolgt", so Julia von Weiler.
Vermutlich hohe Dunkelziffer im Sport
Mit insgesamt 27 Millionen Mitgliedern in deutschen Sportvereinen ist der organisierte Sport der größte Träger der Kinder- und Jugendarbeit in Deutschland, so Sportsoziologin Bettina Rulofs im August: "Der Sport ist ein Bereich, der für Kinder und Jugendliche sehr wichtig ist. Viele Jungen und Mädchen sind Mitglied im Sportverein. 50 Prozent der Mädchen und 60 Prozent der Jungen sind Mitglied im Sportverein. Warum sollte dort keine sexuelle Gewalt passieren?"
Knapp 100 Betroffene, die sich in den vergangenen anderthalb Jahren bei der Aufarbeitungskommission gemeldet haben, spiegeln das Ausmaß sexualisierter Gewalt im Sport nicht wider. Mitte Oktober will die Aufarbeitungskommission bei einem Hearing weitere Ergebnisse der Befragung im Sport vorstellen. Weiterhin können sich Betroffene aus dem Sport bei der Kommission melden.