Monika Hauser, Gründerin der Frauenrechtsorganisation "Medica Mondiale" und Trägerin des Alternativen Friedensnobelpreises, sagte, es sei gut, dass sich nun offenbar mehr Frauen trauten, bei der Polizei sexuelle Übergriffe anzuzeigen. Nach dem Kölner Karneval habe es in diesem Jahr 66 Anzeigen wegen Sexualdelikten gegeben. Im Vorjahr waren es 18.
Die Autorin Antje Domscheit-Berg, die unter anderem die Kampagne "#aufschrei" mitbegründet hat, sagte: "Einige haben sich nach Silvester als Kämpfer für die Rechte und den Schutz von Frauen dargestellt, von denen man in all den Jahrzehnten vorher, wo wir um das gleiche Ziel gekämpft haben, nichts gehört hat." Es liege nahe, dass es am Ende gar nicht um die Opfer gegangen sei. Und die Täter ständen nur im Fokus, weil sie einen anderen Hintergrund hätten als typisch deutsche Täter, so Domscheit-Berg.
Wiedemann: Noch nie so viel Frauenhass wie heute
Charlotte Wiedemann, Journalistin mit dem Schwerpunkt Arabische Welt, sagte, sie könne sich nicht erinnern, dass es einen Moment gab, in dem es in Deutschland so viel Frauenhass gegeben habe wie heute. Sie nannte das Beispiel einer Frau, die in der Silvesternacht von arabisch aussehenden Männern beschützt worden sei und darüber im Anschluss auf Facebook berichtet habe. Diese Frau sei im Netz aufs Übelste beschimpft worden. Die Gewaltatmosphäre betreffe aber auch Frauen, die denjenigen nicht passen, die gegen Muslime eingestellt seien.
Hauser nannte Zahlen, nach denen alle fünf bis sieben Minuten eine Frau in Deutschland vergewaltigt werde, zwei Drittel der Täter entstammten dem sozialen Umfeld. Unsere Gesellschaft dürfe nicht zulassen, "dass wir so viele Vergewaltigungen haben".
"Respektloses und demütigendes" Frauenbild
Antje Domscheit-Berg wies darauf hin, dass die deutsche Gesellschaft nicht so gleichberechtigt sei, wie es die Mehrheit annehme - ob es nun die geringe Zahl an Chefredakteurinnen sei, oder ob es sich um Sprechrollen in Kinderfilmen handle, in denen Mädchen unterrepräsentiert seien. Sexuelle Gewalt entstehe nicht aus dem Nichts heraus, sondern aus einer sexualisierten Kultur, in der auch Kinderspielzeug und Werbung sexuelle Botschaften und ein negatives Frauenbild vermittelten. Sie selbst habe Flüchtlinge bei sich wohnen, die sie häufig fragten, wie sie dieses "zutiefst respektlose und demütigende" Bild, das über Frauen in der deutschen Öffentlichkeit vermittelt werde, aushielte. Die Flüchtlinge fänden das "ganz widerlich".
Charlotte Wiedemann forderte ein neues Verständnis von Feminismus. Man müsse wegkommen von der absurden Situation, in der Feministinnen Kopftücher als Beispiel weiblicher Selbsterniedrigung bekämpften. Mit dem Sexismus in der Werbung habe man sich arrangiert, aber den muslimischen Weg der Emanzipation mit Kopftuch und Doktortitel greife man an. "Wir müssen zu einer neuen Vision von Emanzipation kommen, die nicht allein das Bild der weißen älteren Mittelschicht ist", so Wiedemann.
Flüchtlingsfrauen: Gewalt geht in Deutschland weiter
Monika Hauser kümmert sich mit ihrer Organisation "Medica Mondiale" auch um geflüchtete Frauen und Migrantinnen. Diese müsse man mit einschließen - man dürfe sie nicht nur als Opfer begreifen, sondern als Akteurinnen, damit auch sie tätig werden können. Den Frauen würde in ihrer Heimat viel Gewalt widerfahren - ob nun in Syrien, im Irak oder im Kosovo, ebenso auf der Flucht. Die Gewalt gehe in Deutschland weiter, weil durch die Residenzpflicht keine räumliche Trennung zum Mann möglich sei.
Hauser und Domscheit-Berg forderten explizit die Umsetzung der Istanbul-Konvention, ein "Nein-heißt-Nein"-Gesetz, das sexualisierte Gewalt härter bestraft. Dieses sei im Reformvorschlag von Justizminister Maas zum Sexualstrafrecht nicht inbegriffen.
(vic/kis)
Das Kulturgespräch mit Anke Domscheidt-Berg, Charlotte Wiedemann und Monika Hauser führte Karin Fischer. Die vollständige Sendung können Sie als Audio-on-Demand hören.