Die Sache ist kompliziert. Es geht um Möglichkeiten für Betroffene sexualisierter Gewalt, Folgewirkungen der Übergriffe zu verarbeiten. Durch Sachleistungen wie etwa Therapien. Dafür gibt es seit etwa zehn Jahren das sogenannte "Ergänzende Hilfesystem". Angesiedelt beim Bundesfamilienministerium können Betroffene hier Anträge stellen auf die oben genannten Sachleistungen.
Das ist aber nur dann möglich, wenn die Institution, in der die Übergriffe passiert sind, auch in das Ergänzende Hilfesystem einzahlt. Und damit sind wir beim Deutschen Olympischen Sportbund.
Beteiligung angekündigt
Der hatte bis 2016 in das EHS gezahlt, die Unterstützung dann aber eingestellt. Daher war es eine große Überraschung als DOSB-Vizepräsidentin Petra Tzschoppe auf dem Hearing Mitte Oktober verkündete: "Wir werden uns an diesem Fonds auch wieder beteiligen".
Bis vor fünf Jahren hatte der DOSB insgesamt 170.000 Euro für das EHS zur Verfügung gestellt. Laut zuständigem Bundesfamilienministerium haben 24 Betroffene aus dem Sport Anträge gestellt. Stand Februar seien 20 davon bewilligt worden. Ergibt Sachleistungen von durchschnittlich 7.000 Euro für jede Antragsteller*in.
Einzelheiten zur neuen Beteiligung des DOSB konnte Petra Tzschoppe bei ihrer Ankündigung vor einem halben Jahr nicht nennen: "Wann das startet, mit welchen Höhen dort für Folgeschäden noch eingestanden wird, kann ich zum heutigen Zeitpunkt nicht beantworten."
Wenig Konkretes
Das einzig Konkrete seitdem: Das DOSB-Präsidium hat gerade entschieden, die vor sechs Monaten angekündigten Zahlungen auch leisten zu wollen.
Ansonsten: "Überlegung, in welcher Höhe das passieren kann, wie lange die Zahlungen kommen und ob wir alternative Formen schaffen, die jetzt auch für weitere Betroffene von Gewalt im Sport greifen können, das sind genau die Dinge, zu denen wir uns dort in den letzten Wochen intensiv ausgetauscht haben. Ich verstehe, dass Betroffene dort schneller finanzielle Hilfen erwarten und gehe davon aus, dass wir dort auch sehr schnell in der nächsten Zeit diesen Erwartungen dann auch gerecht werden."
Für Betroffene retraumatisierend
Das dauert Betroffenen wie der ehemaligen Fußballerin Nadine zu lange. Sie hatte bei dem Hearing öffentlich gesprochen und sowohl die Entschuldigung von Petra Tzschoppe wahrgenommen als auch ihre Ankündigung der erneuten Zahlung in das Ergänzende Hilfesystem. Nadine sagt:
"Also es ist eine Hilfe, die angeboten wird, die Hoffnungen weckt und Freude in Betroffenen und die dann aber nicht eingehalten wird und das ist für Betroffene retraumatisierend. Es ist überhaupt nicht in den Gedankengängen der Verantwortlichen drin, glaube ich, was sie damit tun, was der Umgang mit Betroffenen bedeutet."
Sowohl Nadine als auch die anderen Hearing-Teilnehmenden erfuhren erst durch die Interviewanfrage des Deutschlandfunks, dass außer dem Präsidiumsbeschluss vor vier Wochen nichts Greifbares passiert ist.
Auch die ehemalige Leichtathletin Ulrike Breitbach war vor einem halben Jahr bei dem Hearing in Berlin vor Ort. Wie Fußballerin Nadine gehört sie zu den insgesamt 115 Betroffenen, die sich bei der Aufarbeitungskommission der Bundesregierung gemeldet und ihre Geschichte erzählt haben.
Vertrauen schwindet
Da sich in der Folgezeit immer mehr Athletinnen öffentlich geäußert haben, auch über physische und emotionale Gewalt, sieht Ulrike Breitbach eine Dringlichkeit, die angekündigten Zahlungen schnell anzugehen:
"Ich frage mich, was da so lange dauert. Ich verstehe das nicht und ich verliere langsam auch wirklich die Geduld. Ich weiß nicht, ob ich denen dann wirklich noch so vertrauen kann. Und mein Eindruck ist, dass da kein echtes Interesse besteht. Also da ist mein Eindruck, dass man es irgendwie anders organisieren muss oder sich wirklich an unabhängige andere Stellen wenden muss.
Ich habe jetzt gerade so ein bisschen Bedenken, dass die das wohl hinkriegen und vor allem auch über den Willen, den sie haben. Ich sehe den nicht so richtig."
Ich habe jetzt gerade so ein bisschen Bedenken, dass die das wohl hinkriegen und vor allem auch über den Willen, den sie haben. Ich sehe den nicht so richtig."
Entschuldigung verwässert
Die ehemalige Fußballerin Nadine fragt sich, ob ohne ein Hearing überhaupt die Ankündigung einer Zahlung gekommen wäre:
"Und in dem Zusammenhang verwässert das natürlich auch die Entschuldigung, die in diesem Zusammenhang ausgesprochen worden ist, weil auch die dann anscheinend nur auf äußeren Druck ausgesprochen worden ist."
Petra Tzschoppe betont gegenüber dem Deutschlandfunk, sie persönlich habe sich auch eine schnellere Umsetzung ihrer Ankündigung gewünscht. Die DOSB-Vizepräsidentin gestand ein, es sei wünschenswert gewesen, bereits in Berlin konkret die weiteren Schritte benennen zu können:
"Aber ich glaube, dass auch der Rahmen des Hearings und die Erwartung ‚gibt's denn seitens des Sports die Bereitschaft‘ durchaus Anlass gewesen sind, dass an dieser Stelle schon in Aussicht zu stellen. Selbst wenn die konkrete Umsetzung jetzt doch noch einen gewissen Zeitraum auch der Diskussion und der gemeinsamen Verabredung gebraucht hat."
Keine Kommunikation
"Es darf unter keinen Umständen, nur im Ansatz der Eindruck erweckt werden, dass der DOSB bei diesem Hearing die Gelegenheit ergriffen hat, diese Ankündigungen zu machen, um erwartbarem Druck zuvorzukommen. Wenn man so eine Ankündigung macht und das ist ja wirklich eine total begrüßenswerte Sache, dann braucht es einen klaren Plan und eine ganz klare Kommunikation, was danach passiert. Und das ist eben bisher nicht geschehen",
wundert sich Maximilian Klein. Er war für den Verein Athleten Deutschland beim Hearing in Berlin vor Ort, hat in den Diskussionen die Interessen der Athlet*innen vertreten.
Auch ein halbes Jahr nach ihrer Ankündigung kann DOSB-Vizepräsidentin Petra Tzschoppe auf Nachfrage des Deutschlandfunks nicht sagen, wieviel Geld der DOSB in das Ergänzende Hilfesystem zahlt und wie er das finanzieren will. 115 Betroffene haben sich bei der Aufarbeitungskommission gemeldet. Würden sie alle Anträge stellen und Sachleistungen in Höhe von durchschnittlich 7.000 Euro erhalten, kämen auf den DOSB Zahlungen von mindestens 800.000 Euro zu.
Der DOSB werde zu seinem Wort stehen, versichert Petra Tzschoppe. Ob und wie das geschieht, ist auch ein halbes Jahr nach der Ankündigung immer noch unklar.