"'Lara' Krisen- und Beratungszentrum, Klein, guten Tag. Guten Tag. Möchten Sie am Telefon beraten werden oder einen persönlichen Termin vereinbaren?"
Hohe Stuckdecken, Parkettboden, an den Wänden freundlich-bunte Blumen-Gemälde. Tiefe blaue Polstersessel, in denen es sich entspannen lässt. Auf dem Couch-Tisch: eine große Packung Papiertaschentücher. Für alle Fälle.
"Dann kann ich Ihnen einen Termin anbieten, in der kommenden Woche. Wenn Sie aber in einer Krise sind, stellen wir uns auf Sie ein. Was meinen Sie, möchten Sie gleich kommen oder erst in der kommenden Woche?"
Carola Klein sitzt heute am Krisentelefon in der Beratungsstelle für vergewaltigte und sexuell missbrauchte Frauen in Berlin-Schöneberg. Männer haben hier keinen Zutritt. Die Sozialpädagogin und Psychotherapeutin berät Frauen wie Melanie – die in Wirklichkeit anders heißt. Ihr 20 Jahre älterer Freund vergewaltigte sie, nachdem sie keinen Sex mit ihm wollte.
Nur wenige Anzeigen
"Ich weiß auf jeden Fall, dass ich es ihm immer gesagt habe, dass es mir nicht gut tut, und dass ich Angst habe, und dass ich keinen Sex mit ihm möchte, nichts Sexuelles mit ihm möchte."
Melanie ließ es über sich ergehen, erstattete allerdings später Anzeige. Doch das Verfahren wurde eingestellt – sie habe sich nicht genug gewehrt und nicht laut um Hilfe gerufen – so die Begründung der Staatsanwaltschaft. Kein Einzelfall. Nur acht von 100 Anzeigen wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung führen zu einer Verurteilung des Täters. Dabei zeigen nur sehr wenige Frauen die Taten überhaupt an – nur eine von 10 Vergewaltigungen landet bei der Staatsanwaltschaft. Auf einem Blog haben Frauen anonym dokumentiert, warum sie nicht zur Polizei gegangen sind.
"Ich habe nicht angezeigt, weil man mir eh nicht glauben würde und man vor Gericht wie eine Straftäterin behandelt wird."
"Ich habe nicht angezeigt, weil ich dachte, dass das, was er tut, normal ist, wenn man gemocht werden will. Ich habe nicht angezeigt, weil ich es verdrängt hatte, jahrelang."
"Ich habe nicht angezeigt, weil sogar viele Frauen der Meinung sind, die Opfer hätten die Vergewaltigung verdient. Zu kurzer Rock, zu roter Lippenstift, zu aufreizend."
"Ich habe nicht angezeigt, weil mir niemand glaubte und es mir so unsagbar peinlich war. Er hat einfach nicht aufgehört, als ich Nein gesagt habe."
Mehr Schutz vor Vergewaltigung
"Nein heißt Nein" – so heißt eine Kampagne verschiedener Frauen- und Sozialverbände – vom Juristinnenbund über Caritas bis hin zu Amnesty International. Die Forderung: Wenn ein Mann eine Frau zum Sex drängt, obwohl sie klar "Nein" gesagt hat, solle dies als Vergewaltigung gewertet und auch so bestraft werden. Auch die Berliner Beratungsstelle "Lara" unterstützt diese Kampagne – Mitarbeiterin Friederike Strack:
"Wir hoffen ja immer noch, dass es eine wirkliche Veränderung gibt mit dem "Nein heißt Nein", sprich, dass es eben nicht in dieser umgekehrten Denkweise ist, dass man sich verteidigen muss, um seine Sexualität, seine sexuelle Selbstbestimmung zu verteidigen, sondern dass man das nicht angreifen darf. Wir haben diesen schönen Vergleich mit dem Eigentumsdelikt: Niemand wird aufgefordert, seine Handtasche zu verteidigen, wenn die entrissen wird, sondern das ist ganz klar, das ist dann ein Diebstahl. Warum wird es also dort anders gehandhabt."
Vor zwei Tagen diskutierte der Bundestag über den Gesetzentwurf aus dem Justizministerium, mit dem das Sexualstrafrecht verschärft werden soll. Künftig sollen Täter bestraft werden, die zum Beispiel die Angst ihres Opfers ausnutzen. SPD-Ressortchef Heiko Maas hält seinen Vorschlag für ausreichend:
"Wir schließen die Schutzlücken, die wir im Moment im Strafgesetzbuch haben. Und das ist auch bitter nötig."
Wenig Lob für den Gesetzentwurf
Doch großes Lob hat Heiko Maas für seinen Gesetzentwurf nicht erhalten. Auch Expertinnen und Experten aus den Regierungsfraktionen drängen auf weitere Änderungen: so möchte die CDU noch eine zusätzliche rote Karte für Grabscher. Grüne und Linke wollen klar den Grundsatz "Nein heißt Nein" im Gesetz verankert sehen – sie stellen sich damit auf die Seite von Frauenverbänden, Expertinnen und Betroffenen.
"Ich wünsche mir, dass das, was Gewalt ist oder was Zwang ist, auch als solches anerkannt wird."
Sagt Melanie, die von einem früheren Freund vergewaltigt worden war. Auch die Mitarbeiterinnen der Frauenberatungsstelle" Lara" in Berlin-Schöneberg haben eine klare Haltung. Lieber gar keine Gesetzesänderung als eine halbherzige, sagt zum Beispiel die Sozialpädagogin Carola Klein. Und während sie auf politischer Ebene für ein "Nein heißt Nein" streitet, versucht sie gleichzeitig, traumatisierten und von sexueller Gewalt betroffenen Frauen persönlich zu helfen.
"Ja, ich notiere das. Dann sind Sie am nächsten Montag bei uns in der Fuggerstraße 19. Bis dann, Frau Müller, tschüs."