Manfred Götzke: Rape Culture, eine Kultur der Vergewaltigung, herrsche an US-Unis, beklagen jedenfalls viele amerikanische Studierende. Die Zahlen, die diese Unkultur belegen, die klingen auch ziemlich unglaublich: Jede fünfte Studentin erleidet während ihrer Studienzeit eine Vergewaltigung oder einen Vergewaltigungsversuch. Politik und Hochschulen in den USA haben darauf reagiert: Präsident Obama hat eine Taskforce ins Leben gerufen, und jede Uni hat eine Anlaufstelle, an die sich die Opfer von sexueller Belästigung wenden können.
Bei uns in Deutschland gibt es solche Anlaufstellen dagegen nicht standardmäßig, ebenso wenig wie klare Regelungen zur Bekämpfung von sexueller Belästigung. Das kritisiert heute in einem neuen Rechtsgutachten die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Deren Leiterin heißt Christine Lüders, und sie ist jetzt am Telefon. Hallo, Frau Lüders!
Christine Lüders: Hallo!
Sexuelle Belästigungen auch an deutschen Unis
Götzke: Frau Lüders, bevor wir über die Lücken im deutschen System sprechen: Gibt es auch an deutschen Hochschulen eine Rape Culture?
Lüders: Also ich würde das jetzt nicht mit amerikanischen Verhältnissen vergleichen wollen, dazu fehlt mir auch die Grundlage, die Forschungsgrundlage, um das verglichen zu haben, aber es gibt eine EU-weite Studie, die auch ganz klar besagt, dass jede zweite Studentin in Deutschland während ihrer Zeit des Studiums schon einmal sexuell belästigt wurde. Und jeder Fall davon ist einer zu viel, und da muss man irgendwas tun.
Götzke: Und auch diese Zahl klingt ja ziemlich heftig. Wie verbreitet ist sexuelle Belästigung an den Hochschulen, was sind das für Formen, wenn man von sexueller Belästigung spricht in diesen Fällen?
Lüders: Das sind die unterschiedlichsten Formen. Das fängt an mit sexueller Anmache, das kann sein, dass man pornografische Bilder verschickt, das kann sein, dass man auch anfasst, das kann die unterschiedlichsten Formen haben. Alles, was in diese sexuell belästigende Richtung geht und unerwünscht ist, ist eine sexuelle Belästigung, und dagegen muss man was unternehmen, denn das verschönt ja nicht gerade das Klima, in dem man arbeitet.
Götzke: Wie können, wie sollten Studierende an den Unis vorgehen, wenn sie sexuell belästigt werden heute?
Lüders: Sie sollten sich auf jeden Fall an jemanden wenden können, der ihnen erst mal hilft in einem solchen Fall. Da wäre es schön, wenn ich hier mal das gute Modellbeispiel Baden-Württemberg nennen kann, da ist es ganz klar im Gesetz verankert, dass es auch Ansprechpartner geben muss, also Beschwerdestelle, und da kann dann die Studentin hingehen, und da wird ganz klar gesagt, was sie unternehmen kann.
Und wenn das gesetzlich verankert ist, so wie es auch im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz in der Arbeitswelt verankert ist, dann kann man natürlich etwas dagegen unternehmen. Und in der Arbeitswelt ist das so, dass jemand, der sich sexuell belästigt fühlt, von seinem Chef ganz klar gesetzlich geschützt werden muss und dieser auch etwas unternehmen muss, und das kann bis hin zur Kündigung gehen.
Rechtlich Diskriminierungsschutz an Unis verankern
Götzke: Nun sagen Sie ja in Ihrem Gutachten, Baden-Württemberg ist eher die Ausnahme als die Regel.
Lüders: Ja, und das beklagen wir auch, denn wir brauchen viele Baden-Württembergs in Deutschland, die mit diesem guten Beispiel weitermachen. Es gibt natürlich noch vereinzelt Universitäten, die im Hochschulrahmengesetz bereits das ein oder andere festgelegt haben, was den Diskriminierungsschutz verbessert - das ist Hessen und Hamburg -, aber wir möchten gerne, dass Menschen an den Universitäten, Studierende, genauso geschützt werden wie in der Arbeitswelt.
Denn in der Arbeitswelt sieht es so aus, dass es ganz klar gesetzlich geregelt ist, dass es Beschwerdestellen geben muss. Und diese Beschwerdestelle, die hilft dann dem Menschen erst einmal, wie er weiter vorgehen soll. Sie müssen sich vorstellen, wenn eine Studentin jetzt sexuell belästigt wurde, das ist etwas sehr Unangenehmes, auch in der Arbeitswelt. Meistens ist es auch noch jemand vielleicht, von dem sie abhängig sind, das ist doppelt schwer dann, dagegen vorzugehen.
Und es ist doch ganz schlimm, wenn Studierende dann plötzlich die Fächer wechseln aus solchen Gründen oder die Atmosphäre innerhalb der Studierenden in bestimmten Fächern dann einfach nicht mehr so schön ist. Denn das belästigt schlichtweg, und alles, was belästigt, ist nicht gut für die Arbeit.
Schulungen für Diskriminierungsschutz nötig
Götzke: Sie fordern ja niedrigschwellige Beschwerdeverfahren und -stellen, wie könnte denn so was konkret aussehen?
Lüders: Das könnte konkret so aussehen, dass jede Universität jemanden benennt, der sich darum kümmert, dieser Mensch muss aber qualifiziert sein. Der muss qualifiziert sein, zum Beispiel wissen, was Diskriminierungsschutz ist, wie man vorgehen kann, wenn jemand belästigt ist, und das geht nur durch gute Schulungen, und dazu muss eine Universität auch bereit sein. Und ich denke, das ist im Interesse aller Universitäten, ein gutes Betriebsklima zu haben.
Das wünscht sich jeder Rektor einer Universität, davon gehe ich aus. Er muss es nur dann auch tun. Und wenn schon so ganz klar dargelegt ist, dass nicht der gleiche Schutz vorherrscht wie in der Arbeitswelt, dann muss man doch sagen, warum eigentlich nicht. Und dann sollten die Hochschulen doch alles tun, um ihre Studierenden entsprechend vor Diskriminierung zu schützen.
Götzke: Studierende an deutschen Hochschulen sind nicht ausreichend vor sexueller Belästigung geschützt, sagt Christine Lüders, die Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Danke schön!
Lüders: Ja, gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.