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Sexualkundeunterricht
Kaum Aufklärung an polnischen Schulen

Im katholisch geprägten Polen gibt es Sexualkundeunterricht nur an wenigen Schulen. Die Regierungspartei PiS überprüft sogar, ob dieser Aufklärungsunterricht rechtens ist. Experten sehen darin einen der Gründe für den starken Anstieg von Geschlechtskrankheiten in Polen.

Von Florian Kellermann |
Schüler stehen in einer Schule in Hannover im Sexualkundeunterricht neben Anschauungsmaterial zur Unterrichtseinheit "Sozialkompetenz und Sexualerziehung".
Sexualisiert der Aufklärungsunterricht in Schulen oder führt er zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Sexualität? In Polen findet Sexualkunde nur auf freiwilliger Basis statt. (dpa/ Julian Stratenschulte)
Marzena Wilk bemüht sich immer wieder, dass sie in Schulen auftreten kann. Die Soziologin hat den Verein "Victoria" gegründet, der Frauen hilft – und dazu gehört für sie auch die Aufklärung über Sex.
"Aber die Schulen haben immer größere Angst, dass sie von der Regierung dafür gerüffelt werden. Dafür, dass wir der Klasse etwas Unanständiges sagen könnten. Der Druck geht auch von den Eltern aus. In den Klassen meiner Kinder haben die Eltern den Ton angegeben, die gegen jede Form von Sexualkunde sind."
Der Verein von Marzena Wilk ist im konservativsten Teil von Polen aktiv, in Rzeszow im Karpatenvorland. Hier gibt es praktisch keine sexuelle Aufklärung in der Schule, weil der Lehrplan sie nicht vorsieht. Denn die rechtskonservative Regierungspartei PiS meint, Sexualkunde trage nur dazu bei, dass junge Polen zu früh Geschlechtsverkehr hätten.
Sexualkundeunterricht nur auf freiwilliger Basis
Nur wenige Vereine wie der von Marzena Wilk stemmen sich dagegen – und einige Großstädte, die nicht von der PiS regiert werden. Dazu gehören Warschau und Danzig. Sie bieten Sexualkundeunterricht an, auf freiwilliger Basis, wie der stellvertretende Danziger Bürgermeister Piotr Kowalczuk gegenüber dem öffentlichen Fernsehen TVP betonte: "Die Eltern können sich mit dem Programm vertraut machen und es beurteilen. Nur, wenn sie ihr Einverständnis erklären, können die Schüler teilnehmen. Die Eltern müssen entscheiden, ob das etwas ist, was ihre Kinder wissen sollen."
Das Programm der Stadt Danzig klärt die jungen Menschen unter anderem darüber auf, wie sie sich beim Sex vor Krankheiten schützen und wie sie verhüten können. Dabei stellt es alle Arten von sexuellen Orientierungen bewusst auf eine Stufe.
Bürgerinitiative: Projekt sexualisiere Kinder
Für konservative Kreise in der Ostsee-Stadt ein Skandal. Die Bürgerinitiative "Verantwortungsbewusstes Danzig" veranstaltet seit Anfang Februar öffentliche Proteste gegen den Sexualkundeunterricht. Den ganzen Tag fährt ein Auto mit einem langen Anhänger durch die Stadt. Auf dem prangt ein Plakat: "Mama, Papa, hilf! Schütze mich vor Sexualisierung", heißt es da.
Marek Skiba, einer der Köpfe von "Verantwortungsbewusstes Danzig", erklärte: "Dieses Projekt sexualisiert die Danziger Kinder und demoralisiert sie. Dahinter steckt diese Gender-Ideologie. Sie zerstört die Gesellschaft noch mehr als das, was die Kommunisten in Polen angerichtet haben. Die Folge ist, dass Familien auseinanderfallen, dass die Beziehung zwischen Eltern und Kindern zerstört wird und zu mehr Sexualverbrechen führen wird."
Menschen halten auf einer Demonstration in Warschau Plakate hoch mit polnischer Aufschrift.
Tausende Menschen demonstrierten im Oktober 2019 in Warschau gegen ein Gesetzesvorhaben zur Einschränkung unter anderem von Sexualkunde-Unterricht. (AFP/JANEK SKARZYNSKI)
Thesen, die so auch aus der Regierungspartei PiS zu hören sind. Und so sind nun die Regierungsbeauftragten für Bildung in verschiedenen Bezirken aktiv geworden. Die Beauftragte für Pommern, also auch Danzig, beginnt in dieser Woche mit einer Kontrolle, ob der Sexualkundeunterricht in der Stadt rechtmäßig ist.
Die Beauftragte für den Bezirk Kleinpolen Barbara Nowak, obwohl gar nicht zuständig, hat darauf schon eine Antwort gegeben. Dem Internet-Fernsehkanal wpolsce.pl sagte sie: "In diesem Programm geht es darum, dass die Kinder schon im frühesten Altern lernen sollen, Befriedigung aus ihrer Sexualität zu ziehen, auch daraus, sich selbst zu berühren. Es wird betont, dass es egal ist, ob Sexualität in einer Beziehung geschieht oder außerhalb einer Beziehung oder allein. Das sind Dinge, die gegen das Gesetz verstoßen."
Geschlechtskrankheiten breiten sich aus
Die Aussagen von Barbara Nowak sorgten für einen Skandal in Polen. Die linksliberale Zeitung "Gazeta Wyborcza" spitzte sie zur These zu, die Bildungsbeauftragte wolle Selbstbefriedigung verbieten.
Auch wenn das so nicht stimmt, sind Sexualwissenschaftler und Aktivisten entsetzt darüber, dass sexuelle Aufklärung sogar verboten werden könnte. Marzena Wilk:
"Viele junge Leute wissen nicht einmal, dass es Geschlechtskrankheiten gibt. Deshalb verbreiten sie sich so stark in Polen. Statt das Problem anzugehen, wird so getan, als interessierten sich junge Polen gar nicht für Sex."
Doch die Schulen bleiben vorsichtig: In Danzig boten im vergangenen Jahr sieben die fakultative Sexualkunde an, in diesem Jahr kamen drei weitere hinzu.